Editorial

Rührer oder Welle
Produktübersicht: Bioreaktoren und Cellbags

Alle Produkte im Überblick pdficon

Welle

Wenn sich die Zellkulturflaschen bis an die Decke des Brutraums stapeln, wird es Zeit für einen Bioreaktor.

Es muss ja nicht gleich ein raumhoher Fermenter aus Edelstahl sein, mit mehreren Kubikmetern Inhalt und einem Schiffspropeller als Rührwerk. Nahezu alle Hersteller von großvolumigen Biorektoren für die Pharmaindustrie bieten auch kleiner dimensionierte Reaktormodelle an, die für den Einsatz in Forschungslaboren konzipiert sind. Ihre Volumina reichen in der Regel von einigen hundert Millilitern bis zu etwa 10 Litern. Wer bei der Produktion von Zellen oder den aus diesen gewonnen Produkten in die Vollen gehen will, erhält aber auch wesentlich größere Reaktoren im 100- oder 1000-Liter-Maßstab.

Der klassische Bioreaktor für den Laborgebrauch ist aber ein kleiner zylinderförmiger Rührkessel aus Glas, der mit einem Edelstahldeckel verschlossen ist. Durch eine abgedichtete Öffnung im Zentrum des Deckels taucht ein motorgetriebener Rührstab in das Zellkulturmedium ein und mischt dieses mit einem oder mehreren propellerförmigen Mischern am Stabende. Über ein Begasungssystem, etwa ein durch den Deckel in das Medium ragendes Röhrchen (Sparger), wird Sauerstoff in den Reaktor eingeblasen. Verschiedene Sensoren, die ebenfalls im Verschlussdeckel untergebracht sind und ins Reaktorinnere ragen, messen und regeln für die Zellkultur relevante Parameter, wie zum Beispiel Temperatur, pH oder die Menge des gelösten Sauerstoffs.

Plastik statt Edelstahl

Die in Zellkulturlaboren sehr beliebten Spinnerflaschen sind im Grunde abgespeckte Varianten des klassischen Rührkesselreaktors. Ein simpler Plastikdeckel ohne Zugangsöffnungen ersetzt hier den Edelstahldeckel und den Antrieb des meist unter dem Deckel eingehängten Einzel- oder Zwillingsrührstabs übernimmt ein Magnetrührer. Zwei verschließbare Seitenarme, die rechts und links an der Spinnerflasche angeordnet sind, verschaffen Zugang zum Flascheninneren und sorgen über entsprechende Filter für den Gasaustausch im Brutschrank.

Lange Zeit waren Spinnerflaschen und Rührkesselreaktoren praktisch konkurrenzlos, wenn es darum ging, größere Zellmengen in einem platzsparenden, kompakten System zu kultivieren. Dies änderte sich 1996. Damals kam der für das amerikanische Pharmaunternehmen Shering-Plough arbeitende Biotechnologe Vijay Singh auf dem Rückflug von einem Meeting in Sydney auf die Idee, Zellen in Plastikbeuteln zu kultivieren und diese als Einweg-Bioreaktoren zu verwenden.

Singh war nicht der erste, der diesen Gedanken hatte – seine Vorgänger waren jedoch an zwei wesentlichen Schwierigkeiten der Zellkultur in Plastikbeuteln gescheitert: der Zufuhr von Sauerstoff in das Kulturmedium und der Durchmischung der Flüssigkeit.

Surfende Zellen

Singh löste beide Probleme auf einfache und elegante Weise. Zunächst versah er die Kulturbeutel mit Schlauchanschlüssen für den Gasaustausch. Das allein genügte jedoch nicht, um ausreichend Sauerstoff im Kulturmedium physikalisch zu lösen. Sein entscheidender Kniff bestand darin, die Beutel nur zur Hälfte zu befüllen und sie dann auf einem Laborschüttler sanft auf und ab zu bewegen. Die Wippbewegung erzeugt in dem Beutel eine hin und her schwappende Mediumwelle auf der die Zellen gemütlich „surfen“, statt sich auf dem Boden des Beutels abzusetzen. Gleichzeitig sorgt sie für einen ausreichenden Transport des Sauerstoffs in das Medium.

Die Wellenbewegung hat aber noch einen weiteren entscheidenden Vorteil, der den Zellkulturbeuteln rasch zum Durchbruch verhalf: in der Welle treten praktisch keine Scherkräfte auf, die in herkömmlichen, mit Rührpropellern arbeitenden Bioreaktoren häufig Schäden an den Zellen verursachen.

Für seine ersten Versuche Ende der neunziger Jahre modifizierte Vijay Singh noch klassische Blutbeutel und verwendete die typischen Plastikschalen amerikanischer Selbstbedienungsrestaurants (Cafeteria Trays) als Unterlage. Die Schalen sollten verhindern, dass die Beutel während des Wippens von der Plattform des Schüttlers herunter rutschten. Inzwischen bieten zahlreiche Hersteller Zellkulturbeutel in Größen bis zu 1000 Litern an und integrieren diese in eigens dafür konstruierte Schüttelsysteme.

Wegwerfen statt putzen

Neben auf und ab wippenden, eindimensionalen Wellenmischern, finden sich zunehmend auch Kulturbeutel-Systeme, die komplexere zwei- oder dreidimensionale Schüttelbewegungen ausführen. Die hierbei verwendeten Beutel haben zumeist kein kissenförmiges Äußeres mehr wie die ursprünglichen Wellen-Kulturbeutel. Sie sind häufig zylinder- oder würfelförmig und werden von einem Edelstahlgehäuse in Form gehalten.

Die Wegwerf-Zellkulturbeutel lösten auch bei klassischen, gerührten Bioreaktoren einen Trend zu Einweg-Systemen aus. Kein Hersteller, der nicht auch ein Modell aus Plastik im Programm hat, das nach der Ernte der Zellkulturen auf dem Müll landet. Das trägt zwar nicht gerade zur Reduzierung des Plastikmüllberges bei, befreit den Biologen oder Biotechnologen aber von der lästigen und zeitaufwendigen Reinigung und Sterilisation herkömmlicher Bioreaktoren. Darüber hinaus reduzieren die Wegwerfreaktoren das Risiko einer Kontamination mit Rückständen aus vorangegangenen Kulturen auf null. Dies kommt insbesondere Stammzellforschern entgegen, die ständig in panischer Angst vor einer Kontamination ihrer Kulturen leben.

Alle Produkte im Überblick pdficon


(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 12/2013, Stand: November 2013, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 05.12.2013