Editorial

Buchbesprechung

Hubert Rehm




P. Johannes, J. Potthoff, A. Roßnagel, B. Neumair, M. Madiesh & S. Hackel:
Beweissicheres elektronisches Laborbuch (Bd. 29 von „Der Elektronische Rechtsverkehr“).

Broschiert: 246 Seiten
Verlag: Nomos; Auflage: 1. Auflage. (30. Juli 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3848707063
ISBN-13: 978-3848707065
Preis: 64,00 EUR


Quantenchemische Originalaufzeichnungen des 21-jährigen Studenten Linus Pauling vom November 1922, der damals am Oregon Agricultural College seinen Abschluss machte. Quelle: Oregon State University

Rohdaten - Beweissicheres elektronisches Laborbuch

Ein Buch sollte gelesen werden. Dieses Ziel dürften die Autoren des vorliegenden Buchs wohl verfehlt haben.

Der Titel des Buches lässt vermuten, es handele sich um eine Anleitung, wie ein elektronisches Laborbuch zu erstellen sei. Diese scheinen ja die gebundenen, handbeschrifteten Laborbücher abzulösen. Dafür gibt es Gründe: Ein elektronisches Laborbuch kann man ins Netz stellen und so jedem Interessierten zugänglich machen. Volker Bähr, der Leiter der Geschäftsstelle „Gute Wissenschaftliche Praxis der Charité“, fordert sogar, dass jedes Institut die Laborbücher zu den Veröffentlichungen ins Netz stellen sollte. Damit könnte jeder Interessierte sich von der Qualität der veröffentlichten Daten und dem korrekten Arbeiten des jeweiligen Forschers überzeugen. Zudem lassen sich manche Daten elektronisch leichter speichern und mit einer Suchfunktion finden.

Elektronische Laborbücher sind jedoch leichter zu fälschen als handgeschriebene. Zudem veralten elektronische Datenträger und geben nach ein paar Jahren ganz den Geist auf. Das säure- und holzfreie Papier herkömmlicher Laborbücher dagegen überdauert Jahrhunderte.

Resultat eines DFG-Verbundprojekts

Haben die sechs Autoren dieses Problem gelöst? Was sind das für Leute?

Es sind Physiker, Informatiker und Juristen; Mitglieder des DFG-geförderten interdisziplinären Verbundprojekts „Beweissicheres elektronisches Laborbuch (BeLab)“. In ihrem Buch legen sie die Ergebnisse von zwölf Mannjahren Nachdenken vor. Um es gleich zu sagen: Viel kam nicht dabei heraus. Die ersten 45 von 228 Seiten sind informationsarm, angefüllt mit Banalitäten, Selbstverständlichkeiten und Informationen aus zweiter und dritter Hand.

Geärgert hat den Rezensenten der Abschnitt über Datenfälschung. Er liest sich wie zehnmal aufgekochtes Rindfleisch. Zudem erwähnen die Autoren in der Regel die abgeleitete und nicht die Primärliteratur. Sie zitieren also nicht die Artikel jener Journalisten, die in mühseliger und riskanter Kleinarbeit die Fälle aufgeklärt haben, sondern Zweitverwertungen. Vermutlich liest sich das leichter. Es nimmt aber den tieferen Einblick in die Schwierigkeiten der Aufklärung, ist unfair und verträgt sich nicht mit dem Anspruch, den die Autoren an Andere stellen: Sie fordern, die „Nichterwähnung früherer Beobachtung anderer“ als Fehlverhalten zu werten.

Kurzum, nach den ersten 45 Seiten stand der Rezensent kurz davor, das Buch in den Papierkorb zu pfeffern. Dies um so mehr als die Seiten trotz oder wegen ihrer Informationsarmut so betulich daher schleichen wie ein quasi-amtlicher Text, der es wohl auch sein soll.

Dann kam das Kapitel 1.5.2.1 „Urkundenfälschungen“. Das und etliche der folgenden Abschnitte sind besser. Bisher herrschte unter Datenfälschern, Aufklärern und Whistleblowern die Meinung vor, die Fälschung wissenschaftlicher Daten sei strafrechtlich nicht zu belangen. Die Autoren von Beweissicheres elektronisches Laborbuch weisen überzeugend nach, dass Wissenschaftsfälscher sehr wohl strafrechtlich belangt werden können, zum Beispiel wegen Urkundenfälschung: Laborbücher wiesen alle Merkmale einer Urkunde auf (im Sinne des § 267 StGB). Zugegeben auch diese Abschnitte sind kein Lesevergnügen, außer vielleicht für eingefleischte Juristen, aber das Lesen lohnt wenigstens.

Die juristischen Ergüsse ziehen sich bis auf Seite 153. Es geht um Laborbücher als Beweismaterial, elektronische Signaturen, Zurechenbarkeit und Vertraulichkeit und Integrität der Systeme, alles reichlichst garniert mit Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch und der Zivilprozeßordnung. Eine Fundgrube für Ombudsmanen, Mitglieder von Ethikkommissionen, zu allem entschlossene Whistleblower und deren Rechtsanwälte! Freilich ein begrenztes Publikum: ein Verkaufserfolg wird dieses Buch nicht werden. Literarisch Interessierte finden hin und wieder tiefgründige Formulierungen wie „Allgemein anerkannt ist jedoch, dass Urkunden im Sinne der Zivilprozeßordnung die Verkörperung einer Gedankenäußerung in Schriftform sind.“ Einen Kaufimpuls dürfte auch dies nicht auslösen.

IT-Slang, Juristenkauderwelsch...

Ab Seite 155 geht es um die Umsetzung des BeLab-Konzepts, also um die Frage: Wie macht man das eigentlich, ein elektronisches Laborbuch? Naturgemäß löst hier der IT-Slang das Juristenkauderwelsch ab; kein Gewinn für den unbedarften Leser. Denn wenn letzterer mit einiger Konzentration und drei Tassen Espresso noch zu verstehen ist, wird es nun völlig DubiDubiDu. Oder können Sie aus Wörtern wie „Hash-Wert“ oder „Framework Apache Commons Virtual File System“ einen Sinn pressen? Falls ja, dann sind Sie hier richtig! Der Rezensent jedoch fühlte sich im falschen Film und kann daher auch nicht über Sinn oder Unsinn der letzten 50 Seiten urteilen.

Der Fremdwortaufwand, den die Autoren auf diesen Seiten treiben, drängt jedoch den Schluss auf, dass das altmodische, handgebundene, seitennumerierte Laborbuch auch heute noch mit einem BeLab konkurrieren kann: Es braucht nur einen Kuli und kein Informatikstudium und weist dennoch eine unerreicht hohe Fälschungssicherheit auf. Ins Netz stellen lässt sich übrigens auch das altmodische Laborbuch: scannen, in eine pdf Datei umwandeln, eingeben!




Letzte Änderungen: 09.11.2013