Editorial

Klimawandel bringt Zitate

Publikationsanalyse 2012-2021: Tier- und Pflanzenökologie
von Mario Rembold, Laborjournal 6/2023


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Ökologie-Forscherin mit Laptop im Feld

(14.06.2023) Offenbar finden Ökologen und Biodiversitätsforscher durch die globalen Veränderungen heute mehr Gehör. Zumindest in Sachen Zitierzahlen müssen sie sich jedenfalls nicht hinter Onkologen und Sequenzier-Nerds verstecken.

Die meisten unserer Publikationsvergleiche dominieren Forscher und Paper mit medizinischem Bezug. Sprechen wir etwa über Krebs oder haben Genomiker die Finger im Spiel, dann geht es weit rauf mit den Zitierzahlen. Dieses Mal aber ist die Tier- und Pflanzenökologie an der Reihe, weshalb man klinische Artikel und Krebsforscher vergebens suchen wird. Umso mehr fallen daher die hohen Zitierzahlen der meistzitierten Köpfe ins Auge.

Yakov Kuzyakov von der Universität Göttingen erforscht die Rhizosphäre, interessiert sich also für die Interaktionen von Pflanzen mit Pilzen und Mikroorganismen am Wurzelwerk. Und er ist Experte für die Stickstoff- und Kohlenstoffverfügbarkeit in Böden. Kuzyakov führt die Liste der meistzitierten Köpfe mit deutlich über 17.000 Zitierungen an. So weit keine große Sache, schließlich kommt es recht häufig vor, dass weit oben ein paar Ausreißer mit dickem Zitatekonto stehen. Um aber gerade noch in den Top 30 der „Köpfe“-Liste aufzutauchen, brauchte der Wildtierökologe Marten Winter vom Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) am Standort Leipzig annähernd 9.000 Zitierungen. Selbst die hinteren Plätze bringen also ordentlich Gewicht auf die Waage. Zudem gibt es keine größeren Sprünge zwischen den einzelnen Positionen.

Vergleichen wir diesen Befund zunächst mit einer Disziplin aus der jüngeren Vergangenheit, in der viele Krebsexperten vertreten waren – nämlich mit der Lungen- und Atemwegsforschung. Deren Publikationsaktivitäten hatten wir in einer vergleichbaren Schaffenszeit von 2011 bis 2020 betrachtet (LJ 11/2022: S. 32 ff. Link). Der Erstplatzierte lag zwar bei fast 38.000 Zitierungen, für Platz 30 hingegen reichten „nur“ 8.196 Erwähnungen.

Überraschend hohe Zitierzahlen

Im Ranking vom April betrachteten wir die Hals-Nasen-Ohren-Forscher sogar im selben Zeitfenster wie die Ökologen im vorliegenden Heft. Die Zitierzahlen bewegen sich zwischen 1.648 auf Platz 30 und 9.387 auf Platz 1 (LJ 4/2023: S. 34 ff. Link). Trotz starkem Bezug zur Medizin hat also der am höchsten zitierte HNO-Autor kaum mehr Erwähnungen als die hinteren Plätze in den Ökologen-Top-30. Lediglich die Molekulargenetiker und Genomiker waren zuletzt mit einer Spanne von 13.469 Zitierungen auf Platz 30 und 71.898 Zitierungen auf Platz 1 für einen zehnjährigen Analysezeitraum deutlich eindrucksvoller unterwegs (LJ 9/2022: S. 34 ff. Link).

Nun haben wir die Kriterien für unseren aktuellen Vergleich zur Tier- und Pflanzenökologie so eng gefasst, dass Zitierungen in sequenzlastigen Papern praktisch keine Rolle spielen. Im Gegenteil, wir klammern hier bewusst die reinen Mikrobiologen aus, und auch bei jenen Forschern, die Allel-Sequenzen und Verwandtschaft einzelner Populationen unter die Lupe nehmen, sind wir streng geblieben – unter anderem, da die meisten von ihnen ohnehin in Journalen zur Evolutionsforschung publizieren und somit ihren eigenen Publikationsvergleich bekommen.

Relevant war für uns vielmehr eine handverlesene Auswahl von Journalen, in denen insbesondere jene Ökologen ihre Ergebnisse platzieren, die sich explizit für Tiere oder Pflanzen interessieren – im Gegensatz zu denjenigen, die Mikroorganismen oder Plankton auf der Agenda haben. Natürlich gab es auch hier einzelne Grenzfälle, aber es fehlt der Bezug zu Medizin, Onkologie und Genomik, der sonst solch hohe Zitierzahlen erklärt.

Das große Interesse an den Artikeln aus der Community dürfte wohl im Klimawandel und all den anderen menschengemachten Veränderungen unserer Biosphäre begründet sein, deren Relevanz man mehr und mehr anerkennt. Damit einhergehend rücken Biodiversität und auch die Zukunft der Landwirtschaft zunehmend in den Fokus, und zwar weit über die Grenzen einzelner klischeehafter Wald- und Wiesenforscher hinweg.

Mehr Artikel als die Genomik

Um diese Zunahme an Relevanz zu belegen, haben wir im Web of Science nach Artikeln gesucht, die wortwörtlich das Stichwort „Climate Change“ enthalten. Bis in die 1980er-Jahre hinein gab es hierzu nur einzelne Publikationen pro Jahr. 1990 waren es 97 Artikel, ein Jahr später schon 248. Ab dem Jahr 1999 erschienen jährlich über eintausend Fachartikel mit diesem Schlagwort, das Jahr 2012 riss erstmals die 10.000er-Marke, und 2020 gab es 30.583 Veröffentlichungen im Format eines „Articles“, die „Climate Change“ erwähnen. Das Thema ist also gemessen an der Zahl der Veröffentlichungen immer wichtiger geworden unter den Forschern. Zum Vergleich: Das Stichwort „Cancer“ ist nach wie vor deutlich ergiebiger und liefert für 2020 über 140.000 Treffer. Anders die „Genomic*“ (das Sternchen ist ein Platzhalter für beliebige Zeichenfolgen im Anschluss), die im selben Jahr auf „nur“ 21.599 Artikel kommt – und damit hinter dem Suchbegriff „Climate Change“ zurückbleibt.

Unsere 30 meistzitierten „Köpfe“ haben im Analysezeitraum insgesamt 4.020 Publikationen in der Kategorie „Article“ herausgebracht. 798 davon, also rund zwanzig Prozent, enthalten „Climate Change“ als Schlagwort. Wie gesagt, gesucht hatten wir nur nach dieser einen wortwörtlichen Phrase, nicht nach verwandten Begriffen wie „Global Warming“ oder „Biodiversity“.

Übrigens wiesen auch die Meeres- und Frischwasserforscher zuletzt beachtliche Zitierzahlen vor, nämlich von 4.426 auf Platz 30 bis 23.517 auf Platz 1. Der Analysezeitraum lag zwischen 2011 und 2020 (LJ 6/2022: S. 40 ff. Link). Auch hier gibt es die Schnittstelle zur Ökologie, dem Einfluss des Menschen auf die Lebensräume – derzeit mit einem großen Interesse an Mikroplastik und natürlich ebenfalls an der Erderwärmung.

Die Grenze zur Landwirtschaft stecken hingegen einige dezidierte Agrarökologen ab, zum Beispiel Teja Tscharntke (2.) von der Universität Göttingen, der auch zur Pflanzenbestäubung veröffentlicht hat. Apropos Pflanzenbestäubung: Die Rolle wildlebender Bienen hierbei untersucht auch die Landschaftsökologin Alexandra-Maria Klein (29.) an der Uni Freiburg. Biodiversität und der Einfluss invasiver Arten zieht sich ebenfalls als roter Faden durch die Publikationen der Top-30-“Köpfe“. Hier sei beispielhaft Franz Essl (19.) von der Uni Wien genannt, der auch den am neunthäufigst zitierten Artikel mitverfasst hat. Demnach nimmt die Invasion fremder Arten weiter zu, Hinweise auf Sättigungseffekte gibt es keine.

Auf Platz 1 der meistzitierten Artikel landete schließlich eine Publikation zur Kollinearität. Weil Ökologie heutzutage nicht ohne Statistik geht und weil verschiedene Forscher daran mitgeschrieben haben, die wir laut der einschlägigen Kriterien den Tier- und Pflanzenökologen zuschreiben, haben wir sie in den Vergleich mit aufgenommen. Zumal der Fokus auf die Auswertung ökologischer Datensätze liegt. Statistik-Publikationen ohne diesen expliziten Bezug zu unserem Thema blieben aber draußen. Als führender Statistik-Experte sei an dieser Stelle der Erstautor dieses meistzitierten Papers genannt: Carsten Dormann von der Uni Freiburg auf Platz 13 der meistzitierten „Köpfe“.

Pflanzenforscher haben’s schwerer

Geht es um Böden und Stoffkreisläufe, mussten wir ebenfalls genauer hinschauen, um thematisch nahe genug an den Tieren und Pflanzen zu bleiben. Folglich tauchen keine Artikel zur Bodenchemie in den Tabellen auf. Auch meteorologische Publikationen, die sich dem Klimawandel widmen, waren uns zu weit von der Biologie entfernt, um die es hier schließlich gehen soll. Gerade noch hängen geblieben ist auf diese Weise eine Arbeit, für die das Autorenteam Satellitendaten zur irdischen Vegetation ausgewertet hatte. Sie belegt Platz 6 der Artikel-Tabelle.

Rund um die Gefährdung der Versorgungsketten durch den Klimawandel gibt es ebenfalls etliche Paper, die uns aber thematisch zu sehr in andere Disziplinen jenseits der Lebenswissenschaften abdriften. Auch hier aber keine Regel ohne Ausnahme, denn im Artikel auf Platz 8 widmen sich die Autoren konkret dem Soja und dem Mais sowie, welche Auswirkungen Dürren auf deren Produktion ausüben. Hier stehen wir thematisch also an der Grenze zur Landwirtschaft und Sozioökonomie, aber immerhin mit dem Schwerpunkt auf zwei Kulturpflanzen.

Tolerant in der „Köpfe“-Liste waren wir bei jenen Wissenschaftlern, die zwar auch mikrobielle Gemeinschaften untersuchen, aber eben aus den Reihen der Pflanzenforscher kommen. Marcel van der Heijden (26.) von der Uni Zürich ist einer von ihnen, der unter anderem Mikrobiome von Pflanzen untersucht, dabei aber eben auch die Merkmale und Funktionen der Pflanzen selbst in den Blick nimmt. Erwähnt sei hierzu, dass die Pflanzenforscher zwar ein eigenes Ranking haben, sonst aber kaum die Chance bekommen, in unseren medizinisch und bestenfalls zoologisch dominierten Rankings aufzufallen.

Und wo wir in dieser Rubrik gerade bei unseren grünen Mitgeschöpfen sind, wollen wir noch auf eine Datenbank des bereits erwähnten Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hinweisen: „Plant Trait Database“ heißt das Projekt, kurz: TRY (try-db.org), und sammelt Daten rund um die Morphologie, Anatomie und Biochemie von Pflanzen. Zu TRY gibt es einige Publikationen, an denen auch Autoren der Köpfe-Liste mitgewirkt haben. Der meistzitierte TRY-Artikel stammt aus dem Jahr 2020, kommt aber nur auf 630 Zitierungen und verpasst damit die Tabelle der meistzitierten „Articles“ (Glob. Change Biol. 26(1): 119-88). Allerdings finden wir den TRY-Koordinator Jens Kattge vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena auf Platz 7 der meistzitierten „Köpfe“.

Was das Geschlechterverhältnis betrifft, ist die Biodiversitätsforschung ganz und gar nicht divers aufgestellt: Nur vier weibliche Vornamen finden sich in der „Köpfe“-Liste. Auch die Ökologie ist also, wenn es um die Beteiligung an hochzitierten Papern geht, männlich dominiert. Damit unterscheidet sie sich in diesem Punkt ebenso wenig von den medizinischen Disziplinen wie in Sachen Zitierzahlen.

Im regionalen Vergleich liegt Zürich oben, fünf der „Köpfe“ haben im Analysezeitraum dort gewirkt. Mit den Standorten Fribourg, Birmensdorf und Bern ist die Schweiz insgesamt sogar achtmal vertreten. Göttingen taucht viermal als Adresse in der „Köpfe“-Tabelle auf. Das iDiv hingegen verbindet die drei Standorte Halle, Leipzig und Jena. Würde man diesen Cluster als einzelnen regionalen Spot werten, so käme man auf sieben Erwähnungen.


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Letzte Änderungen: 14.06.2023