Editorial

Die Welt der Zellen ist keine Scheibe
Produktübersicht: 3D-Zellkultursysteme

3D-Zellkultursysteme im Überblickpdficon

(24.04.2024) Zellen lassen sich mit verschiedenen Techniken dazu bringen, dreidimensional zu wachsen. Gemeinsamer Tenor aller 3D-Kultursysteme ist, dass sie das Anwachsen der Zellen an die Oberfläche der Kulturgefäße vereiteln.

Dass Zellen nicht besonders erpicht darauf sind, in zweidimensionalen Schichten auf den Oberflächen von Kulturgefäßen zu wachsen oder als Einzelzellen in Suspensionskulturen regelmäßig von Rührwerken, Schikanen oder Propellern „verprügelt“ zu werden, wissen Forschende schon seit den Anfängen der dreidimensionalen (3D-)Zellkultur in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Und genauso lange ist ihnen klar, dass weder adhärente Zellen noch Suspensionskulturen adäquate Modelle sind, um die Entstehung von Krankheiten oder die Wirkung von Medikamenten in Organen oder Geweben möglichst realitätsnah abzubilden.

Der Abschied von zweidimensionalen Kulturen fiel Zellkultivierenden jedoch lange Zeit schwer, weil ihnen das Risiko, ein über Jahre etabliertes und bewährtes zweidimensionales Kultursystem umzustellen, zu groß war oder passende kommerzielle 3D-Zellkultursysteme fehlten. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der angebotenen 3D-Zellkultursysteme jedoch so stark angewachsen, dass es zumindest in dieser Hinsicht kaum noch einen Grund gibt, nicht in die 3D-Zellkultur einzusteigen. Die Palette reicht von Mikrotiterplatten mit zellabweisenden, antiadhäsiven Oberflächen über Hydrogele und andere Gerüst- beziehungsweise Scaffoldstrukturen bis zu ausgefeilten Bioreaktoren sowie 3D-Biodruckern.

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In hängenden Tropfen wachsen Zellen auch ohne spezielle Zellkulturgefäße zu Sphäroiden heran. Der Austausch des Mediums ist aber etwas umständlich. Foto: IGB

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Im Grunde genügt aber schon eine simple Kulturschale mit Deckel, um mit der von dem Zellkultur-Pionier Ross Harrison Anfang des 20. Jahrhunderts an der Universität Yale erfundenen Hanging-Drop-Methode kleine dreidimensionale Zellkügelchen oder Sphäroide zu kultivieren. Harrison pipettierte einen Tropfen Nährlösung, der ein kleines Stück Nervengewebe enthielt, auf ein Deckgläschen, drehte das Glasplättchen auf den Kopf und platzierte den Tropfen genau über der Vertiefung eines Objektträgers.

Anschließend versiegelte er die Kontaktstellen von Deckglas und Objektträger mit Wachs und beobachtete mit einem Mikroskop, wie die Nervenfasern in dem Tropfen in wenigen Tagen in die Länge wuchsen.

Hätte Harrison einen anderen Zelltyp, etwa eine Krebszelle, in dem Tropfen kultiviert, wäre ihm sicher aufgefallen, dass die Zellen aufgrund der Schwerkraft nicht an der Unterseite des Deckgläschens anhaften können und stattdessen an der inneren Grenzfläche des Tropfens zur Luft zu einem kleinen Sphäroid zusammenwachsen.


Magnetschwebebahn für Zellen

Die unterbundene Adhäsion der Zellen an die Oberfläche des Zellkulturgefäßes ist die Basis für nahezu alle sogenannten Scaffold-freien 3D-Zellkultursysteme, bei denen die Zellen nicht auf einer stützenden Gerüststruktur wachsen. Ziemlich einfach lässt sich das Andocken der Zellen an das Oberflächenmaterial mit der sogenannten magnetischen Levitation verhindern. Dazu inkubiert man die Zellen einige Zeit mit magnetischen Nanopartikeln, die an der Zelloberfläche anhaften, und hält die magnetisierten Zellen danach mit einem über dem Kulturgefäß angebrachten Permanentmagneten in der Schwebe. Wie bei der Hanging-Drop-Technik finden die quasi schwerelos durch das Zellkulturmedium treibenden Zellen zusammen und werden hierdurch angeregt, die verschiedenen Komponenten der Extrazellulären Matrix (EZM) zu exprimieren, etwa faserförmige Glykoproteine sowie Proteoglykane. Ähnlich wie in einem natürlichen Gewebe umgibt die Extrazelluläre Matrix die Zellen des entstehenden Sphäroids. Das EZM fungiert dabei nicht nur als mechanisches Gerüst, sondern auch als Medium, über das sowohl die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen erfolgt als auch die Kommunikation der Zellen untereinander. Auch in speziellen Mikrotiterplatten für die 3D-Zellkultur, deren meist U- oder V-förmige Näpfchen mit aalglatten Beschichtungen oder zellabweisenden Oberflächenstrukturen versehen sind, bleibt den Zellen nichts anderes übrig, als zu kleinen Zellkügelchen heranzuwachsen.

Besonders ausgeklügelt, aber auch entsprechend teuer, sind Bioreaktoren für die 3D-Zellkultur, die als sogenannte Rotating-Wall-Vessel (RMV)-Reaktoren ausgelegt sind. RMV-Reaktoren sind zwar wesentlich komplexer aufgebaut als simple Mikrotiterplatten. Wie bei Letzteren geht es aber auch hier nur darum, die Zellen in einem Schwebezustand zu halten und das Anhaften an der Reaktoroberfläche zu unterbinden. Schweben und Schwerelosigkeit sind auch das ureigenste Metier von Luft- und Raumfahrtingenieuren und -ingenieurinnen. Es ist daher kein Zufall, dass der Vorläufer des RWV-Reaktors, der sogenannte Clinostat, 1983 von dem Raumfahrtmediziner Wolfgang Briegleb an der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Köln konstruiert wurde. Beim Clinostat rotiert eine Plattform um eine horizontale, senkrecht zur Schwerkraft angeordnete Achse. Auf der Plattform ist sehr nah am Rotationszentrum eine Küvette oder Zellkulturflasche montiert, die zum Beispiel mit einer Zellsuspension befüllt ist. Rotiert die Plattform mit der passenden Geschwindigkeit, treiben die Zellen in einem Mikrogravitationsfeld nahezu schwerelos in der Kulturflasche.

Briegleb untersuchte mit dem Clinostat insbesondere die Auswirkungen der Mikrogravitation auf Zellen. Seine US-amerikanischen Kollegen Ray Schwarz und David Wolf von der National Aeronautics and Space Administration (NASA) kamen Anfang der Neunzigerjahre auf die Idee, den Clinostat zu einem RWV-Reaktor für die 3D-Zellkultur umzumodeln. Dazu ersetzten sie die Plattform durch einen hohlen, mit der Zellsuspension befüllten Zylinder. Im Rotationszentrum des Zylinders ist ein dünner, mit einer Membran überzogener zweiter Zylinder angeordnet, über den der Gasaustausch stattfindet. Dieser Zylinder dreht sich mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit wie der äußere um die gemeinsame horizontale Achse. Rotieren beide Zylinder, stellt sich ein fein austariertes Gleichgewicht zwischen zentrifugalen und hydrodynamischen Kräften ein, das die Zellen, ohne größere Turbulenzen zu verursachen, in der Schwebe hält und hierdurch die Bildung von Sphäroiden begünstigt.

Es geht auch einfacher

Das Clinostat-Prinzip findet man in verschiedenen kommerziellen Varianten des RWV-Reaktors. So kompliziert wie im Clinostat muss man die Sache aber offensichtlich gar nicht angehen. Vor wenigen Jahren brachte ein deutscher Hersteller einen kleinen Benchtop-Reaktor für die 3D-Zellkultur auf den Markt, in dem sich zwei senkrecht stehende Zellkultur-Vials im ständigen Wechsel einige Umdrehungen mit und dann wieder gegen den Uhrzeigersinn um die eigene Achse drehen.

Der Trick sind offensichtlich speziell geformte kleine Flossen am flachen Boden der Tubes. Zusammen mit den ständig hin und her wechselnden Beschleunigungskräften der Drehbewegungen sorgen sie dafür, dass sich die Zellen sehr schonend und ohne gefährlichen Scherkräften ausgesetzt zu sein, zu Sphäroiden zusammenballen.

Während kleine Sphäroide oft ohne stützende Gerüststrukturen oder Scaffolds kultiviert werden, sind für die Herstellung künstlicher Gewebe Trägersubstanzen erforderlich, die den Zellen nicht nur als formgebendes Fundament dienen, sondern auch ihre ursprüngliche Umgebung in den natürlichen Organen nachbilden sollen. Als Scaffolds verwenden Zellkultivierende meist Hydrogele oder andere schwammartige Biomaterialien, die sie inzwischen häufig mit Biodruckern in Form bringen und mit den gewünschten Zellen versehen.

Mit Tintenstrahl ...

Kaum waren Ende der Achtzigerjahre die ersten Tintenstrahldrucker auf dem Markt, versuchten Forschende mit ihnen auch Zellen zu drucken. Richtig los ging es damit aber erst im neuen Millenium mit zellschonenderen Drucktechniken – ganz so einfach wie ein Tropfen Tinte lässt sich eine Zelle nicht auf eine Trägersubstanz drucken, ohne sie dabei zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen.

Wie die farbige Tinte in einem konventionellen Tintenstrahldrucker fließt auch die aus den Zellen und dem Scaffold-Material bestehende Biotinte durch eine feine Düse. In thermischen Biotintenstrahldruckern erzeugt ein kurzer Heizimpuls mit hoher Frequenz an der Düse Flüssigkeitsblasen. Nach den kurzen Heizphasen zerfallen die Blasen in 10 bis 150 Mikrometer große Tropfen, die schließlich aus der Düse austreten. Bei piezoelektrischen Tintenstrahldruckern vibriert die Düse so stark, dass sich ebenfalls winzige Tropfen bilden. Ein elektrisches Feld leitet die aus der Düse fallenden leitfähigen Tropfen bei beiden Gerätetypen anschließend in die gewünschte Richtung.

Nach dem Prinzip einer Zahnpastatube oder einer Kartusche für Sanitärsilikon funktionieren sogenannte Extrusions-Biodrucker. Die Biotinte wird in diesen mit mechanischer Kraft, etwa mithilfe eines Kolbens, durch die Düse gepresst und fließt in einem kontinuierlichen Strom auf die gewählte Trägeroberfläche. Ursprünglich entwickelten Forschende Extrusions-Biodrucker, um auch zähflüssige Biotinten drucken zu können, die die Druckköpfe von Biotintenstrahldruckern häufig verstopfen. Sie erkannten aber schnell, dass sich mit der Extrusions-Technik auch größere Gewebestrukturen relativ einfach herstellen lassen, und nutzen sie insbesondere für das Tissue-Engineering.

Mit einer räumlichen Auflösung von wenigen Mikrometern lassen sich künstliche Gewebe oder Organe mit dem Laser-induzierten Biodruck herstellen. Im Prinzip benötigt man dazu nur einen UV-Laser, der wenige Nanosekunden andauernde Laserimpulse abfeuert, ein dreilagiges Donorsubstrat sowie ein Empfängersubstrat, auf dem Zellen wachsen können.

... oder Laser

Die äußere Schicht des Donorsubstrats besteht aus einem lichtdurchlässigen Material, das an der Unterseite mit einer Laserlicht absorbierenden Substanz, etwa Gold, überzogen ist. Direkt unter dieser ist die aus Zellen, Hydrogel oder anderen Biomaterialien bestehende Biotinte platziert. Trifft der Laserstrahl auf die Goldbeschichtung, verdampft das im Fokus des Lasers liegende Gold. In der Biotinte entsteht hierdurch eine Luftblase, die sich schließlich zu einem dünnen Strahl ausdehnt, der kleine Tropfen der Biotinte mitreißt und auf das Empfängersubstrat schleudert. Mit dem Laser-induzierten Bioprinting können Forschende beliebige Gewebeformen präzise herstellen. Die dritte Dimension erreichen sie dabei einfach durch Übereinanderschichten der aus dem Donorsubstrat geschleuderten Tropfen an vorgegebenen Positionen.

Ein Manko bleibt aber selbst bei den ausgefeiltesten 3D-Zellkultursystemen bestehen, das insbesondere die Kultur möglichst naturnaher Organoide beeinträchtigt: In den künstlichen Zellhaufen fehlen klar strukturierte Gradienten von Morphogenen, die in den Organen die Musterbildung während der Entwicklung lenken. Dazu bräuchte man ein Vehikel, mit dem man Morphogene ganz gezielt in gewünschte Areale von Organoiden einschleusen könnte, um in diesen entsprechende Morphogen-Gradienten zu etablieren.

Eine Technik, mit der dies gelingen könnte, stellen Kerstin Göpfrich und Joachim Wittbrodt von der Universität Heidelberg zusammen mit ihren Mitarbeitern Tobias Walther und Cassian Afting in einem bioRxiv-Manuskript zur Diskussion (doi.org/mp5z). Die Forschenden entwickelten einfach herzustellende DNA-Microbeads aus Y-förmigen DNA-Nanostrukturen, die sie über eine photoreaktive Gruppe mit dem als Morphogen wirkenden Wnt-Surrogat-Protein verknüpften. Injizierte die Gruppe die modifizierten DNA-Microbeads in Retina-Organoide und setzte das Morphogen mit einem Lichtimpuls frei, bildete sich ausgehend von der Injektionsstelle ein Morphogen-Gradient, der in dem Organoid zur gleichen Musterbildung führte wie im natürlichen Vorbild. Noch ist die Arbeit von Göpfrich und Wittbrodt nur eine Konzeptstudie. Sie könnte aber den Weg zu noch naturgetreueren 3D-Zellkultursystemen ebnen.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 4/2024, Stand: März 2024, alle Angaben ohne Gewähr)


Letzte Änderungen: 24.04.2024