Editorial

Lebende Antibiotika

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 05, 2017)


Stichwort

Abbildung: iStock Photos / ZarkoCvijovic

Der Feind meines Feindes ist mein Freund – dieser These hat eine Gruppe der New Jersey Medical School unlängst auf den Zahn gefühlt. Der Freund war in diesem Fall ein räuberisches Bakterium, auf dessen Speiseplan andere Bakterien stehen. Und der Feind, den es zu bekämpfen galt, war Klebsiella pneumoniae, ein meist ungefährlicher Mitbewohner im menschlichen Körper, der aber in der Lunge Infekte auslösen kann. Das Team um Daniel Kadouri fragte sich: Sind prädatorische Bakterien in der Lage, bakterielle Infektionen zu bekämpfen? Kann man sie also als „lebende Antibiotika“ einsetzen? Ihre jüngsten Ergebnisse stimmen sie optimistisch (mBio 7(6): e01847-16).

Es mag befremdlich erscheinen, sich im Kampf gegen pathogene Bakterien ausgerechnet andere Bakterien als Verbündete zu suchen. Doch immer öfter begegnen Ärzte im klinischen Alltag Erregern, die gleich gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Hierzulande infizieren sich pro Jahr 30.000 bis 35.000 Patienten mit multiresistenten Keimen, bis zu 4.000 von ihnen sterben – so die vorsichtigen Schätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Wie hoch auch immer die realen Zahlen sein mögen: Allein die Tatsache, dass sich Bakterienstämme verbreiten, die gegen alle üblichen Antibiotika resistent sind, ist alarmierend. Denn je öfter Ärzte die selten eingesetzten Notfall-Präparate aus dem Medizinschrank holen müssen, desto größer wird der Selektionsdruck auf die Erreger, auch gegen diese Präparate Antibiotika Resistenzen zu entwickeln.

Und so kommen Forscher bei der Suche nach Behandlungsalternativen bisweilen auf ausgefallene Ideen (siehe auch „Phagentherapie“, LJ 5/2016, S. 18 ff). Unter den bakterienfressenden Bakterien stehen derzeit zwei Arten im Fokus der Wissenschaft: Bdellovibrio bacteriovorus und Micavibrio aeruginosavorus. Bdellovibrio flitzt mithilfe seines Flagellums umher, bis es auf einer passenden Beute landet. Dann verfährt es in „Alien“-Manier nach Hollywood: Es dringt in sein Opfer ein und schüttet einen Enzymcocktail aus, um das Beutebakterium von innen heraus zu verspeisen. Micavibrio hingegen wählt die „Vampir“-Variante: Es heftet sich von außen an die Beute und saugt sie regelrecht leer.

Aliens und Vampire

Zwar haben beide Räuber in Laborexperimenten schon ihr Talent unter Beweis gestellt, auch einigen humanpathogenen Bakterien den Garaus zu machen – doch handelt es sich bei Bdellovibrio und Micavibrio eigentlich um freilebende Prokaryoten. Fraglich daher, ob die Auftragskiller im Dienste der Medizin ihren Job auch im lebenden Säuger-Organismus erledigen würden. Und falls ja: Wer garantiert, dass „Alien“ und „Dracula“ nicht auch auf ihre eukaryotischen Wirte Appetit bekommen?

Was den zweiten Punkt betrifft, darf man wohl beruhigt sein. Beide Arten ernähren sich nach heutigem Kenntnisstand ausschließlich von gramnegativen Bakterien. Vergangenes Jahr berichtete ein Forscherteam um Robert Mitchell vom südkoreanischen Ulsan National Institute of Science and Technology über Experimente an Zelllinien von Mensch und Maus. Die Kulturen versetzten sie entweder mit E. coli oder aber einer räuberischen Bakterienart, darunter auch Bdellovibrio bacteriovorus. Während E. coli das Überleben der Säugerzellen signifikant verringerte, störten die Räuber deren Fortbestand kaum (Sci Rep 6: 33485).

Weniger Klebsiella in der Lunge

Zurück nach New Jersey und zum Einsatz in den Lungen lebender Ratten. Daniel Kadouri und seine Mitstreiter verabreichten den Ratten entweder Micavibrio aeruginosavorus oder einen von zwei Bdellovibrio bacteriovorus-Stämmen über die Nase. Zunächst wollten die Forscher wissen, ob die prädatorischen Bakterien negative Effekte auf die Tiere ausüben. Zwar stiegen die Zytokin-Werte zunächst leicht an, fielen aber schnell wieder ab. Mikroskopisch sichtbare Veränderungen der Lunge sahen die Wissenschaftler nicht. Nach zehn Tagen waren die Bakterien weder in der Lunge noch in anderen Organen der Ratte nachweisbar.

Doch was passiert, wenn die Tiere mit Klebsiella pneumoniae infiziert sind? Nach Infektion mit einer subletalen Dosis verglichen die Forscher Tiere die anschließend Pufferlösung in die Nase bekamen, mit solchen, die stattdessen einen der Räuberstämme aufgenommen hatten. Die meisten Ratten mit prädatorischen Bakterien zeigten 24 Stunden nach Versuchsbeginn eine geringere Klebsiella-Konzentration in der Lunge als die Kontrolltiere. Anscheinend wirkte die „lebende Antibiose“.

Trotzdem weisen die Autoren darauf hin, dass der Klebsiella-Rückgang in den behandelten Tieren noch kein Beweis dafür ist, dass die räuberischen Bakterien wirklich auch in vivo andere Bakterien fressen. Ebenso könne ein synergistischer Effekt durch beide Bakterienspezies einfach eine stärkere Immunantwort ausgelöst haben.

Weiterhin sei erwähnt, dass viele der typischen Krankenhauskeime – so etwa Staphylococcus aureus – grampositiv sind und damit nicht auf der Speisekarte der Prädatoren stehen. Und noch ein Punkt: Das Immunsystem der Labor-Ratten kam mit den Räuberbakterien gut zurecht. Inwieweit das aber auch auf immungeschwächte intensivpflichtige Patienten zutrifft, bleibt unklar. Gerade dieser Patientengruppe werden die resistenten Keime schließlich besonders gefährlich.

Ob der Feind meines Feindes in diesem Fall wirklich mein Freund ist, verraten die Ergebnisse aus New Jersey folglich noch nicht. Sicher werden auch die „lebenden Antibiotika“ kein Allheilmittel. Vielleicht helfen sie aber irgendwann, den Einsatz der klassischen Antibiotika und damit die Ausbreitung von Resistenzen zumindest einzuschränken.



Letzte Änderungen: 08.05.2017