Editorial

Buchbesprechung

Florian Fisch




Henning Beck:
Biologie des Geistesblitzes: Speed up your mind!

Taschenbuch: 208 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 2013 (3. Mai 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3642365329
ISBN-13: 978-3642365324
Preis: 15,00 EUR



Boris Lemmer:
Bis(s) ins Innere des Protons: Ein Science Slam durch die Welt der Elementarteilchen, der Beschleuniger und Supernerds.

Taschenbuch: 291 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 2014 (8. Oktober 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3642377130
ISBN-13: 978-3642377136
Preis: 20,00 EUR

Rezension: Science Slam in Buchform - Lieber live!

Zwei Deutsche Meister des Science Slams (ja, so etwas gibt es!) haben sich als Autoren versucht. Kreativität und Elementar­teilchen werden dabei leicht verständlich, dennoch bleibt ein Beigeschmack.

Dieses Mal kommt der Trend nicht aus den USA. Nur sein Name ist angelsächsisch: Science Slam. Der unterhaltsame, wissenschaftliche Kurzvortrag wurde erstmals am 29. September 2006 abgehalten, an der TU Darmstadt. Sein literarisches Vorbild hingegen, der Poetry Slam, ist rund 20 Jahre älter und wurde in Chicago erfunden.

Zwei der drei ersten Deutschen Meister des Science Slams haben nun auch Bücher veröffentlicht. Der Champion von 2011, Boris Lemmer, promoviert über die Physik der Top-Quarks an der Georg-­August-Universität zu Göttingen und ist deswegen auch ab und zu am CERN in Genf anzutreffen. Sein Buch ist übertitelt mit Bis(s) ins Innere des Protons – Ein Science Slam durch die Welt der Elementarteilchen, der Beschleuniger und Supernerds.

Der andere Deutschmeister (von 2012), Henning Beck, studierte Energie- und Transportprozesse in Nervenzellen an der Universität Ulm. Dort promovierte er 2012. Beck ist zudem freischaffender Kommunikationstrainer und hält populärwissenschaftliche Vorträge über Hirnforschung und Kreativität, verdient also sein Geld damit, öffentlich aufzutreten. Zu seinen Lieblingsthemen hat auch er ein Buch geschrieben: Biologie des Geistesblitzes – Speed up your mind!

Dass ein Biologe über Kreativität schreibt, lässt zumindest aufhorchen. Kann das gut gehen? In diesem Fall tut es das. Beck liefert eine lesenswerte populärwissenschaftliche Zusammenfassung über das Wissen zur Kreativität. Und er unterliegt dabei nicht – wie manch anderer Neuro­wissenschaftler – der Versuchung, einer Neuromythologie zu frönen. Es geht nicht ausschließlich um Nervenzellen und Hirnregionen. Kritisch fasst er zusammen, was man über die Funktionsweise des Gehirns weiß und was über Kreativität – und wie die beiden zusammenpassen.


Geistesblitz oder Inspiration?

Beck zeigt, dass die Kreativitätsforschung seit Mitte des letzten Jahrhunderts kaum Fortschritte machte, während sich die Hirnforschung mit Entdeckungen beinahe überschlägt. Nur: Kreativität bleibt schwer zu fassen. So unterscheidet sich die Kreativität eines Newton oder eines Goethe fundamental. Die Legende des Apfels passt zu einer zündenden Idee wie der Gravitation. Um langanhaltende Inspiration zum Monumentalwerk Faust zu erklären, braucht es aber offensichtlich andere Qualitäten. Genauso unterscheidet sich auch, was im Gehirn einer Versuchsperson vor sich geht, wenn sie die Logik hinter der Zahlenreihe „0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13...“ erkennt (na, kommen Sie drauf?) oder wenn sie sich in einer kreativen Arbeitslaune befindet.


Neuro-Slammer Henning Beck ... Foto: Hochschule Esslingen

Heimatlose Kreativität

Beck wendet sich schlussendlich dem ersten, dem eigentlichen Geistesblitz zu. Dabei amüsiert er sich über die Ratgeberflut:

Vergessen Sie die Märchen von der kreativen rechten Hirnhälfte. Denken Sie mit dem ganzen Hirn!

So habe man bisher, trotz intensiver Suche, kein Zentrum für Kreativität im Gehirn gefunden. Der präfrontale Kortex sei aber zentral. Dort würde das zu lösende Problem erfasst, die Aufgabe im Hirn verteilt und die Rückmeldungen ausgewertet. Im Falle eines Geistesblitzes werde einem dort die Lösung bewusst.

Der inzwischen im südhessischen Bensheim wohnhafte Neurobiologe erklärt eindrücklich, wie sich das Gehirn vom Computer unterscheidet und weshalb dies eine wichtige Voraussetzung für Kreativität ist. Mit dem einleuchtenden Modell eines kleinen Hundert-Neuronen-Hirns macht Beck klar, weshalb unser Hirn unvorhersagbar agiert, dass das gesamte Vorwissen mitdenkt und dass dabei auch noch Fehler passieren. Er erklärt, wie charakteristische Aktivitätsmuster von Neuronengruppen entstehen, die sich jedes Mal verändern, wenn zum Beispiel ein bestimmtes Signal eines Sinnes­organs auf die dazugehörige Region der Hirnrinde weitergeleitet wird. Die Kombination verschiedener Aktivitätsmuster auf verschiedenen Ebenen im Gehirn mache Kreativität möglich, und deshalb seien nicht nur Künstler, Wissenschaftler und Erfinder kreativ: „Tatsächlich sind wir alle kreativ, permanent“. Das zeige sich bereits, wenn man in den Kühlschrank schaue und sich überlege, was man heute kochen könnte.

Leider benutzt Beck ausgerechnet das Wort Geistesblitz sehr schludrig. Einmal ist es ein Aktionspotential, ein anderes Mal ein kreativer Einfall. Schade auch, dass dem gut lesbaren Kapitel zur Kreativität noch drei lange zur Grundstruktur des Gehirns, den Zellen und den Nerven­impulsen voran­gestellt werden. Letztere werden kaum einen Biologen vom Hocker hauen. Aber für Biologen ist es wohl auch nicht geschrieben, sondern für die breite, naturwissenschaftlich eher unbescholtene Masse.


... und sein Physikerkollege Boris Lemmer. Foto: CERN

Elementarteilchen...

Ganz anders beim Teilchen­physiker Lemmer. Sein Buch ist genau für den typischen Biologen geschrieben, der sich durchaus für Physik interessiert, aber eher wenig Ahnung von den Hintergründen hat (und von Mathematik erst recht nicht!). Lemmer rollt die Geschichte der immer noch andauernden Suche nach den Elementarteilchen auf: Von Atomen über Elektronen, Protonen und Neutronen über die Quarks und den ganzen Teilchenzoo bis zum Higgs-Boson, für das bei Genf eigens ein milliardenschwerer Teilchenbeschleuniger (der „Large Hadron Collider“, LHC) gebaut wurde.

Dabei lernt man zum Beispiel, dass die Masse des Protons nicht durch die Masse der drei Quarks entsteht, sondern, durch die Energie, welche diese Quarks verbindet. Et Voilà: E = mc2.

... und Antimaterie

Auf dem Weg zu den punktförmigen Elementarteilchen, amüsant mit Plüschkissen illustriert (siehe Foto oben), wird auch erklärt, was Antimaterie ist, wie Masse entsteht, wie der LHC funktioniert und was man dort neben dem Higgs sonst noch alles erforscht. Für alle, die Milliarden Euro teure Teilchenbeschleuniger für Geldverschwendung halten, bringt Lemmer zum Schluss noch beispielhafte Anwendungen für die reale Welt: also Strahlentherapie, Internet und Cloud-Computing.

Grundsätzlich machen die beiden ihre Sache schon richtig. Der Physiker Lemmer und der Biologe Beck geben selbstkritische und amüsante Einblicke ins Laborleben. Es gelingt ihnen, auch die sozialen Aspekte ihrer jeweiligen Naturwissenschaft darzustellen. Die (Ex-)Doktoranden sind gute Erklärer und scheuen sich nicht, die Materie zu vereinfachen. Dies sind natürlich wichtige Qualitäten für richtige Science-Slammer.

Trotzdem können die beiden Bücher gerade als Slam nicht so recht überzeugen. Beide Autoren beharren zwar darauf, dass ihr Buch ein Science Slam sei. Bei Lemmer ist es sogar der Untertitel. Und Beck sagt im Vorwort: „Was Sie hier in den Händen halten, ist eigentlich ein wissenschaftlicher Vortrag, ein Science Slam, der sich als Buch verkleidet hat.“

Slam (englisch für wuchtigen Schlag) wird beim Kartenspiel und im Sport benutzt. Ein Grand Slam beim Bridge heisst, sämtliche Stiche abzuräumen. Ein Basketballer versenkt den Ball mit einem eindrucksvollen Slam Dunk (wenn er das sprungkraftmäßig drauf hat). Davon hat sich der Vater des Poetry Slam, der amerikanische Performance-Poet Marc Kelly Smith, einst inspirieren lassen, als er 1986 den weltersten Dichterwettstreit namens Uptown Poetry Slam abhielt.

Auch der Science Slam ist kompetitiv. Ein Jury oder das Publikum entscheiden, welche Darbietung am besten gefallen hat. Ein Science Slam muss also unterhalten und kurz gehalten sein (üblicherweise zehn Minuten).

An dieser Hürde scheitern beide Autoren. Obwohl sich Lemmer und Beck sichtlich Mühe gegeben haben, fehlt es ihren Büchern an Geschwindigkeit und Spontaneität. Beck versucht es mit Zwischenfragen eines imaginären Publikums; beide mit vielen Bildern und Anekdoten. Es will nicht so recht klappen. Der Bühnenhumor lässt sich nicht eins zu eins in ein Buch übertragen; er wirkt dort zu grob und auf die Dauer ermüdend.

Das Original ist origineller

Wenn es beim Science Slam langweilig wird, sich die Gags wiederholen und die Witzfrequenz sinkt, kommt schon der nächste Vortragende. Auch das geht im Buch nicht, alle Kapitel stammen ja vom selben Autor. So wirken die Bücher eher wie Lehrbücher – bei Lemmer sogar mit dem entsprechenden schweren Physik-Jargon und mathematischen Herleitungen. Auch wenn diese in grau unterlegten „Schlauboxen“ abgesondert sind, geben sie einem doch zeitweise das Gefühl, zu dumm für diese Welt zu sein. Wahrscheinlich ist es sogar unmöglich, den Spannungsbogen über 250 Seiten zu halten. Als Lehrbücher taugen die Bücher aber auch nicht, da die Aussagen nicht konsequent belegt und der Grad der Vereinfachung nicht immer transparent ist.

Kein Zweifel, Beck und Lemmer sind tolle Slammer. Aber wer wirklich einen Science Slam erleben möchte, geht wohl lieber zum Original. Falls in der Nähe gerade keiner stattfindet, kann man auch sein digitales Heimkino anwerfen und zu YouTube schweifen.




Letzte Änderungen: 13.05.2014