Editorial

Ein Förderinstrument für alle - Forschungszulage

Mario Rembold


(21.03.2024) Im Prinzip kann jedes Unternehmen in Deutschland die Forschungszulage in Anspruch nehmen, um bei Forschung und Entwicklung finanziell entlastet zu werden. Sollte das Wachstumschancengesetz doch noch kommen, dürfen sich insbesondere kleinere Firmen freuen.

Kurz vor Redaktionsschluss diskutieren Bund und Länder über das Wachstumschancengesetz. Ebenjenes hatte die Regierung unlängst auf den Weg gebracht, um Unternehmen in Deutschland vor allem steuerlich zu entlasten – doch der Bundesrat wollte das Vorhaben nicht ohne weitere Bedingungen durchwinken und rief den Vermittlungsausschuss an. Für forschende Firmen spannend: Das Wachstumschancengesetz würde auch großzügigere Regelungen zur sogenannten Forschungszulage beinhalten. Wenn Sie dieses Heft in den Händen halten, ist vielleicht schon eine Einigung erzielt, denn zwischenzeitlich fiel laut Tagesschau der 22. März als Stichtag für den „Showdown“. Andererseits, vielleicht dauert es doch länger. Diese Unsicherheit dürfte vielen Unternehmen die Planung künftiger Investitionen nicht gerade erleichtern.

Wir aber schauen an dieser Stelle nicht auf das gesamte Paket rund um das geplante Wachstumschancengesetz, sondern widmen uns speziell der erwähnten Forschungszulage. Diese Art der indirekten Forschungsförderung können Unternehmen in Deutschland seit 2020 in Anspruch nehmen, um sich bei Projekten, die Forschung und Entwicklung beinhalten, finanziell unter die Arme greifen zu lassen. Eine solche Förderung sei längst überfällig gewesen, sagen Interessenverbände und Wirtschaftsforscher mit Blick auf die internationale Konkurrenz, auch hier in der EU-weiten Nachbarschaft. Denn dort können Firmen ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung schon seit Jahren teilweise vom Staat erstattet bekommen. Eine fehlende Regelung in Deutschland war somit auch ein Standortnachteil.

Würfel auf Euro-Münzen. Auf dem größten steht Fördermittel, auf den kleineren Symbole für Ökonomie und Industrie
Foto: magele-picture @ AdobeStock

Erst die Steuererklärung

„Die Forschungszulage begleitet mich schon seit über zwanzig Jahren – bereits im Jahre 2001 hatten wir die ersten Vorschläge zu solch einer Maßnahme vorgelegt“, schaut Christian Rammer zurück, Projektleiter für Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er berichtet von Besuchen im Bundestag und Anhörungen im Finanzausschuss. „Wir haben Modellrechnungen für die Bundesregierung durchgeführt und die Kosten und Wirkungen abgeschätzt, je nach Ausgestaltungsvariante, die gerade zur Diskussion stand – und das waren in den letzten 23 Jahren sehr viele.“ Im Dezember 2019 war es dann endlich so weit: Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD beschloss das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung – kurz: Forschungszulagengesetz oder FZulG.

Ab dem Folgejahr konnten Unternehmen Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Rahmen der Forschungszulage geltend machen. Bis zu zwei Millionen Euro an Personalkosten waren als Bemessungsgrundlage vorgesehen, von denen 25 Prozent wieder gutgeschrieben werden sollten. Dann kam SARS-CoV-2, und die Bundesregierung verdoppelte diese Grenze sogar rückwirkend, um den Belastungen durch die Pandemie Rechnung zu tragen. Diese erhöhte Bemessungsgrundlage von vier Millionen Euro und somit einer Gutschrift von maximal einer Million Euro gilt aktuell bis 2026.

Im Gegensatz zu klassischen und direkt auszahlbaren Forschungsförderungen bekommen Antragsteller die Forschungszulage aber erst nachträglich als Gutschrift auf die Steuerschuld. Man spricht daher auch von einer indirekten steuerlichen Förderung. Die Forschungszulage landet aber auch bei den Unternehmen, die im einschlägigen Jahr überhaupt keine Steuern zahlen mussten. „Wenn ich keine Steuerschuld habe, wird das Geld ausbezahlt“, so Rammer. Auch junge Start-ups, die noch gar keine Gewinne generieren und damit auch noch keine Steuern zahlen, können also profitieren. Im Ergebnis ist es für das Unternehmen so, als hätte es den Betrag als Förderung bekommen, nur mit dem Unterschied, dass das Geld nicht sofort fließt, sondern erst rückwirkend nach der Steuererklärung beim Empfänger ankommt.

Porträtfoto Christian Rammer
Christian Rammer: „80 Prozent der Anträge werden bewilligt.“ Foto: ZEW
„Ein Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“

Klingt umständlich – und der Blick auf das Antragsverfahren könnte noch mehr Verwirrung stiften. Daher beginnen wir mit einem zwar fiktiven, aber hoffentlich anschaulichen Beispiel. Angenommen, Sie wären Unternehmerin: Ihre Firma startet im Jahr 2023 ein Forschungsprojekt, um verschiedene therapeutisch wirksame Liganden gegen einen krankheitsrelevanten Rezeptor zu finden. Im Projekt sind Bioinformatiker involviert, die Molekülstrukturen am Computer voraussagen; außerdem gibt es ein Zellkultur-Labor, um die Moleküle anschließend zu screenen. Die schlechte Nachricht: In der derzeit gültigen Form des Gesetzes müssen Sie Geräte, Chemikalien und Pipettenspitzen selber zahlen. Was Sie aber aufrechnen können, sind die Personalkosten, die Ihnen durch dieses konkrete Projekt entstanden sind. Sagen wir, Sie hatten im Jahr 2023 insgesamt 800.000 Euro an Personalausgaben. Davon können Sie nun 25 Prozent, also 200.000 Euro, als Forschungszulage zurückbekommen.

Eigens für dieses Prozedere wurde die Bescheinigungsstelle Forschungszulage (BSFZ) eingerichtet. Dort beantragen Sie nun die Förderung. Sie beschreiben Ihr Projekt und begründen, inwiefern Sie darin Forschung und Entwicklung betreiben. Bestätigt die BSFZ die Förderfähigkeit, dürfen Sie sich freuen, denn damit haben Sie einen verbrieften Anspruch auf die Forschungszulage. Ganz nach Reinhard Mey berechtigt Sie diese Bescheinigung aber zunächst einmal lediglich dazu, ein weiteres Antragsformular auszufüllen – nämlich beim für Sie zuständigen Finanzamt. Immerhin geht all das ohne Faxgerät: Die BSFZ stellt ein Online-Formular zur Verfügung, und beim Finanzamt kommen Sie über das Elster-Portal ans Ziel.

„Wir hätten uns das einfacher gewünscht“, räumt Rammer ein, ermutigt aber dazu, sich von den Formularen nicht abschrecken zu lassen. „Ich glaube, wenn man sich einmal bemüht, sich mit dem Antragsverfahren vertraut zu machen, dann wird das in den zukünftigen Jahren zum Selbstläufer.“ Andere Förderprogramme seien unter Umständen nämlich mit viel höherem bürokratischem Aufwand verbunden. Gut zu wissen: Im Gegensatz zu Forschungsförderungen, bei denen nur die überzeugendsten Bewerber den Zuschlag bekommen, muss die Forschungszulage immer gewährt werden, wenn ein Projekt die Kriterien erfüllt. Und Sie können diese Unterstützung dann auch für das Folgejahr erneut in Anspruch nehmen, sofern Ihr Projekt weitergeht oder andere Forschungsprojekte anlaufen. „Die Forschungszulage hat den Vorteil, dass es den Unternehmen ganz alleine überlassen bleibt, wie sie ihre Forschungsprojekte aufsetzen“, fasst Rammer zusammen. Bei anderen Forschungsförderprogrammen sei hingegen oft schon ein fester Rahmen vorgegeben, zum Beispiel im Hinblick auf die Laufzeit.

Neu und risikobehaftet

Gewöhnlich geht mit einer Forschungsförderung auch die Verpflichtung einher, Ergebnisse zu veröffentlichen. Bei der Forschungszulage hingegen gibt es keinerlei Berichtspflichten. Ein Unternehmen kann die Förderung also auch dann in Anspruch nehmen, wenn die Ergebnisse betriebsintern bleiben und nicht nach außen kommuniziert werden sollen.

Was genau aber ist Forschung und Entwicklung? Die Laborjournal-Leserschaft denkt sicher in erster Linie an das Aufschlüsseln molekularbiologischer Prinzipien oder die Entwicklung von Medikamenten und Diagnostikverfahren. Das Forschungszulagengesetz gilt aber nicht nur für Life-Sciences-Firmen, sondern für alle Unternehmen; und es deckt auch die Entwicklung neuer Technologien ab. So berichtet der Stifterverband, dass bis 2022 mehr als 22 Prozent der Anträge aus Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kamen („Drei Jahre Forschungszulage: Ein erstes Fazit zur Resonanz“, Juni 2023). Ist damit also jede neue Software, die ein Unternehmensmitarbeiter programmiert, per Forschungszulagengesetz förderfähig?

Die Frage zur Förderfähigkeit sei nicht immer leicht zu beantworten, räumt Rammer ein. „Konzeptionell dient das Frascati-Manual der OECD als Grundlage – ein Handbuch mit rund 400 Seiten, das auch viele branchenspezifische Besonderheiten diskutiert.“ Als wesentlich für Forschung und Entwicklung wertet die BSFZ bei der Antragsprüfung, dass ein Risiko des Scheiterns grundsätzlich besteht. „Außerdem muss die Neuartigkeit gegeben sein“, ergänzt Rammer. „Mittlerweile hat die Bescheinigungsstelle das konkretisiert und sagt: ‚neuartig für das Unternehmen’. Allerdings ist es wichtig, dass die Entwicklung über den Stand der Technik hinausgeht.“ Und zuletzt ist noch die Projektform maßgeblich für die Förderfähigkeit. „Die Entwicklung oder Forschung hat also planmäßig und mit einer Zielsetzung zu erfolgen.“

Nach oben zitierter Publikation des Stifterverbands fielen bis vor zwei Jahren 70 Prozent der BSFZ-Bescheide positiv aus. Mittlerweile schätzt Rammer die Zahlen deutlich optimistischer ein. „Wir sehen zumindest in der Industrie, dass 80 bis 90 Prozent der Anträge vollständig oder zumindest teilweise bewilligt werden.“ Von der Forschungszulage profitieren auch Unternehmen, die Forschung in Auftrag geben. Nach aktuell gültiger Regelung können 60 Prozent der Ausgaben für ein Auftragsforschungsprojekt geltend gemacht werden. Auch hiervon wird dann ein Viertel erstattet, sodass dem Unternehmen netto 15 Prozent dieser Ausgaben wieder gutgeschrieben werden.

Booster durchs Wachstumschancengesetz

Nervig kann es im Einzelfall sein, wenn trotz der Bewilligung durch die BSFZ später beim zweiten Antrag im Rahmen der Steuererklärung weitere Unterlagen eingefordert werden. „Es gibt häufig Nachfragen vom Finanzamt“, bestätigt uns Rammer und spricht von jedem zweiten Unternehmen, das davon betroffen sei. „Das ist eigenartig und sollte eigentlich nicht vorkommen.“ Dass ein Antrag in dieser zweiten Stufe, die eigentlich nur eine Formalität sein sollte, schlussendlich doch komplett abgelehnt wird, kommt laut Rammer aber praktisch nicht vor. Trotzdem bedeutet es, dass das Unternehmen zunächst bürokratische Schikanen am Hals hat. Hier wünscht sich Rammer, dass der gesamte Antragsprozess schlanker und einfacher wird und beide Stellen das Verfahren miteinander verzahnen. „Die Unternehmen empfinden es als zusätzliche Bürokratie, dass sie viele Dinge doppelt angeben müssen: Zuerst bei der Bescheinigungsstelle, und später trägt man dasselbe wieder ins Elster-Formular ein. Aber es sind halt zwei verschiedene Behörden, die nicht verknüpft sind.“

Mit dem Wachstumschancengesetz käme es auch bei der Forschungszulage zu weiteren Verbesserungen für die Unternehmen. Dazu gehört eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage von derzeit 4 Millionen auf 12 Millionen Euro pro Projekt. Rammer verweist an dieser Stelle auf den neuesten Entwurf, der nur noch 10 Millionen Euro pro Jahr vorsieht. Während für große Unternehmen die Förderquote von 25 Prozent bestehen bleibt, steigt sie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auf 35 Prozent an. Die Einordnung als KMU richtet sich nach der Definition in Anhang I der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO): In die Kategorie fallen demnach Unternehmen, „die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen Euro beläuft“. Sind bislang nur die Personalkosten anrechenbar, so sollen künftig unter anderem auch Abschreibungen auf Laborgeräte oder Hard- und Software Berücksichtigung finden. Für Auftragsforschung würden nicht mehr 60, sondern 70 Prozent als Bemessungsgrundlage angesetzt.

Rammer hierzu: „Darin sehe ich sinnvolle Schritte, um die Kraft des Instruments zu erhöhen.“ Die 35 Prozent für KMU seien eine vernünftige Schwelle, die man aber auch nicht weiter überschreiten sollte. „Denn ansonsten kommt man auch in Mitnahmeeffekte und in geringere Effektivität.“ Die Förderung soll den Unternehmen nämlich nicht jedes eigene Risiko abnehmen und am Ende dazu führen, dass unnötige Projekte auf Kosten der Allgemeinheit begonnen werden. Sehr wohl aber will man über das Instrument die Sorge der Unternehmen vor Wissensabfluss lindern, wodurch letztlich die Konkurrenz ohne eigene Investition von den Entwicklungen profitiert. „Diesen Wissensabfluss kann man schätzen, und da kommen wir über alle Unternehmen hinweg ungefähr auf ein Viertel ihrer Kosten“, erläutert Rammer. Da umgekehrt die Bemessungsgrundlage für die Forschungszulage auch nach Umsetzung des Wachstumschancengesetzes nicht alle Kosten berücksichtigt, entsprächen die 35 Prozent umgerechnet auf die Gesamtinvestitionen etwa jenem Viertel und seien daher angemessen, um diese Risiken zu kompensieren.

Beratungsdefizit

„Attraktiv ist das Instrument für viele kleine Unternehmen, die kontinuierlich forschen und einen Teil der Kosten letztlich refinanziert bekommen“, resümiert Rammer, nennt aber auch Nachteile: „Wegen der rückwirkenden Erstattung über die Steuererklärung im vergangenen Wirtschaftsjahr ist es für Start-ups, die sofort frisches Geld brauchen, weniger attraktiv“. Außerdem lohnt es sich, nach spezifischen Förderungen Ausschau zu halten. „Wenn ich Themen verfolge, die politisch aktuell auf der Agenda stehen, fahre ich tatsächlich besser, wenn ich mir eine Förderung aus einem Technologie- oder Fachprogramm hole“, stellt Rammer fest, „da ist der Fördersatz oft höher und ich kann häufig auch insgesamt mehr an zusätzlichen Mitteln im eigenen Unternehmen mobilisieren“.

Rammer bedauert, dass es äußerst schwer sei, sich über Förderwege umfassend zu informieren. „Vor zwei Jahren gab es eine Broschüre der Bundesregierung zur Förderung von Forschung und Entwicklung, aber darin kam die Forschungszulage nicht vor“, nennt er ein Beispiel. Obwohl mit zusätzlichen Kosten verbunden, könne für viele Unternehmen daher ein professioneller Förderungsberater sinnvoll sein.

Auch Heike Balzer findet, dass Informationen zur Forschungszulage leichter zugänglich sein sollten. „Klassische Förderträger haben immer einen Ansprechpartner, den Sie kontaktieren können und der Ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht – genau so etwas fehlt für die Forschungszulage.“ Balzer ist Senior Vice President Finance bei der TME Pharma N.V. in Berlin, die Krebstherapeutika entwickelt. Außerdem leitet Balzer (gemeinsam mit Dirk Honold) den Arbeitskreis Finanzen und Steuern beim Branchenverband BIO Deutschland. Aus ihrer Sicht wäre die Hürde deutlich niedriger, einen Antrag zu stellen, wenn ein zentraler Ansprechpartner für Rückfragen im Antragsverfahren erreichbar wäre. „Die Bescheinigungsstelle prüft die Forschungsvorhaben auf ihren innovativen Charakter, hat aber eben leider keine Beratungsfunktion.“

Eine Doppelförderung im selben Projekt ist nicht zulässig. Genau hier aber bringt die rückwirkende Beantragung der Forschungszulage Vorteile mit sich, falls man alternativ einen lukrativeren Förderweg im Auge hat, dessen Bewilligung aber unsicher ist: „Sie können ja die Entscheidung des Fördergebers abwarten – und wenn Sie erfolgreich waren, haben Sie die bessere Förderquote und hoffentlich auch ein gutes Fördervolumen. Falls es nicht funktioniert, können Sie die Forschungszulage in Anspruch nehmen.“ Die Forschungszulage nämlich, erläutert Balzer, kann man bis zu vier Jahre rückwirkend beantragen.

Rückwirkendes Geld

„Wir als TME Pharma sind noch in der Vorbereitung für einen Antrag und würden gern das Wachstumschancengesetz abwarten, um die Projekte auch entsprechend definieren zu können“, erklärt sie. Weil die Projekte zur klinischen Forschung eher bei einer zweistelligen Millionenhöhe landen, wäre insbesondere die höhere Bemessungsgrenze reizvoll. Zugleich sieht sie wegen der mangelnden Beratungsmöglichkeiten aber auch Risiken in der Nachweisführung gegenüber den Finanzämtern im Fall der Betriebsprüfung zur Forschungszulage. „Es gibt noch wenig Präzedenz zur Frage, wie Sie dokumentieren müssen“, nennt Balzer ein Beispiel. Käme das zuständige Finanzamt nun zur Einschätzung, dass man in den letzten vier Jahren einen wichtigen Punkt vernachlässigt habe, könnte das zu finanziellen Risiken führen. „Wie die Nachweispflichten auszugestalten sind, liegt ja doch eher in der Hand des Sachbearbeiters“, befürchtet sie.

Die Änderungen im Wachstumschancengesetz begrüßt Balzer, auch wenn sie sich speziell bei der Auftragsforschung mehr gewünscht hätte als die 70 Prozent Bemessungsgrundlage. „Wenn wir eine Auftragsforschung vergeben, da in unserer Industrie viele Aufgaben aufgrund regulatorischer Anforderungen und begrenztem internem Know-how nicht im Unternehmen durchgeführt werden können, dann wäre es schon richtig, die vollen Ausgaben als Bemessungsgrundlage heranzuziehen.“ Wie auch immer die konkrete Ausgestaltung am Ende ausfällt – um planen und kalkulieren zu können, wünscht sich Balzer vor allem eines: „Ich wäre erstmal dankbar, wenn es überhaupt zu einer Entscheidung käme!“

Unternehmen in Schwierigkeiten

BIO Deutschland gewährte uns Einblick in die Ergebnisse einer Umfrage, der Branchenverband unter seinen Mitgliedern durchgeführt hatte, mit Rückmeldungen, die bis in den Januar 2023 hineinreichen. Zwar hatten 43 Prozent der befragten Unternehmen noch keine Erfahrung mit der Forschungszulage, 44 Prozent hingegen berichten von positiven und nur 13 Prozent von negativen Erfahrungen. Der Prozess im Elster-Formular wird von den einen als umständlich beschrieben, während andere das digitale Antragsverfahren tatsächlich als insgesamt unkompliziert loben.

Kompliziert war es laut der Rückmeldungen für sogenannte verbundene Unternehmen – also Firmen, die in verschiedene Tochterfirmen mit unterschiedlichen Schwerpunkten aufgesplittet sind. Hier scheint der bürokratische Aufwand besonders herausfordernd. Komplett von der Förderung ausgenommen sind sogenannte Unternehmen in Schwierigkeiten. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Einschränkung, weil man eine Firma, die gerade auf dem Weg in die Insolvenz ist, nicht auch noch mit Geld vom Steuerzahler versorgen will.

Matthias Bach, Leiter des Marketings bei BIO Deutschland, verweist an dieser Stelle aber auf eine Besonderheit forschender Biotech-Unternehmen und auf die dort üblichen und auch bewährten Geschäftsmodelle: „Man forscht risikobehaftet und findet Investoren, die dieses Risiko eingehen“, so Bach. „Solch ein Venture-Capital-Investor unterstützt vielleicht zehn Firmen, wohl wissend, dass nur ein oder zwei davon mit großen Exits herausgehen.“ Die Geldgeber versorgen die forschende Firma also mit Kapital, das irgendwann aufgebraucht ist. „Es ist ganz normal, dass diese Firma bis dahin keinen einzigen Cent an Umsatz gemacht hat. Üblich ist, dass man sich dann beispielsweise über ein Nachrang- oder Wandeldarlehen bis zur nächsten Investorenrunde hangelt.“

Ebenjene Darlehen zählen aber nicht als Eigenkapital und können der Firma, so definiert es das europäische Beihilferecht, den Status eines Unternehmens in Schwierigkeiten einbringen. „Diese Unternehmen können die Forschungszulage nicht in Anspruch nehmen“, so Bach. Und das, obwohl dieser „Stempel“ kein Dauerzustand ist, sondern meist nur kurze Übergangsphasen innerhalb eines Finanzierungszyklus umfasst. „Wir wünschen uns eine Regelung, diese speziellen Unternehmen in Schwierigkeiten zu berücksichtigen, ohne dass wir wollen, dass Insolvenzkandidaten die Forschungszulage in Anspruch nehmen.“ Der deutsche Gesetzgeber könne zwar nicht die europäische Definition für Unternehmen in Schwierigkeiten ändern, aber das Forschungszulagengesetz entsprechend umformulieren.

Besonders gut für die Kleinen

Auch Gero Stenke, Leiter und Geschäftsführer der Wissenschaftsstatistik im Stifterverband, zieht eine positive Zwischenbilanz zur Forschungszulage. „Wir brauchten durchaus den Druck aus Wissenschaft und Wirtschaft, um das Instrument auf den Weg zu bringen“, schaut er kritisch zurück, aber: „Es ist tatsächlich gelungen, eine vergleichsweise unbürokratische Förderung einzuführen, die man im normalen Steuersystem so nicht gewähren kann.“ Dabei hebt auch er die Unterschiede zu anderen Förderprogrammen hervor: „Die Forschungszulage steht allen Technologiebereichen offen, sobald Forschung und Entwicklung im Spiel ist, sie ist unabhängig von der Unternehmensgröße und ermöglicht den Firmen mehr Planungssicherheit.“

Ursprünglich sei die Forschungszulage vor allem als Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen gedacht gewesen. Das begrüßt Stenke und freut sich, dass bald auch Sachkosten integriert werden sollen. Künftig würde er die Möglichkeit einer Auszahlung im Vorfeld begrüßen, zumindest für Unternehmen, die einen besonderen Bedarf anmelden. „Ich halte es aber nicht für zwingend erforderlich, die Bemessungsgrundlage derart stark anzuheben“, gibt er im Hinblick auf die Förderung kleiner Unternehmen zu bedenken. „Da ist der höhere Fördersatz dann der bessere Stellhebel.“ Das leuchtet ein, denn ein Unternehmen, das ohnehin nie mehrere Millionen Euro in ein Forschungsprojekt steckt, hat viel mehr davon, wenn von diesem geringeren Betrag dafür ein höherer Anteil erstattet wird.

Im Idealfall aber würden mit dem Wachstumschancengesetz beide Aspekte berücksichtigt: eine höhere maximale Bemessungsgrundlage und speziell für kleine und mittlere Unternehmen eine Erstattung von 35 Prozent. Und, so betonen es alle, mit denen wir sprachen: Die wesentlichen Anpassungen rund um die Forschungszulage sind gar nicht strittig. Trotzdem hängen diese Neuerungen davon ab, dass das Wachstumschancengesetz Zustimmung findet in Bundestag und Bundesrat. Denkbar wäre, dass die höheren Vergünstigungen noch rückwirkend für das laufende Jahr gültig werden, denn ursprünglich sollte das Wachstumschancengesetz zum Januar 2024 in Kraft treten.