Editorial

Ethidiumbromid, Teil 2

Eine etwas wunderliche Nachlese

Cornel Muehlhardt



Es sind offenbar die einfachen Dinge, die das größte Interesse hervorrufen. Ich war jedenfalls erstaunt, ausgerechnet auf einen Artikel zu solch einem banalen Thema wie Ethidiumbromid so viele Leserzuschriften zu bekommen. Und es war viel Interessantes darunter.

Zum Beispiel die Sache mit den Handschuhen. Das Thema ist unterhaltsamer, als ich je gedacht hätte. So weisen die Abteilungen Arbeitssicherheit & Biologische Sicherheit der Uni Freiburg in ihrer Betriebsanweisung EtBr (1) darauf hin, dass in ihren eigenen Versuchen eine 1%ige EtBr-Lösung innerhalb ca. einer Minute die untersuchten Latexhandschuhe durchdrang. Das sind natürlich spektakuläre Ergebnisse, die offenbar einen der (oder gar DEN?) Grundpfeiler der Warnungen vor dieser Substanz in Deutschland darstellen, zumindest lässt dies die Zahl der Betriebsanweisungen vermuten, in denen auf diese Untersuchung verwiesen wird.

Erhard Stupperich verweist allerdings in einer Mail darauf, dass man an der Arbeitsmedizin der Uni Ulm bei ähnlichen Versuchen zu ganz anderen Ergebnissen kam: Nach 12 Stunden hat man hier keine messbare Diffusion durch Latexhandschuhe nachweisen können - was zu den Freiburger Ergebnissen in krassem Widerspruch steht. Wie kommt’s? Die mageren Versuchsbeschreibungen lassen leider keinen Schluss zu; natürlich enthalten Packungen von billigen Latexhandschuhen viel Ausschuss, und viele Laborarbeiter haben vermutlich bereits die Erfahrung gemacht, dass Handschuhe, die längere Zeit der Sommersonne ausgesetzt waren, ebenfalls eine Neigung zur Löcherbildung haben, aber als Erklärung kann das kaum ausreichen. Dass man sich in Freiburg den Luxus einer frischen Packung Handschuhe geleistet hat, davon kann man wohl ausgehen.


Leise Zweifel an den Freiburger Untersuchungen

Stutzig macht mich allerdings, dass es in der gleichen Betriebsanweisung eine halbe Seite weiter unten heißt, es werde empfohlen, Einmalhandschuhe (unabhängig vom Material, also auch die aus Nitril, von denen man eben erst gezeigt hatte, dass sie EtBr-dicht sind) prinzipiell unmittelbar nach dem Kontakt mit EtBr abzustreifen und die Hände gründlich zu waschen, gerade so, wie der Teufel mit Weihwasser umzugehen pflegt. Ja waaas, schützen Handschuhe die Hände nun oder nicht?

Glaubt man den Freiburger Empfehlungen, lautet die Antwort ganz klar nein, was mich persönlich ziemlich stört, war ich doch bislang der Meinung, genau dies, nämlich der Schutz der Hände, sei die Existenzberechtigung für Handschuhe. Und leise regen sich in mir Zweifel an den Freiburger Untersuchungen. Wie ernst kann man solche Ergebnisse nehmen? Steckt dahinter wieder einmal dieser deutsche Vollkasko-Geist, diese Null-Risiko-Mentalität, der zufolge an jeder Straßenkreuzung eine Fußgängerampel installiert werden muss, damit einem auf dem Weg zum Bungee-Jumping nichts passiert?

Themenwechsel. Jan Schöpe verdanke ich den überraschendsten aller Hinweise, der zeigt, dass man gelegentlich auch einmal über seinen Tellerrand hinausschauen sollte, der Horizonterweiterung wegen. EtBr ist nämlich keineswegs die geniale Erfindung eines tüfteligen Molekularbiologen, sondern stammt aus der Experimentierküche der Boots Company Ltd. in Nottingham, die sich vor vielen Jahren der Entwicklung von Mittelchen zur Bekämpfung der Trypanosomose bei Rindern widmete, der Schlafkrankheit des lieben Viehs also, welche den Rinderzüchtern - in der Mehrzahl vermutlich üble englische Kolonialisten - in Afrika die Existenz ruinierte. Bereits seit den 30ern experimentierte man dort mit Phenanthridinen herum, aber erst Anfang der 50er gelang mit der Einführung des Homidiumbromid der große Wurf.

Parasitenbekämpfung bei englischen Kolonialistenkühen ...

Nicht nur, dass sich damit eine Infektion dieser parasitischen "Bohrkörper" bekämpfen lässt (zumindest beim Rind), sondern eine einmalige Gabe hat auch noch eine prophylaktische Wirkung, die je nach Region und Bedingungen anderthalb bis vier Monate anhält. Die Dosis liegt bei 1 mg/kg Körpergewicht, was für ein durchschnittliches Rindvieh von 250 kg (afrikanische Kühe scheinen leichtgewichtiger zu sein als die mitteleuropäische Turbo-Milchproduktionseinheit) eine Menge von 250 mg ausmacht. Verabreicht wird das Homidium auf denkbar martialische Art und Weise, nämlich tiiiiief in den Muskel; eine subkutane Injektion ist zu vermeiden, ich vermute mal, der erhöhten Clearance-Rate wegen.

Homidium eignet sich besonders gut zur Bekämpfung von Trypanosoma congolese und T. vivax und wird vom Rind gut vertragen, die lokalen Reaktionen sind gering und es gibt keine Probleme mit Hepatotoxizität und Fotoallergien wie mit anderen Phenanthridinen. In (leider nicht veröffentlichen Studien) wurde gezeigt, dass oral verabreichtes radioaktiv markiertes Homidium nicht im Darm aufgenommen wird (eine Gefahr für hungrige Raubtiere besteht daher nicht), und eine antimikrobielle Wirkung wurde ebenfalls nachgewiesen, was möglicherweise erklärt, dass mit Homidium behandelte Tiere stärker an Gewicht zulegen als Kontrolltiere.

... bis heute tausendfach bewährt!

Schön für die Hersteller von Homidium, aber nicht weiter interessant für mich, sagen Sie? Vielleicht steigt Ihr Interesse ja sprunghaft an, wenn ich Ihnen verrate, dass Homidiumbromid seit fünfzig Jahren unter dem Handelsnamen Ethidium(r) vertrieben wird und dass Ethidium (d.h. unser gutes altes Ethidiumbromid) offenbar auch heute noch zur Rinderbehandlung in Afrika eingesetzt wird (2). Eine kleine Rechenspielerei konnte ich mir angesichts der Zahlen mal wieder nicht verkneifen: Die einem Rind verabreichte Menge reicht demnach aus, um bis zu 25.000 Agarosegele anzufärben; auf ein 200 g-Steak umgerechnet wären das (rein rechnerisch) 20 Gele. Denken Sie vielleicht bei Ihrem nächsten Afrika-Urlaub daran. (3)

Erst Mitte der 60er wurde dann entdeckt, dass EtBr an Nukleinsäuren bindet (Waring (1965) J.Mol.Biol. 13,269) und dass diese Bindung die Fluoreszenz des EtBr erhöht (Le Pecq und Paoletti (1966) Analyt. Biochem. 17,100), und 1973 kam Sambrook auf die Idee, DNA-Elektrophorese mit Hilfe von Agarosegel und EtBr-Färbung durchzuführen: die moderne Molekularbiologie war geboren.

Auf die Idee, dass das Zeug gefährlich sein könnte, kam man offensichtlich erst eine ganze Weile später; noch unbeschwert von derlei Bedenken führte man in den frühen 70ern Versuche durch, mit denen man - man höre und staune! - die antitumorale Wirkung von EtBr belegen wollte. So verlängerte EtBr die Überlebensdauer von Tieren, die mit Hamster-Melanomazellen beimpft waren (Balda und Birkmeyer (1973) J. Biol. Med. 46,464) und auch von leukämischen Mäusen (Nishiwaki et al. (1974) Cancer Res. 34,2699).

Wenn aus Vorsicht Hysterie wird

Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Dies ist kein Traktandum, das die Ungefährlichkeit von Ethidiumbromid beweisen will. Eine gewisse mutagene Wirkung ist unbestritten, dass man daher beim Umgang mit EtBr sorgfältig arbeiten und die Sicherheitsvorschriften einhalten soll, versteht sich eigentlich von selbst.

Es ist allerdings ein Traktandum gegen die Hysterie, die sich breitmacht, wenn aus Unwissenheit Vorsicht, aus Vorsicht Übervorsichtigkeit und aus Übervorsichtigkeit Panik wird. Das Beispiel Ethidiumbromid zeigt sehr schön, dass auch wissenschaftliche Kreise vor Kopflosigkeit keineswegs gefeit sind, auch wenn man als Wissenschaftler die Neigung hat, sich für einen Verstandesmenschen und damit durchaus für etwas schlauer als den Rest der Menschheit zu halten.

Bei uns ist es das Ethidiumbromid. Jörg Klug berichtete mir in einer Mail von seiner Postdoc-Zeit in Irland, wo jeder die Agarosegele mit bloßen Fingerlein aus der Apparatur holte, aber alle von der dramatischen Gefährlichkeit von Chloroform überzeugt waren. Andere Länder, andere Sitten. Oder wissen die Iren etwas, was wir nicht wissen...?

Beschwerden, Themenvorschläge und sonstige Leserreaktionen mailen Sie bitte zwanglos an: cornel.muelhardt@web.de



Letzte Änderungen: 08.09.2004