Editorial

Buchbesprechung

Florian Fisch




Gottfried Schatz:
Die Welt in der wir leben – Ein Biologe über unser Wesen, unsere Träume und den Grund der Dinge.

Taschenbuch: 160 Seiten
Verlag: Verlag Herder; Auflage: 1 (2. März 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3451057921
ISBN-13: 978-3451057922
Preis: 10,00 EUR

Was sonst noch in den Genen steckt

Kunst und Wissenschaft haben mehr gemeinsam als man gemeinhin denkt. Die Aufsatzsammlung von Gottfried Schatz beweist, dass auch Biochemiker das Zeug zum Schriftsteller haben können.

Ist Ihr Forschungsthema zu komplex, um es Laien zu erklären? Dann sollten Sie mal Gottfried Schatz lesen:

Das Wunderbare an uns Menschen ist, dass wir zwei Vererbungssysteme besitzen – ein chemisches und ein kulturelles. [...]. Welches der beiden Vererbungssysteme ist dafür verantwortlich, dass Menschen verschiedener Kulturen so unterschiedlich denken und handeln? Vielleicht ist es manchmal keines der beiden, sondern ein Parasit, der sich unseres Gehirns bemächtigt.

Anschaulicher könnte man die Hypothese, dass Toxoplasma gondii mutmaßlich menschliches Verhalten beeinflusst, wohl kaum erklären. Wer findet, Parasitologie und Verhalten seien nicht Herausforderung genug, sollte lesen, wie Schatz die Darstellung der Struktur von Aquaporin mit einem expressionistischen Portrait vergleicht. Bei der Lektüre wird jedem Laien klar:

Die detailgetreue Darstellung eines komplexen Objektes [...] verschleiert dessen inneres Wesen.

Rhythmische Aminosäuren

Gottfried Schatz. Foto: Roche

So poetisch wie von Schatz wurden die oft trocken anmutenden Figuren von neu bestimmten Proteinstrukturen wahrscheinlich noch nie beschrieben. Seinen Forscherkollegen sei es gelungen „den Rhythmus bestimmter Aminosäuren in den verschlungenen Ketten mit leuchtenden Farben sichtbar zu machen.“

Sein Buch Die Welt in der wir leben (gebundene Ausgabe: Jenseits der Gene) ist eine Sammlung von in poetischem Stil geschriebenen Artikeln, die mehrheitlich im Feuilltonteil der Neuen Zürcher Zeitung erschienen sind. Schatz beweist mit den Artikeln, dass er nicht nur ein erfolgreicher Biochemiker im (Un)ruhestand ist, der Mitochondrien eingehend studierte und zwischenzeitlich das Biozentrum in Basel leitete, sondern auch ein Kunstkenner und begnadeter Autor. Die Themen reichen von der Wahrnehmung bis zur Photosynthese, von Retroviren bis zur Komplexität des menschlichen Körpers und vom idealen Wissenschaftler bis zur Bürokratie.

Philosophie mit Bodenhaftung

Obwohl sich Schatz mit einem Zitat von Richard Feynman über Wissenschaftsphilosophen lustig macht, die für die Wissenschaft ebenso wichtig seien wie die Ornithologen für die Vögel, denkt er selbst viel über die Wissenschaft nach. Zum Beispiel, wenn er zu einem fiktiven Architekten spricht, der ein neues Gebäude für die Wissenschaft bauen möchte:

Die langfristige Forschung [Grundlagenforschung] gebiert ihre neuen Ideen meist nicht in Sitzungszimmern oder Jahresplänen, sondern in Kantinen und auf Papierservietten.

Das Wissenschaftsgebäude ist dabei durchaus metaphorisch gemeint. Für den Autor dieser Buchbesprechung ist es die prächtigste Perle im Buch.

Schatz schafft es immer wieder eine ungeheure Fülle an Information so zusammenzufassen und zu vereinfachen, dass alle etwas davon haben. Nur ganz selten geht er in der Vereinfachung zu weit: zum Beispiel beim Thema Photosynthese, wo er von seinen „Sonnenlicht essenden Vorfahren“ schreibt und damit den grenz­wissenschaftlichen Lichtnahrungsesoterikern einen Steilpass gibt. Auch wenn er davon spricht, dass wir nicht vollständig von den Genen bestimmt seien und dabei sagt: „Bakterien lesen ihr Genom, wir interpretieren das unsere“, muss man Fragezeichen setzen.

Freiheit statt Rassenwahn

Man kann dies dem Österreicher, der in die Nazizeit geboren wurde und jahrzehntelang in der Schweiz lebte und forschte, jedoch leicht verzeihen. Das Thema Rassenwahn und seine persönliche Geschichte durchziehen seine Aufsätze, wodurch die Lektüre umso interessanter und anschaulicher wird. Sein Aufruf zur Neugier und Freiheit sowie die Kritik an Aberglaube und Bürokratie sind wunderbar mit den Informationsinhalten verwoben. Freilich findet man auch eher fade Themen, gerade wenn er zu philosophisch oder zu sachlich schreibt. Schatz‘ Risikobereitschaft, die Dinge einmal anders zu formulieren und sich damit vor seinen Kollegen zu exponieren, hat sich aber mehr als gelohnt.

Unterhaltsame Lektüre

Biologen und Mediziner werden kaum komplett neue Informationen im Buch des Biochemikers finden. Die neue Betrachtungsweise gibt aber eine unterhaltsame Gutenachtlektüre ab und erschließt sich auch Laien, die man von der Schönheit seines Faches überzeugen möchte.




Letzte Änderungen: 07.04.2014