Editorial

Forschungskooperation Deutschland – Israel (2)
„Ich bin nicht ganz hoffnungslos“

Gespräch: Karin Hollricher


(21.03.2024) Die Biochemikerin Lena Molitor ist Postdoktorandin und Minerva-Stipendiatin am israelischen Weizmann-Institut. Hier berichtet sie aus sehr persönlicher Sicht, wie sie den Hamas-Überfall vom 7. Oktober an ihrem Wohnort Tel Aviv erlebte und wie sie die Situation heute beurteilt.

Erinnern Sie sich bitte an den 7. Oktober.

Lena Molitor » Völlig überraschend ertönte am frühen Morgen ein Raketenalarm. Wir waren alle im Feiertagsmodus. Die Raketen-Warn-App hatte nichts angezeigt – das ist, seit ich hier bin, noch nie passiert. Auch die Bunker waren noch nicht aufgesperrt – sehr ungewöhnlich. Hinterher stellte ich fest, dass auch die israelischen Kollegen und Kolleginnen, die bei Raketenalarm normalerweise tiefenentspannt reagieren, total schockiert waren. Als wir dann im Bunker des Hauses waren, haben die Wände gewackelt. 300 Meter entfernt war eine Rakete eingeschlagen, der Iron Dome hatte sie nicht abfangen können. Das fand ich schon sehr beängstigend.

Porträt Lena Molitor
Wieder in Israel: Lena Molitor Foto: privat

Blieben Sie im Haus?

Molitor » Noch am gleichen Tag wurden die Mieter des Hauses, alle junge Israelis, entweder von ihren Eltern oder Freunden abgeholt und aufs Land gebracht – oder sie mussten zur Armee. Meine Freundin und ich hatten das Gefühl, wir seien die Letzten in dem Haus. Wir konnten dann aber doch schon am 8. Oktober morgens nach Hause fliegen.

Hat die Minerva-Stiftung das organisiert?

Molitor » Das nicht. Aber die Minerva-Leute haben sofort reagiert und mit uns kommuniziert. Wir hatten sogar Kontakt, bevor wir losgeflogen sind. Von der Weizmann-Seite kam erst mal wenig, die waren alle im Schock und natürlich erstmal mit anderen Dingen beschäftigt. Später boten sie jedoch sowohl finanzielle wie auch emotionale Unterstützung durch den Weizmann-Support an.

Was passierte in den nächsten Wochen?

Molitor » Im Labor ist die nächsten zwei oder drei Wochen erst einmal gar nichts passiert. Mein Chef hat dann aber schon ziemlich schnell kommuniziert, wir sollten wieder arbeiten, damit wir in den Alltag zurückfinden und eine Art von Normalität einkehrt. Ich ging dann im Januar zurück. Die Stimmung ist heute zwar irgendwie normal, aber doch auch anders als vorher.

Inwiefern anders?

Molitor » Irgendwie sind alle angespannt. Es sind einfach auch viele Israelis ermordet worden. Jeder kennt eine oder einen, in dessen Familie jemand gestorben ist. Von den Militärs, die jetzt in Gaza sterben, sind viele Reservisten, die aus ihrem Leben gerissen wurden. Aber man muss sich klarmachen, dass der Trigger für diese gewaltige Eskalation der fürchterliche Angriff der Hamas war. Und ich finde es schade, wie wenig klar das heute kommuniziert wird.

Wie ist denn die Stimmung im Land?

Molitor » Mein Gefühl ist, dass die Israelis überwiegend der Meinung sind, sie haben keine andere Wahl, als jetzt die Hamas zu zerstören. Und diejenigen, die so denken, gehören nicht alle zur superreligiösen Bevölkerungsgruppe. Juden haben kein Backup-Land, wo sie sich sicher fühlen können. Und ich denke, sie fühlen sich verloren, weil es kein anderes Land gibt, in dem Judentum die Hauptreligion ist. Die Israelis fühlen sich meiner Ansicht nach von der Welt alleine gelassen, auch weil medial die Gegenseite sehr laut und der Antisemitismus unterschwellig doch stark ist. Und deshalb hält man noch mehr fest an Israel – auch wenn man die politischen Ansichten der jetzigen Regierung überhaupt nicht teilt oder auch nicht religiös ist. Ich habe beispielsweise gelernt: jeder setzt über seine Kippa erst mal ein Käppi auf, wenn er im Ausland mit dem Flugzeug ankommt. Egal wohin ich geflogen bin, habe ich das beobachten können.

Auch in Deutschland?

Molitor » Ja. Obwohl ja aus historischen Gründen die Beziehungen zwischen Deutschen und Israelis sehr speziell sind. Für Israelis gibt es die Kategorie „Ausland“ und die Kategorie „Deutschland“. Das merke ich jedes Mal, wenn ich hier erzähle, ich komme aus Deutschland. Meine Freundin ist Luxemburgerin – und die Reaktion der Israelis auf sie ist ganz anders, da wird nicht nachgefragt. Dass mit Max-Planck-Präsident Patrick Cramer schon im November ein hoher Vertreter einer deutschen Wissenschaftsorganisation in Israel war, hat man hier mit großer Freude registriert.

Sie sind seit Januar wieder in Tel Aviv. Wie geht es weiter?

Molitor » Mein Vertrag geht noch bis Mitte des Jahres. Ich denke, dass ziemlich viele Wissenschaftler und Doktoranden Israel im kommenden halben Jahr verlassen werden. Viele erzählen jedenfalls, sie denken an Kündigung oder Rückkehr, gerade wenn sie erst ein Jahr ihres PhD gemacht haben.

Das klingt ziemlich ernüchternd, auch für die Wissenschaft.

Molitor » Ich bin nicht ganz hoffnungslos. Ein Bekannter von mir war als Polizist bei dem Überfall auf das NOVA-Festival dabei. Er hat überlebt, war aber erstmal völlig hoffnungslos. Er war überzeugt, es wird keinen Frieden mehr geben. Kürzlich aber meinte er zu mir: Wenn sein Urgroßvater sähe, dass er hier stehe und mit einer Deutschen rede, wäre er sehr stolz und glücklich, dass es so weit gekommen ist. Selbst nach dem schlimmsten Genozid an Juden durch Deutsche konnten sie sich aussöhnen. Ich habe Israelis getroffen, die neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Das ist doch wunderbar. Vielleicht kann dies in ferner Zukunft auch mit den Palästinensern geschehen.