Editorial

Problemfach

Publikationsanalyse 2009-2013: Verhaltens- & Kognitive Neurobiologie
von Ralf Neumann, Laborjournal 4/2015


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Foto: horizonhealth.eu

Wer zuletzt Kandidatengene­ für psychiatrische Störungen mitveröffentlicht hat, findet sich wahrscheinlich in diesem Publikationsvergleich wieder. Nichts wird in der Verhaltensneurobiologie gerade stärker zitiert.

Zugegeben, die „Verhaltens- & Kognitive Neurobiologie“ gehört zu den schwierigsten Kategorien, für die wir Publikationsanalysen erstellen. Die Gründe dafür seien im Folgenden kurz dargestellt.

Als wir vor langer Zeit mit unserer Serie der Publikationsvergleiche begannen, kamen wir natürlich auch irgendwann zur Verhaltensbiologie (siehe Laborjournal 12/2002). Da packten wir dann erstmal sämtliche Forschung und jeden Forscher hinein, die irgendwie mit Verhalten zu tun hatten: Ethologen, Psychiater, kognitive und andere Neurobiologen, experimentelle (Bio)-Psychologen,...

Als wir dann das Ergebnis betrachteten, stellten wir fest, dass die Analyse vor allem von Psychiatern und Neurologen dominiert war, die natürlich so gut wie ausschließlich humane Verhaltenspathologien im Visier hatten. Dazwischen schoben sich allenfalls noch eine Handvoll kognitive Neurowissenschaftler, beispielweise solche mit Schwerpunkt Gedächtnis und Lernverhalten – wie auch einige experimentelle Psychologen.

Wer neben diesen jedoch zitatemäßig – sozusagen als „mickrige Birnen“ neben den vielen „saftigen Äpfeln“ – komplett hinten runterfiel, waren die klassisch zoologischen und physiologischen Verhaltensbiologen. Und das war definitiv nicht Sinn der Sache.

Also beschlossen wir, fortan diese beiden Lager für Publikationsanalysen in zwei entsprechende Kategorien aufzuteilen: „Verhaltensbiologie“ für die zoologische Verhaltensforschung und eben „Verhaltens- & Kognitive Neurobiologie“ für die human beziehungsweise medizinisch orientierten Verhaltens-(Hirn)forscher.

Lagerbildung

Auch wenn es zwischen diesen beiden „Lagern“ weiterhin schwierige Grenzkonflikte gibt (Beispiel Primatenforscher), so bescheinigten uns dies doch viele als gute und richtige Maßnahme.

Die vorliegende Analyse „Verhaltens- & Kognitive Neurobiologie“ bescherte uns allerdings jetzt ein neues Problem. Und auch wenn uns dieses für den Publikationsvergleich einiges „Bauchgrummeln“ bescherte, spiegelt es womöglich doch einige typische Züge in der generellen „Evolution“ von Forschungsdisziplinen wider.

Das neue „Problem“ manifestiert sich darin, dass regelmäßige Leser unserer Publikationsvergleiche sich womöglich wundern, dass sie vielen Köpfen der 50 meistzitierten Verhaltens- und Kognitiven Neurobiologen (siehe Tabelle Seite 41) doch erst kürzlich begegnet sind.

Durchmarsch an die Spitze

In Einzelfällen ist dies nichts Außergewöhnliches. Schließlich haben wir ja seit jeher auch noch die zwei Publikationsvergleiche „Neurowissenschaften“ (klinischer und nicht-klinischer Teil). Und dass es die meistzitierten Verhaltens- und Kognitiven Neurobiologen als „Sub-Disziplinler“ auch dort hinein schafften, war logisch – und nahmen wir in Kauf.

Zuletzt aber drängten immer mehr Verhaltensneurobiologen mit hohen Zitierzahlen in die allgemeinen Neuro­wisenschafts-Vergleiche hinein. Vor allem im letzten Vergleich „Nicht-klinische Neurowissenschaften“ (LJ 1/2014) marschierten deren Vertreter durch bis an die absolute Spitze.

Grund dafür ist der Siegeszug der sogenannten Psychiatrischen Genetik und deren Jagd nach Kandidatengenen für psychiatrische Erkrankungen und Störungen. Gerade in den letzten Jahren brachten deren Protagonisten zusammen mit klinischen Psychiatern und Neurologen einige genetische Assoziationsstudien heraus, die nahezu durchweg kräftig zitiert wurden. Dementsprechend finden sich auch sechs davon unter den zehn meistzitierten Artikeln des Zeitraums 2009 bis 2013 mit Autoren-Beteiligung aus dem deutschen Sprachraum. Und ebenso folgerichtig liegen auf den ersten sieben (!) Plätzen in der Liste der meistzitierten Köpfe Forscher, die zumindest einen Großteil ihrer Zitierungen der Beteiligung an solchen „Kandidatengen-Studien“ verdanken – und auch jenseits von Platz 7 folgt noch eine ganze Reihe weiterer Kollegen. Mit dem Bonner Markus Nöthen, der Mannheimerin Marcella Rietschel und dem Hallenser Dan Rujescu seien hier stellvertretend nur die ersten Drei namentlich genannt.

Kombi-Zwitter-Subdisziplin

Doch damit sind noch nicht alle Widrigkeiten angesprochen. Wie der Name schon sagt, ist die Psychiatrische Genetik eine Art Zwitter-Disziplin. Und das Suchen nach Kandidatengenen, deren Aktivitäten gewisse Phänotypen und Verfassungen des Menschen beeinflussen, wird gemeinhin zurecht unter humangenetischer Forschung eingeordnet. Sie ahnen schon, was kommt? Genau – eine ganze Handvoll der „Gensucher“ unter den hier gelisteten Verhaltens- und Kognitiven Neurobiologen schaffte es vor etwas über einem Jahr schon unter die fünfzig meistzitierten Humangenetiker (LJ 12/2013). So belegten damals etwa die oben genannten Top 3 des vorliegenden Vergleichs – Markus Nöthen, Marcella Rietschel und Dan Rujescu – bereits im Humangenetik-Vergleich die Plätze 6, 9 und 8. Kandidatengene für psychiatrische Störungen sind in diesem Zusammenhang offenbar nochmal mehr Zitate wert als analoge Kandidatengene etwa für Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die „Kombi-Subdisziplin“ Psychiatrische Genetik insbesondere mit ihren genetischen Assoziationsstudien zu psychiatrischen Störungen gerade derart viele Zitierungen sammelt, dass deren Artikel und Vertreter gleichsam auch die Gipfel der betroffenen Dachdisziplinen erklimmen. Und dies zum Teil entsprechend mehrfach – in den Neurowissenschaften, der Verhaltensforschung und der Humangenetik.

Kein Wunder also, dass so manchem Leser einige Namen der Top 50-Liste bereits bekannt vorkommen. Wir hingegen müssen in diesem Zusammenhang darüber nachdenken, ob unsere Disziplin-Kategorien in dieser Form überhaupt noch Sinn machen. Aber wie gesagt – das müssen wir ja ständig, da die Disziplin-Landschaft der Biomedizin einem stetigen inhaltlichen Wandel unterliegt. Und manchmal geht es eben sehr schnell.

Nun aber weg von der Psychiatrischen Genetik: Was fällt noch auf in den Zitationslisten?

Obwohl die Psychiatrie auch eine starke klinische Disziplin ist, schafften es nur zwei klinische Artikel in die Top 10 der meistzitierten Paper: eine Meta-Studie über Schizophrenie-Medikamente auf Platz 2, und auf Platz 6 eine klinische Studie zum präventiven Einsatz von langkettigen Omega-3-Fettsäuren gegen psychotische Störungen – inklusive Schizophrenie.

Einschließlich dieses Artikels beschäftigen sich somit sechs Top 10-Artikel mit Schizo­phrenie (Plätze 1, 2, 5, 6, 8 und 9), womit das Top-Thema der humanen Verhaltensneurobiologie ausgemacht wäre. Zwei Publikationen drehen sich um Stressverhalten (Plätze 4 und 7) sowie eine weitere um die Suchtneigung zum Rauchen (10). Bleibt auf Platz 3 noch eine Meta-Studie zur Häufigkeit mentaler Störungen in Europa überhaupt.

„Echte“ kognitive Neuroforscher findet man nur vereinzelt unter der Phalanx derer, die sich vorrangig mit Verhaltensstörungen und/oder -krankheiten beschäftigen. Am weitesten nach oben schafften es der Düsseldorfer Simon Eickhoff (9.) und der Kölner Gereon Fink (18.). Beide betreiben den kognitionswissenschaftlichen Teil ihrer Forschung vornehmlich am Forschungszentrum Jülich.

Sieben Frauen und ein Exot

Bleibt noch der Blick auf das Geschlechterverhältnis: Sieben Frauen schafften es unter die Top 50 – für eine Disziplin mit starkem medizinisch-klinischen Anteil eine vergleichsweise gute Quote.

Und zum Schluss noch die Erwähnung eines „Exoten“: den Entwicklungspsychologen Ulman Lindenberger auf Platz 26. Seine Forschungsschwerpunkte nehmen sich mit „Neuronale und Verhaltensplastizität der Lebensspanne“ sowie „Zusammenhänge zwischen Verhalten und Gehirn über die Lebensspanne“ zwar kaum exotisch aus. Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hätten wir sie aber nicht unbedingt vermutet.


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Letzte Änderungen: 02.04.2015