Editorial

Nerv und Seele

Zitationsvergleich 2003 bis 2006: Neurowissenschaften, klinischer Teil
von Lara Winckler, Laborjournal 4/2010


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Die Top 50 der klinischen Neurowissenschaften 2003 - 2006 erforschten vor allem die Klassiker Hirnblutung, Schlaganfall, Hirntumoren, Morbus Parkinson und Demenzen. Doch auch seelische Erkrankungen wie Depression, Affektstörung und Schizophrenie fanden die Aufmerksamkeit der Community.

Neurologen sind spezialisiert auf die Erkrankungen des Nervensystems: Entzündungen durch Bakterien und Viren, Nervenentmarkungen wie Multiple Sklerose, degenerative Hirnerkrankungen wie Demenzen, Gefäßerkrankungen, die zu Hirninfarkt führen, Epilepsie, Morbus Parkinson sowie Tumoren von ZNS und peripheren Nerven.

Wichtigstes Merkmal, das die Neurologen von den neurowissenschaftlichen Grundlagenforschern unterscheidet, ist der direkte Kontakt zum Patienten. Daher rechnen wir etwa Neuropathologen, die zwar Patientenproben analysieren, deren Forschung jedoch nicht patientenorientiert ist, zu den Nicht-Klinischen.

Von den 156 Journals, die ISI Web of Science in der Kategorie „Clinical Neurology“ führt, finden sich eine ganze Reihe auch in der Kategorie „Neurosciences“. Darunter etwa die Zeitschrift Neuropathology und das Journal of Neural Transmission, das sich selbst an der Schnittstelle zwischen neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung zur Pathogenese neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen einerseits und klinischer Neurologie und Psychiatrie andererseits platziert.

Eine eindeutige Unterscheidung zwischen klinischen und nicht-klinischen Neurowissenschaftlern nur anhand der Zahl der Veröffentlichungen in der jeweiligen Kategorie ist so oft nicht möglich, die Grenzen zwischen den Disziplinen sind entsprechend verschwommen.


„Klassiker“ noch in Überzahl

Der größte Teil der Top 50 unter den klinischen Neurowissenschaftlern arbeitet an einer Neurologischen Klinik, doch gibt es einige „Ausreißer“: Vor allem die Abgrenzung zur Psychiatrie war nicht ganz trivial. Als Disziplin zur Prävention, Diagnostik und Therapie seelischer Erkrankungen, wie Depressionen, Verhaltens- und Wahrnehmungsstörungen, haben Psychiater mit den Neurologen viele gemeinsame Gesprächs- und Forschungsthemen. Umso mehr, als sich für immer mehr „Störungen der Seele“ handfeste molekulare Ursachen finden, wie etwa Gene für Schizophrenie.

Sieben Mitarbeiter Psychiatrischer Kliniken zählen zu den meistzitierten klinischen Neurowissenschaftlern der Jahre 2003 bis 2006, darunter drei der zehn Höchstplatzierten. Unter ihnen sind Hans-Jürgen Möller (3.), Direktor der Psychiatrischen Klinik der LMU München, der seinen Forschungsschwerpunkt auf der bio­logischen Psychiatrie von schizophrenen und affektiven Erkrankungen hat, und Florian Holsboer (9.), dem wir schon bei den Nicht-Klinischen begegnet sind. Er erforscht neben den genetischen Ursachen von Depressionen, Angsterkrankungen und Schlafstörungen auch Möglichkeiten zu deren Behandlung. Niels Birbaumer (14.), Ordinarius für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, Uni Tübingen, arbeitet an Neuroprothesen für Hirn-Computer-Schnittstellen, Neuroimaging von Lernprozessen und Emotionen sowie der Verhaltensmedizin in der Neurologie chronischer Schmerzen.

Trotz dieser Ausdehnung des „neurologischen Horizonts“ sind jedoch die meistzitierten Artikel und alle Reviews bis auf einen fest in der Hand der Neurologen: Obwohl sich die Psychiater durchaus behaupten, zitiert die Community bevorzugt die klassischen Neurologiethemen: Zwei Artikel der Arbeitsgruppen um Michael Weller (2.) und Ulrich Bogdahn (10.) über Hirntumore belegen die beiden ersten Plätze, gefolgt von fünf Arbeiten zu Schlaganfall und Hirnblutung der Gruppen um Werner Hacke (4.), Hans-Christoph Diener (1.) und Michael Hennerici (33.). Außerdem gibt es zwei Top 10-Artikel zu Morbus Parkinson und einen über die Behandlung von Multipler Sklerose.

Mit der Erkenntnis, dass die Trennung zwischen Erkrankungen der Neuronen und jenen der Seele nicht absolut ist – möglicherweise gibt es für jede seelische Störung eine neurologische Erklärung – wird vielleicht auch die Trennung der Neurologischen von den Psychiatrischen Kliniken irgendwann aufgehoben.


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Letzte Änderungen: 26.04.2010