Editorial

Weniger ist mehr
Produktübersicht: Zellkulturmedien

Alle Produkte im Überblick pdficon

Fetales Kälberserum in Kulturmedien ist längst nicht mehr zeitgemäß. Aber auch Forscher verzichten nur ungern auf liebgewonnene Gewohnheiten.

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Der Preis für fetales Kälberserum hängt unter anderem vom Viehbestand in den USA ab. Sind die Rancher, wie nach der Dürre 2012, dazu gezwungen ihre Herden zu verkleinern, müssen Forscher mit stark steigenden Preisen und einem Engpass für FCS rechnen.

Mehr als fünf Jahre sind seit der letzten Produktübersicht zu Zellkulturmedien vergangen. Schon damals lautete der Grundtenor des Einführungs-Textes, dass es höchste Zeit ist, auf fetales Kälber (Rinder) Serum (FCS) als Zusatz für Zellkulturmedien zu verzichten und auf serumfreie, chemisch definierte Medien umzusteigen. Und wie sieht es heute aus? Die Zahl serumfreier Alternativen ist in den letzten Jahren weiter gestiegen − genauso wie die Nachfrage nach FCS! Viele Forscher wollen offensichtlich partout nicht von ihrem geliebten FCS lassen und scheuen nach wie vor den zugegebenermaßen mit Aufwand und einem Restrisiko verbundenen Umstieg auf definierte Medien.

Abhängig vom Serumkartell

Hieran scheinen weder der im vorletzten Jahr publik gewordene Skandal (siehe hierzu auch LJ 9/2013, 67-69) um gepanschte Kälberseren des inzwischen zu GE Healthcare gehörenden Serumlieferanten PAA etwas zu ändern, noch die exorbitant gestiegenen Serum-Preise. Mittlerweile liegt der Preis für Rohserum bei etwa 700 Dollar pro Liter für Seren von US-Rindern und rund 1.300 Dollar für Seren von australischen oder neuseeländischen Rindern. Bei den Lieferanten für aufbereitetes Serum bezahlt man bis zu 500 Euro für einen halben Liter, und die großen Hersteller wie zum Beispiel Life Technologies stimmen ihre Kunden gerade auf weitere Preissteigerungen ein.

Auslöser hierfür ist neben einer Dürre in den USA in 2012, die die Rancher dazu zwang, ihre Rinderherden zu verkleinern, auch die zunehmende Monopolisierung der Serum-Industrie. Gegenwärtig dominieren drei große Konzerne das weltweite Geschäft mit Rinderserum und diktieren entsprechend die Preise.

Auf die Spitze getrieben wird die Situation durch den Sturzflug des Euros, der europäische Käufer des in Dollar gehandelten Rinderserums zusätzlich bluten lässt. Ändern dürfte sich an dieser Situation in nächster Zukunft wenig. Im Gegenteil, die Serum-Preise werden vermutlich weiter zulegen.

Ganz abgesehen von der ethisch mehr als fragwürdigen Gewinnung des Rinderserums und der Gefahr, die von Viren, Bakterien, Pilzen, Prionen und unbekannten Bestandteilen in Rinderserum ausgeht: Welcher Zellkultivierer will eigentlich auf Dauer vom Wetter und dem Viehbestand in den USA sowie einem Serum-Kartell abhängen? Den derzeitigen Rinderserum-Engpass könnte man also durchaus zum Anlass nehmen, um ernsthaft über Alternativen nachzudenken.

Was kann raus?

Mit die größten Anstrengungen bei der Kultivierung von Säugerzellen mit chemisch definierten Medien machten in den letzten Jahren die Stammzellforscher. Die haben hierzu natürlich auch den größten Anreiz, denn Rinderviren oder Bakterien können sie in kultivierten Stammzellen, die zum Beispiel für therapeutische Zwecke eingesetzt werden sollen, absolut nicht gebrauchen.

Eines der bekanntesten Medien für die Kultivierung induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS) ist zum Beispiel das 2011 von der Gruppe des amerikanischen Stammzellforschers James Thomson entwickelte E8-Medium. Das inzwischen kommerziell erhältliche E8 enthält acht Bestandteile und entstand aus dem bereits 2006 ebenfalls von der Thomson-Gruppe vorgestellten TeSR-Medium.

Interessant und für die Verwendung von Zellkulturmedien bezeichnend ist, wie aus TeSR E8 wurde. TeSR besteht noch aus 18 Komponenten, die das als Basalmedium verwendete DMEM/F12 (52 Bestandteile) ergänzen. Eine wesentliche Protein-Komponente in TeSR ist Rinderserum-Albumin (BSA). Wie Thomsons Gruppe herausfand, besteht die einzige Funktion von BSA aber nur darin, die toxische Wirkung des routinemäßig zu Stammzellmedien hinzuge-gebenen β-Mercaptoethanols zu unterdrücken.

Nur acht Zutaten

An Quacksalberei erinnert, warum β-Mercaptoethanol überhaupt in Medien für humane Stammzellen auftaucht: In einer Arbeit aus dem Jahr 1978 erhöhte es die Klonierungseffizienz in embryonalen Maus-Stammzellen und wird seither auch humanen Stammzellmedien zugesetzt. Lässt man β-Mercaptoethanol weg, kann man auch auf BSA verzichten, wodurch schon mal zwei völlig überflüssige Zutaten aus der Rezeptur verschwinden.

Nach diesem Befund wollte es die Gruppe um Thomson genau wissen. Akribisch testete sie, wie die restlichen Komponenten des BSA- und β-Mercaptoethanol-freien Mediums miteinander wechselwirkten und welche Substanzen das Zellwachstum tatsächlich positiv beeinflussten. Am Ende blieben gerade mal acht essentielle (E8) Medium-Komponenten übrig: Insulin, Selen, Transferrin, L-Ascorbinsäure, die Wachstumsfaktoren FGF2 und TGFβ (oder NODAL) sowie das Basalmedium DMEM/F12 (plus NaHCO3 für die Einstellung des pH-Wertes).

Eine interessante FCS-Alternative für die Kultur von humanen mesenchymalen Stromazellen (MCS), die derzeit intensiv auf ihre Eignung für somatische Stamm-zell-Therapien erforscht werden, ist Thrombozyten- oder Blutplättchen-Lysat (hPL). hPL wird in einem simplen, von der Gruppe des Innsbrucker Vorreiters für FCS-Alterna-tiven, Gerhard Gstraunthaler, entwickelten Gefrier-Auftau Verfahren aus abgelaufe-nen Thrombozyten-Konserven gewonnen (Rauch et al., 2011, ALTEX 28, 305-16). Bei diesem werden die Blutplättchen zu-nächst durch zweimaliges Gefrieren bei 80 °C und anschließendem Auftauen bei 37 °C geknackt. Anschließend zentrifugiert man die Suspension eine halbe Stunde bei 2.600g, filtriert den Überstand durch ei-nen 2μ-Filter und setzt zum Schluss etwas Heparin zu, das verhindern soll, dass das Blutplättchen-Lysat geliert.

Wachstumsfaktor-Cocktail

Wie nicht anders zu erwarten, enthält hPL einen konzentrierten Mix thrombozy-tärer Wachstumsfaktoren, der das Wachstum verschiedener Zelltypen unterstützt, etwa das von humanen mesenchymalen Stromazellen, Endothelzellen oder Fibroblasten.

Man sollte bei hPL jedoch immer im Hinterkopf behalten, dass dieses kein definierter Mediumzusatz ist und auch un-bekannte Inhaltsstoffe enthält. Wer detaillierte Informationen zu den Vor- und Nachteilen von Blutplättchen-Lysat als Ersatz für FCS sucht, findet diese zum Beispiel in einem Review, den der Stammzell-Spezialist Wolfgang Wagner von der RWTH Aa-chen zusammen mit zwei seiner Mitarbeiter im letzten Jahr veröffentlichte (Hemeda et al., Cytotherapy, 16: 170-80).

Eine große Zahl weiterer kommerzieller Zellkulturmedien, die frei sind von tierischen Bestandteilen (Animal-free), nur Komponenten der gleichen Spezies enthalten (Xeno-free), auf Kälber- oder andere Seren verzichten (Serum-free), oder die vollständig chemisch definiert sind, finden Sie auf den nächsten Seiten.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 01/2015, Stand: Januar 2015, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 14.02.2015