Editorial

Nekroptose

von Thorsten Lieke (Laborjournal-Ausgabe 11, 2011)

Nekroptose?

... macht Krebs den Garaus.
Foto: iStock/ Creativeye99

Irgendwann erwischt es jeden: Menschen, Tiere, Pflanzen, Zellen. Alle sterben. Lange Zeit war man der Meinung, dass dies bei Zellen auf zwei Arten geschehen kann: Entweder durch den spontanen Zelltod, die Nekrose, oder durch den programmierten Zelltod, die Apoptose.

Den nekrotischen Tod finden Zellen durch Stress, etwa wenn durch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall die Nährstoffversorgung zusammenbricht, oder durch Verletzung. Die Zellen schwellen an, wodurch die Plasmamembran zerstört wird. Zytoplasma und Zellorganellen gelangen in den Extrazellularraum und führen zu Entzündungen. Makrophagen rücken an und beseitigen die Zellreste.

Apoptose läuft dagegen reguliert ab. Sie wird von der Zelle selbst aktiv durchgeführt. Daher unterliegt sie strenger Kontrolle und gewährleistet so, dass die Zelle ohne Schädigung des Nachbargewebes zugrunde geht. Bei der Apoptose spielen die proteolytisch aktiven Caspasen eine zentrale Rolle.

Der extrinsische Weg der Apoptose (Apoptose Typ I) wird initiiert durch Ligandenbindung an Todes-Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Zu diesen gehören TNF-Rezeptoren, die durch Tumor- Nekrose-Faktor-α (TNF-α) oder auch TRAIL (TNF-α related apoptosis inducing ligand) miteinander verknüpft werden. Durch diese induzierte Rezeptor-Trimerisierung bilden die zytoplasmatischen Todesdomänen des Rezeptors eine Struktur aus, an die Adaptermoleküle mit eigener Todesdomäne (DD) binden können. Ganz vorne steht dabei immer das TNFRezeptor- assoziierte Protein (TRADD). An TRADD bindet FADD (Fas-associated protein with death domaine). FADD wiederum besitzt eine Todeseffektordomäne, über die es Caspase 8 aktiviert, den Initiator der Caspase-Kaskade: Caspase 8 bringt die Mitochondrien dazu, Cytochrom c freizusetzen, was wiederum Caspase 9 und Caspase 3 auf den Plan ruft. Die Caspase 3-Aktivität schließlich führt unweigerlich in die Apoptose. Die Moleküle im Zellkern kondensieren, Endonukleasen zerhäckseln die DNA in Stücke bestimmter Länge (Apoptose-Leiter), die Zellmembran wirft Blasen; die Zellen schnüren sich nach und nach in kleinen Vesikeln ab, die von herbeigerufenen Makrophagen und Neutrophilen phagozytiert werden. Am Ende bleibt ein homogen eosinophiles Apoptosekörperchen, das ebenfalls von den Phagozyten verspeist wird. Im Gegensatz zur Nekrose entsteht dabei keine Entzündung.


Der Hybrid-Zelltod

Das war lange Zeit die Meinung über das Ende von Zellen. Doch es gibt einen Hybridmechanismus dieser beiden Wege, der 2005 von Junying Yuan und seiner Arbeitsgruppe beschrieben wurde (Nat Chem Biol 2005, 1(2):112-9) – die Nekroptose. Sie fanden diesen Weg, als sie T-Lymphozyten mit einem Hemmstoff für Caspase 8 behandelten. Bei T-Zellen spielt die Apoptose eine besondere Rolle, da sich die Zellen des adaptiven Immunsystems in einem dynamischen, gesteuerten Gleichgewicht von Entstehen und Vergehen befinden. Daher nahmen Yuan & Co. an, dass bei Blockade des T-Zell-Untergangs eine starke Zunahme der Zellzahl zu beobachten sein würde.

Überraschenderweise war dem aber nicht so. Die Zellen starben nach wie vor, jedoch nahmen sie nicht den Weg der Apoptose. Im Gegenteil, sie fingen an, sich selbst zu verdauen. Bei dieser Autophagie schnüren sich vom Endoplasmatischen Retikulum und dem Golgi-Apparat Membranstücke zu Vesikeln ab, die Organellen und Zytosol in sich einschließen und sich anschließend mit Lysosomen vereinigen, was zu einem vollständigen Abbau der enthaltenen Proteine führt.

Nekroptose zeichnet sich also durch die Aktivierung der selben Todes-Rezeptoren wie bei der Apoptose aus, jedoch leiten die Zellen anschließend statt der Apoptose den Selbstverdau ein. Yuan und seine Kollegen vermuteten, dass neben TRADD, FADD und Caspase 8 noch weitere Moleküle mit den intrazellulären Teilen der Todes-Rezeptoren assoziiert sind. Und richtig: Sie identifizierten eines dieser Signalmoleküle als Ripk(receptor-interacting serine/threonine-protein kinase)-1. Caspase 8 beeinflusst die Aktivität von Ripk-1. So fungiert Caspase 8 als Initiator der Apoptose und inhibiert gleichzeitig die Nekroptose. Daher kann in den allermeisten Fällen nach Aktivierung der Todes-Rezeptoren nur Apoptose festgestellt werden und keine Nekroptose.

„Gut und schön!“, mag man denken. Aber was soll der ganze Rummel um die Nekroptose, wenn sie im Normalfall doch gar nicht stattfindet, weil in einer unbehandelten Zelle Caspase 8 immer aktiv ist. Stimmt schon. Aber in einigen Fällen ist dieses Wissen durchaus von Nutzen. Krebszellen zum Beispiel unterdrücken Apoptose aktiv und steigern dadurch ihre Überlebenschancen drastisch. Dies ist aber genau das Dilemma bei der Krebstherapie, da die meisten Medikamente ihre Wirkung am effizientesten über Apoptose entfalten. Zusätzlich finden Krebszellen vielfach Wege, die Chemotherapeutika nach Eindringen in die Zellen mit Hilfe von Transportproteinen gleich wieder hinauszubefördern, bevor diese ihre zerstörerischen Kräfte walten lassen.

Nekroptose würde die Apoptose-Resistenz von Krebszellen unterwandern. Nötig wäre dafür nur eine gezielte Induktion von Nekroptose. Das dies möglich ist, zeigten Waidong Han und Kollegen von der medizinischen Fakultät der Uni Hangzhou. Sie fanden heraus, dass Schikonin, ein Bestandteil der chinesischen Heilpflanze Lithospermum erythrorhizon aus der Borretsch-Familie, dem sogar therapeutische Wirksamkeit gegen HIV nachgesagt wird, selektiv Nekroptose auslöst, wobei vollkommen ungeklärt ist, über welche Signalwege dies geschieht (Mol Cancer Ther 2007, 6(5):1641-9). Ein fantastischer Vorschlag. Möglicherweise entwickelt sich daraus die erfolgreiche Alternative in der Therapie von Krebs.



Letzte Änderungen: 30.12.2011