Editorial

Bionik

von Silke Detlefsen (Laborjournal-Ausgabe 03, 1999)


Nie mehr Auto putzen. Regenwasser reinigt den Lack ganz von alleine und ohne chemische Hilfsmittel. Eine schöne Utopie? Seit der Entdeckung des "Lotos-Effekts" nicht unbedingt. Die Bonner Gruppe um Wilhelm Barthlott konnte an der Lotosblume Nelumbo nucifera zeigen, daß ~N,asser alleine ausreichen kann, um Schmutzpartikel von Pflanzenblätter abzuwaschen. Entscheidend für diese wirksame Selbstreinigung ist die Ultrastruktur der Blattoberfläche: Eine Cuticula, die durch Wachsauflagerungen besonders rauh und hydrophob ist, sowie gewölbte und papillöse Epidermiszellen sorgen dafür, daß Schmutz und Wasser kaum haften können. Auf einer glatten Oberfläche werden Schmutzpartikel durch Wassertropfen nur verlagert, bei rauhem Untergrund dagegen haften sie an den Wasserteilchen und werden mit ihnen zusammen vom Blatt gespült. Ein Prinzip, das sich durchaus indistriell nutzen läßt. Sämtliche Augenflachen, die starken Verschmutzungen ausgesetzt sind, wie etwa Lacke, Fassaden oder Folien, könnten nach der Entwicklung von entsprechenden, mikrostrukturierten Werkstoffe durch Regenwasser allein gereinigt werden.

Ein Beispiel von vielen aus der Bionik, die sich mit der direkten Umsetzung von lange bewährten biologischen Prinzipien in die technische Anwendung beschäftigt. Seit ungefähr 40 Jahren wird Bionik, ein Kunstwort aus Biologie und Technik, systematisch betrieben. Ziel der Bionik ist allerdinngs nicht, die Natur direkt zu kopieren, sie demnach quasi als reine Blaupause für die Technik einzusetzen. Vielmehr umschreibt Werner Nachtigall von der Uni Saarbrücken Bionik mit "Lernen von der Natur als Anregung für eigenständiges Gestalten".

Eng verknüpft mit der Bionik ist indes die Technische Biologie. Diese versucht die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, die die Bionik schließlich aufbereitet und als Angebote an die Technik konkretisiert. Die endgültige technische Umsetzung ist die Aufgabe des Ingenieurs oder interessierten Industrieunternehmens.

Viele Bionik-Projekte beweisen, daß es effizient und umweltschonend ist, die Prinzipien der Natur zu berücksichtigen. Transportmittel können Kraftstoff -sparen, wenn sich ihre Gestalt an den spindelförmigen Körper der Pinguine orientiert, die einen geringen Widerstand als andere Körperformen aufweisen. Ebenso kann der Kerosinverbrauch von Passagierflugzeugen erheblich vermindert werden, wenn diese mit einer künstlichen Haifischhaut beklebt werden. Die typischen Rillen, die in Strömungsrichtung verlaufen, vermindern die Lange fristete die Bionik in Deutschland ein Schattendasein. In letzter Zeit wurden indes zahlreiche Bionik-Projekte mit Preisen geehrt. So erhielt etwa das Team Wilhelm Barthlott für seine Arbeiten zum Lotos-Effekt den diesjährigen Philip-Morris-Forschungspreis. Ein Zeichen dafür, daß die Ideen der Bionik-Forscher inzwischen auf breite Akzeptanz stoßen. Bleibt zu hoffen, daß Biologen und Ingenieure ihren Dialog nun weiter verstärken. Daß Mensch und Umwelt davon durchaus profitieren, steht inzwischen außer Zweifel.



Letzte Änderungen: 19.10.2004