Editorial

Tipp 191: Vollständig denaturiert aufs Gel

Trick 191

Formaldehyd ist giftig, verhindert aber, dass kleine RNAs beim Northern Blot untertauchen.

Der Nachweis kleiner RNAs mit Northern Blots wird durch die Bildung von RNA-Duplexen verzerrt. Ein einfaches, aber wirksames Denaturierungsverfahren verhindert dies.

Kleine RNAs (sRNAs) mit einer Länge von 18 bis 30 Nukleotiden kontrollieren verschiedene zelluläre Prozesse, indem sie Ribonukleoprotein-Komplexe zu einer komplementären Zielsequenz führen. Zu den drei wichtigsten sRNAs zählen ­microRNAs (miRNAS), die auf Gene fixiert sind, kleine interferierende RNAs (siRNAs) die Transposons und repetitive Elemente anvisieren sowie von Viren stammende vsRNA als Teil der Virenabwehr.

Die Erkennung und Eliminierung der Zielsequenz verläuft unabhängig von Spezies und sRNA immer nach dem gleichen Schema ab: die RNAIII-Domäne des Enzyms Dicer erkennt doppelsträngige RNA, die in der Zelle nichts verloren hat, und zerstückelt diese in 18 bis 30 Nukleotide lange sRNA Doppelstränge. Individuelle sRNAs werden anschließend als Einzelstrang-RNA auf Argonauten-Proteine des RISC-Komplexes geladen und delegieren diesen zur komplementären Ziel-mRNA, die ohne viel Federlesens von einem der Argonauten-Proteine zerschnippelt wird.

Wer reguliert sRNAs?

Biowissenschaftler kennen viele Details der sRNA Signalwege und wissen, wie ­sRNAs die Expression von Genomen auf transkriptionaler, post-transkriptionaler und translationaler Ebene regulieren. Bisher haben sie jedoch noch so gut wie keinen Schimmer davon, wie die sRNAs selbst in der Zelle reguliert werden.

Einige Forscher gehen davon aus, dass sRNAs von komplementären, so genannten kompetitiven endogenen RNAs (ceRNAs), wie von einem Schwamm aufgesogen werden, um ihre Zahl zu kontrollieren. Dieser Mechanismus würde sich jedoch auch auf die Experimente zur Quantifizierung von sRNAs und die Erstellung von sRNA-Profilen auswirken. Bei diesen extrahieren die Forscher zunächst die gesamt RNA, trennen die sRNAs mit einer denaturierenden PAGE-Elektrophorese und quantifizierten sie schließlich in einem Northern Blot.

In der Gesamt-RNA sind aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch ceRNAs der gesuchten sRNAs enthalten. Diese binden an die untersuchten sRNAs und nehmen sie in Beschlag, wodurch das sRNA-Signal auf dem Northern Blot schwächer ausfällt. Will man ein einigermaßen realistisches Bild der tatsächlich vorhandenen sRNA-Menge in der Zelle erhalten, muss man die ­ceRNA-sRNA-Duplexe vor der Elektrophorese sauber voneinander trennen. Wie dies einfach und effektiv zu bewerkstelligen ist, beschreibt David Baulcombes Gruppe von der Universität Cambridge, UK (Harris et al., Nucl. Acid Res., 43, 7590-99).

Die Briten testeten zunächst, ob die bisher verwendeten Denaturierungsverfahren geeignet sind, ein Doppelstrang-Fragment aus einer synthetischen ceRNA und einer sRNA zu trennen. Dies gelang jedoch weder in 100 °C heißem, reinem Formamid oder 8,5 M Harnstoff noch in einer 50 °C warmen Mischung aus Glyoxal und DMSO. Erst eine rigorose Behandlung der Probe mit 40 % Formaldehyd bei 55 °C verhinderte zuverlässig die Bildung von ­ceRNA-sRNA-Doppelsträngen. Die Gruppe nennt ihr Verfahren deshalb auch „Vollständig Denaturierende Formaldehyd Polyacrylamid Gelelektrophorese“, kurz FDF-PAGE.

Wie gut die FDF-PAGE die tatsächlichen Verhältnisse in vivo widerspiegelt, demonstrierte die Gruppe anhand von vsRNAs. Als Untersuchungsobjekt wählte sie hierzu das Pflanzenvirus CymRSV, dessen Genom aus einem positiven (+) Einzelstrang besteht. Die Virenabwehr der Pflanze stellt aus diesem eine vsRNA her, die die Argonauten-Proteine zur Zielsequenz führt. Mit den bisher üblichen Quantifizierungsmethoden fand man immer einen deutlichen Überschuss (mehr als 90%) an (+) Strang-vsRNA. Verwendete Baulcombes Team jedoch die FDF-PAGE-Technik, so waren (+) und (-) vsRNA gleich verteilt.

Abgefangene sRNAs

Offensichtlich bindet die (-) vsRNA bei den konventionellen Techniken an die in hoher Konzentration vorhandene Viren-RNA und wird deshalb von den Northern Blots nicht detektiert. Das vom Experimentator unbemerkte Abfangen der (-) vsRNA führt letztlich zu einer Fehlinterpretation der Versuchsdaten. So vermuten Harris et al., dass die von CymRSV stammende vsRNA von einer langen doppelsträngigen Vorläufer-RNA des Virus herrührt und nicht wie bisher postuliert von einer lokal rückwärts gefalteten Einzelstrang-RNA.

Weitere Beispiele, bei denen sRNAs ganz offensichtlich von ihren korrespon­dierenden ceRNAs weggefischt werden, fanden die Briten bei miRNAs von Arabidopsis thaliana und Mäusen. Wer dies verhindern und bei der Quantifizierung von sRNAs keine Hausnummern messen will, sollte deshalb auf die FDF-PAGE umsatteln.

Harald Zähringer



Letzte Änderungen: 30.09.2015