Editorial

Zuckersequenzierung

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 12, 2015)


Stichwort

Die Sequenzierung von Polysacchariden ist kein Zuckerschlecken. Einfach­zucker können an verschiedenen Positio­nen Verbindungen knüpfen, so dass sich eine Zuckerkette auch verzweigen kann. Außerdem gilt es, die Stereochemie der einzelnen Bindungen zu berücksichtigen. Für jedes Glied der Kette gibt es dutzende Möglichkeiten.

Kevin Pagel kennt die Hürden der Glycan-Analytik. Der Juniorprofessor forscht am Institut für Chemie und Biochemie der FU Berlin und am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Einfache Massenspektrometrie scheidet für die Sequenz­analyse aus, weil Zucker mit gleichen Summenformeln unterschiedliche isomere and anomere Strukturen aufweisen können. So haben Glucose und Fructose dieselbe Masse, aber unterschiedliche chemische und physikalische Eigenschaften. Auch die Röntgenkristallografie ist kein Ausweg, weil viele Poly- und Oligosaccharide nicht kristallisieren. „Zucker sind deutlich komplexer als Proteine; weil sich der Ring verbiegen kann und es viel mehr Rotationsmöglichkeiten gibt“, begründet Pagel.


Isomere und Anomere

Bislang griffen Chemiker daher vor allem auf die NMR-Spektroskopie zurück, um Saccharide zu analysieren. Damit misst man die magnetische Kernresonanz einzelner Atome, die sich je nach Nachbarschaft unterscheidet; so kann man auf die Struktur des gesamten Moleküls schließen. Klingt schön, hat aber seine Grenzen. Zum einen, weil man Milligramm-Mengen an Probenmaterial benötigt, zum anderen, weil Gemische verschiedener Glycane schwer zu analysieren sind. Die Nachweisgrenze liegt bei rund fünf Prozent; geringere Konzentrationen eines Mehrfach­zuckers werden mit NMR nicht erfasst. Genau die würde man bei der künstlichen Synthese von Zuckern für biotechnische Anwendungen aber gern bestimmen, um falsche Syntheseprodukte auszuschließen. „Schon geringe Verunreinigungen können sich auf die biologische Aktivität auswirken“, so Pagel, „wenn Sie zum Beispiel statt eines Alpha-Zuckers geringe Mengen der Beta-Konfiguration eingebaut haben.“

Und natürlich wünschen sich auch Biologen ein zuverlässiges und simples Verfahren, um die Sequenz von Zuckerverbindungen ermitteln zu können. Daher hat sich Pagels Team mit der Gruppe von Peter Seeberger am MPI in Potsdam zusammengeschlossen. Der sei ein Experte für die künstliche Synthese von Oligosacchariden, schwärmt Pagel. „Herr Seeberger hat sechs Kohlenhydrate synthetisch generiert, die wir als Referenz nutzen konnten, um unsere Methode zu testen.“ Die Chemiker haben für ihre Messungen eine Kombination aus Massenspektrometrie und Ionenmobilitäts-Spektrometrie (IM-MS) verwendet und an Seebergers Oligosacchariden ausprobiert (Nature 526: 241-4).

Während die Massenspektrometrie meist nur Rückschlüsse auf eine Summenformel erlaubt, erfasst die Ionenmobilitäts-Spektrometrie auch räumliche Unterschiede zwischen gleich schweren Molekülen. Hierzu ionisiert man das Probenmaterial und lässt die Moleküle durch ein elektrisches Feld fliegen. Die Messvorrichtung ist mit einem Gas gefüllt, so dass die Moleküle gebremst werden. Je mehr Oberfläche sie dem Gas entgegensetzen, desto länger dauert ihr Weg zum Detektor. Der gemessene Wert steht für die sogenannte Collision Cross Section (CCS).

Ab in die Datenbank

Mittels IM-MS kann man also jedem Mehrfachzucker neben der Masse auch einen CCS-Wert zuordnen. Jetzt braucht man eine Datenbank mit Vergleichswerten. „Die gibt es schon“, freut sich Pagel und verweist auf www.glycomob.org. Die Idee: Man misst systematisch möglichst viele bekannte Saccharide und hinterlegt die charakteristischen Fingerabdrücke in diesem Archiv. So wie man Nukleotid-Sequenzen ‚blastet’, kann man dann in der Glycan-Datenbank nach Treffern zu den Massen und CCS-Werten der eigenen Zuckersequenzen suchen.

Unzählige Möglichkeiten

Macht man sich aber klar, dass es allein unter den Hexosen mehr als zehn verschiedene biologisch relevante Verbindungen gibt, die dann noch in unterschiedlicher Weise verknüpft werden können, kommt man schon für kurze Zuckerketten auf unzählige Möglichkeiten, die kaum eine Datenbank abdecken kann. Doch Pagel hat eine gute Nachricht: „Der Trick unserer Methode besteht darin, dass wir nicht nur den intakten Zucker messen, sondern diesen auch in Fragmente zerlegen.“ Ein neu entdeckter Zehnfachzucker mag unbekannt sein, doch für die kürzeren Bruchstücke aus zwei oder drei Bausteinen bekommt man in einer gut gepflegten Datenbank wahrscheinlich einen Treffer. „Herr Seeberger hat eine große Bibliothek synthetischer Zucker, und die werden wir jetzt systematisch durchmessen“, verrät Pagel künftige Pläne des Forscherteams. Die Datenbank bekommt dann zu jedem gemessenen Polysaccharid neben Masse und CCS-Wert des intakten Moleküls auch Daten zu unterschiedlich großen Bruchstücken.

Die Ergebnisse der Messungen an den bislang sechs Referenz-Sacchariden sind vielversprechend: Die Verbindungen zwischen einzelnen Zuckern und stereochemische Eigenschaften ließen sich eindeutig bestimmen. Verunreinigungen durch andere Zucker konnten die Forscher in der Größenordnung von einem Promille erfassen. Ionenmobilitäts-Massenspektrometrie könnte den Alltag der Zuckerforscher also deutlich versüßen.



Letzte Änderungen: 04.12.2015