Editorial

Isotherme Amplifikation von Nukleinsäuren

Von wegen alternativlos

Willy Bohr


LAMP

Nachweis von Enteroviren mit LAMP. Nach Zugabe von SYBR-Green ist das Amplifikationsprodukt schon unter normalem Licht (l.) zu erkennen.

Beim Stichwort DNA-Amplifikation denken die meisten an eine PCR. Dabei existieren zahlreiche isotherme Verfahren für die Vervielfältigung von Nukleinsäuren.

Nicht immer ist die PCR die optimale Lösung, um DNA zu vervielfältigen. So muss man etwa in der patientennahen Labordiagnostik (Point-of-Care Diagnostik) die vielen Störfaktoren der PCR zunächst aufwendig entfernen. Deren Bandbreite reicht von Tensiden, Antibiotika, Phenolverbindungen, Enzymen, Polysacchariden und Fetten, bis hin zu Proteinen und Salzen. Von der Probenvorbereitung bis zu einem ­auswertbaren Resultat geht schnell eine Stunde flöten.

Hinzu kommt, dass die Ergebnisse sehr leicht durch Kontaminationen verfälscht werden und auch die Länge der amplifizierbaren DNA beschränkt ist. Mittlerweile gibt es zwar PCR-Protokolle für die Amplifikation von DNA-Fragmenten bis 40.000 Basen (40 kb), wirklich zuverlässig arbeitet die PCR aber nur bis etwa 2 kb.

Mit isothermen (isothermalen) Amplifikations-Methoden funktioniert die Vervielfältigung der DNA auch ohne die typischen Temperaturzyklen der PCR. Sie basieren meist auf DNA-Polymerasen mit Strang-Verschiebungs-Aktivität (Strand Displacement Activity), die keine aufgeschmolzene DNA benötigen, um den komplementären Strang zu synthetisieren. Die Reaktion führt man daher in einem simplen Heizblock beim jeweiligen Temperaturoptimum der gewählten Polymerase durch.

Gleichbehandlung

Wie bei der PCR reichen auch bei den isothermen Amplifikations-Techniken sehr kleine Ausgangsmengen aus. Sie eignen sich aber im Vergleich zur klassischen PCR auch zur Vermehrung von besonders langen DNA-Sequenzen von 2 kb bis 100 kb. Hierbei werden alle Sequenzabschnitte mit gleicher Wahrscheinlichkeit amplifiziert, es gibt also keine Bevorzugung (Bias) bestimmter DNA-Sequenzen. Natürlich haben auch die verschiedenen Ansätze der isothermen Amplifikation ihre Tücken. Allen gemeinsam ist aber, dass sie schnell durchzuführen sind und ohne Thermocycler auskommen. Der Experimentator kann inzwischen aus einem ganzen Potpourri verschiedener isothermer Strategien auswählen.

Ein Beispiel ist die Isothermale Multiple Displacement Amplification (IMDA), die bei gleichbleibender Temperatur durchgeführt wird, nachdem die Doppelstränge durch Denaturierung getrennt wurden. Die Vervielfältigung der DNA erledigt die ϕ29 -DNA-Polymerase aus Bacillus subtilis, die hierzu lediglich die nötigen Desoxynukleo­tide benötigt. Die ϕ29-DNA-Polymerase synthetisiert pro Sekunde etwa 25 bis 50 Basen (bis zu 70 kB in 20 min) des neuen komplementären Strangs mit einer Fehlerrate von etwa 3 x 10-6 Basen. Innerhalb kurzer Zeit erhält man so aus wenigen Nanogramm DNA einige Mikrogramm (Lasken, Biochem. Soc. Trans. 37(Pt2), 450-53). Setzt man interkalierende Farbstoffe wie SYBR Green zu, so erhält man schon nach 20 bis 60 Minuten ein auswertbares Ergebnis.

Eingekerbte DNA

Die Strang-Verschiebungs-Amplifikation (Strand-Displacement Amplification, SDA) dachte sich ein Team am ehemaligen Becton Dickinson Research Center in den USA bereits 1992 aus (Walker et al., Nucleic Acids Research,Vol. 20, No.7 1691-96). Diese Methode beruht auf dem natürlichen DNA-Reparaturmechanismus in der Zelle. Normalerweise wird dieser durch Aufspaltung der Phosphodiesterbindungen auf dem beschädigten Strang initiert. Der lädierte Abschnitt wird in vivo von einer DNA-Polymerase neu synthetisiert und durch eine DNA-Ligase mit dem restlichen Strang verbunden.

In vitro fehlt jedoch die Ligase, mit der Folge, dass der Einzelstrang ständig der DNA-Polymerase präsentiert wird. Hier schneidet eine Nicking-Endonuklease zunächst den Einzelstrang ein (nicked DNA), an den nachfolgend ein spezifischer Primer bindet. Die Polymerase, typischerweise eine Bst-DNA-Polymerase oder ein Klenow-Fragment, verdrängt den eingekerbten Strang und verlängert den Primer. Nachdem sie den komplementären Strang synthetisiert hat, fällt sie von diesem ab und beginnt die DNA-Synthese erneut an der Stelle, an der die Endonuklease den Strang wieder eingeschnitten hat. Durch diese endlose Syntheseschleife wird der Einzelstrang Stück für Stück linear vervielfältigt.

Bei der von Baner et al. entwickelten Rolling Circle Amplification (RCA) verwendet man die ϕ29-DNA-Polymerase, um eine zirkuläre DNA-Vorlage (Template) mit der Strand-Displacement-Technik zu amplifizieren (Nucl. Acids Res., 26 (22): 5073-78). Die jeweils entstehende verknüpfte (catenierte) Einzelstrang-DNA (ssDNA) dient hier als Vorlage für die neue Reaktion. Sie ist umso schneller, je kleiner das jeweilige Target ist, wodurch die Gefahr von Strangbrüchen sinkt.

Die Loop-Mediated Isothermal Amplification (LAMP)-Technik stammt von einer japanischen Gruppe (Notomi et al., Nucleic Acids Res., 28(12):E63). Für LAMP benötigt man vier bis sechs Primer, die sechs bis acht verschiedene Regionen auf der Ziel-DNA erkennen. Eine Strand-Displacing DNA-Polymerase initiiert die Synthese, wobei zwei der Primer für die Folgerunden der Amplifikation eine Loop-Struktur erzeugen. Das LAMP-Verfahren ist sehr schnell und empfindlich. Ein weiterer Vorteil ist der einfache Nachweis der Amplifikation. Die als Nebenprodukte entstehenden Pyrophosphate kann man turbidometrisch messen oder über Fluoreszenzindikatoren mit bloßem Auge erkennen. LAMP ist deshalb im wahrsten Sinne des Wortes für Feldforschungen geeignet.

Ein Forscherteam von New England Biolabs ersann die Helicase-Dependent Amplification (HDA)-Methode (Vincent et al., EMBO Rep. 2004; 5(8): 795-800; siehe auch Laborjournal 10/2004). Hier nutzt man die Enzymaktivität der Helikase, um den DNA-Doppelstrang zu entwinden und die Einzelstränge zu trennen. Wie bei der klassischen PCR sind nur zwei Primer nötig, die die Strand-Displacing DNA-Polymerase verlängert. Auf der HDA-Technik basieren Diagnostikautomaten sowie FDA-zertifizierte Tests zur patientennahen Diagnostik.

Konzertierte Aktion

Die von Olaf Piepenburg und seinen Kollegen eingeführte Recombinase Polymerase Amplification (RPA) läuft bei Temperaturen von etwa 40 °C ab (PLoS Biol 4(7): e204. DOI: 10.1371/journal.pbio.0040204). Bei dieser Technik koppelt man die stranglösende Aktivität eines Rekombinase-Primer-Komplexes mit der DNA-Synthese durch eine DNA-Polymerase. Die Amplifikation der DNA erfolgt durch eine konzertierte Aktion von Rekombinase, DNA-Polymerase und DNA-bindenden Proteinen.

Die Rekombinase-Primer-Komplexe scannen die Doppelstrang-DNA und öffnen ihn an komplementären Zielsequenzen, an die die Primer binden. Einzelstrang-DNA-bindende-Proteine (SSB-Proteine) stabilisieren den verschobenen Strang, gleichzeitig wird durch die Ablösung der Rekombinase ein freies 3'-Ende für die Primer-verlängernde Polymerase frei. Wiederholt man diesen Prozess immer wieder aufs Neue, so führt er zur exponentiellen Amplifikation der Zielsequenz.

Die RPA ist geradezu prädestiniert für die Integration in ein tragbares Labor (Lab-on-a-Chip). So entwickelte zum Beispiel eine Allianz aus Roland Zengerles Gruppe am Freiburger Institut für Mikrosystemtechnik, Manfred Weidmanns Team an der University of Stirling in Schottland und Olaf Piepenburg von der englischen Firma TwistDx, Lab-on-a-Chip RPA-Geräte für den Nachweis von Pathogenen (Lutz et al., Lab Chip. 2010 10(7):887-93). Die DNA wird bei diesen direkt in die Mikrokammern des Systems gegeben. Durch Zentrifugalkräfte wird sie nachfolgend durch die Kavitäten des Chipmoduls bewegt und mit den dort vorgelegten lyophilisierten Enzymen und Primerkomplexen versetzt.

Nicht nur für DNA

Äußerst schnell und sensitiv ist die Nicking Enzyme Amplification ­Reaction­ (NEAR). Mit dieser ist die Detektion von sehr kurzen Zielsequenzen in wenigen Minuten möglich. Wie bei den anderen Methoden setzt man auch hier eine Strand-Displacing DNA-Polymerase und ein Nicking-Enzym (Endonuklease) ein.

Auch für die Amplifikation von RNA oder Einzelstrang-DNA existiert eine Alternative zur PCR, die sich Nucleic Acid Sequence-Based Amplification (NASBA) nennt. Sie wurde schon vor fast 25 Jahren von der Kanadierin Jean Compton entwickelt (Nature 350, 91-2).

Für das NASBA-Protokoll benötigt man zwei spezifische Primer, eine reverse Transkriptase, eine T7 RNA-Polymerase und RNAse H. Zunächst wird ein Vorwärtsprimer (mit einer T7-Promotor-Sequenz am 5'-Ende), der an eine beliebige Sequenz der Ziel-RNA bindet, von der reversen Transkriptase verlängert. Die RNA des entstanden RNA-DNA-Duplexes verdaut man mit der RNAse H, gleichzeitig verlängert man den Rückwärtsprimer, der an den DNA-Strang bindet, wiederum mit der reversen Transkriptase. Auf diese Weise erhält man eine doppelsträngige DNA, die sowohl die Zielsequenz als auch einen T7-Promotor enthält. Die dsDNA dient schließlich als Vorlage für die T7-Polymerase, die mit ihrer Hilfe fleißig komplementäre RNA-Moleküle produziert.

An isothermalen Amplifikationsmethoden, die es mit der PCR aufnehmen können, mangelt es also nicht. Man muss sie nur nutzen.






Letzte Änderungen: 10.06.2014