Editorial

Missglückter Alleingang

(28.8.15) EMBL-Forscher Jan Ellenberg setzte durch, dass Nature Communications eine Publikation aus seinem eigenen Labor zurückzog. Der Grund: Eine ehemalige Mitarbeiterin hatte das Paper ohne Wissen des Chefs eingereicht.
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Liebe Doktoranden und Postdocs – wart ihr schon mal in der Situation, dass ihr eure Forschungsergebnisse unbedingt publizieren wolltet, euer Chef aber nicht? Habt ihr überlegt, das selbst geschriebene Manuskript ohne Wissen des Chefs bei einem Journal einzureichen? In der Hoffnung, dass er eure Publikationsleistung schließlich doch würdigt und ihr euch danach freundschaftlich die Hand gebt?

Die folgende Geschichte soll euch eine Warnung sein.

Aïcha Metchat, ehemalige Postdoktorandin am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg, hat genau dies versucht. Sie verfasste ein Paper über die molekulare Steuerung der meiotischen Spindel in Maus-Oozyten und reichte es heimlich beim Journal Nature Communications ein. Das Manuskript durchlief erfolgreich den Peer Review und erschien am 15. Juli 2015 (doi:10.1038/ncomms8784).

Keine zwei Wochen später wurde der Artikel auf Betreiben von Metchats ehemaligem Gruppenleiter Jan Ellenberg zurückgezogen.

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Was ist passiert? Hat Metchat etwa Daten manipuliert oder plagiiert? Nun, der Text der Retraction Notice gibt als Begründung lediglich an: „Das Paper wurde von der korrespondierenden Autorin A.M. ohne Wissen oder Zustimmung anderer gelisteter Forscher eingereicht, unter Verwendung unrichtiger Kontaktdaten“.

Ellenberg: Regelverstoß rechtfertigt Retraction

Ellenberg, seit über 15 Jahren erfolgreicher Zellteilungs-Forscher am Heidelberger EMBL und seit 5 Jahren Leiter der dortigen Zellbiologie- und Biophysik-Abteilung, bestätigte gegenüber Laborjournal den offiziellen Anlass der Retraction. Metchats heimliches Einreichen des Manuskripts bei einem Journal habe gegen EMBLs interne Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen und rechtfertige damit eine Retraction.

Laborjournal hat mit Metchat Kontakt aufgenommen. Am Telefon und in E-Mails gab die französische Wissenschaftlerin zu, dass sie tatsächlich das Paper eingereicht hatte, ohne den Gruppenleiter oder die anderen Autoren (allesamt jetzige oder ehemalige Mitarbeiter im Ellenberg-Labor) zu informieren.

Sie erklärte aber auch, dass Ellenberg ihr keine Erlaubnis geben wollte, das Manuskript zu veröffentlichen, obwohl sie fast alle darin präsentierten Daten während ihrer fünfjährigen Tätigkeit bei EMBL selbst erarbeitet habe. Ihr Boss habe immer wieder auf fehlende Experimente verwiesen. Metchat habe Ellenberg daraufhin gebeten, nach Ablauf ihres Forschungsstipendiums ohne Gehalt bis zum Abschluss des Projekts weiterarbeiten zu dürfen.

War das Manuskript zu schlecht?

Angeblich habe der erfolgreiche EMBL-Forscher aber das Interesse verloren und sich „wichtigeren“ Projekten gewidmet. Als Metchat nach ihrem erzwungenen Ausscheiden in Emails, am Telefon und persönlich darauf drängte, ihr das Einreichen des Manuskripts zu erlauben, habe Ellenberg jeden Kontakt abgebrochen.

War denn das Manuskript wirklich so schlecht? Metchat präsentierte ihre Daten, mit Ellenbergs Segen, auf dem British Meiosis Meeting in Edinburgh. Auch Ellenberg selbst soll die Ergebnisse seinen Kollegen vorgeführt haben, auf dem EMBO Meiosis Meeting in Dresden.

In seinem Email-Austausch mit Metchat diskutierte er zwischen September 2013 und Februar 2014 noch einige Änderungen an ihrem fertigen Manuskript. Am 13. Februar schrieb der EMBL-Gruppenleiter: „Ich bin jetzt durch das gesamte Manuskript durch. Der Text, die Figures und die Datenanalysen sollten noch deutlich verbessert werden. Es werden weitere Kontrollversuche und neue Berechnungen benötigt, um eine rigorose Interpretation der Daten sicherzustellen“.

Ellenberg kündigte auch an, dass seine Postdocs Julius Hossain und Manuel Eguren, sowie sein Software-Entwickler Antonio Politi, ab sofort bei Metchats Projekt mithelfen würden. Metchat bestätigte dem Laborjournal von sich aus, dass sie von diesen Kollegen gewisse Hilfestellung bekam, insbesondere vom Bioinformatiker Politi. Sie würdigte die Beiträge dieser Kollegen (und eines weiteren Mitarbeiters) durch Autorenschaften auf dem Manuskript.

Keiner der als Autoren aufgeführten Mitarbeiter meldete sich auf Email-Anfragen zurück. Wie schon in der Retraction Notice sprach Ellenberg auch mit Laborjournal in deren Namen. Was die anderen Ko-Autoren selbst von der Sache halten, ist unklar.

Es ist jedenfalls nicht unbedingt so, dass Ellenberg und seine Mit-Autoren von dem fraglichen Manuskript überhaupt nichts wussten. Metchat hat sie allerdings tatsächlich nicht informiert, als sie das Paper einreichte.

Dass die von Nature Communications bestellten Peer Reviewer die Arbeit anscheinend ganz gut fanden und für die Veröffentlichung stimmten, spricht eigentlich gegen Ellenbergs Sorge, das Manuskript wäre dafür zu dürftig gewesen.

Die Autorenstreitigkeit mache die Retraction eines offenbar wissenschaftlich soliden Papers aber zwingend, so der EMBL-Gruppenleiter. Als er von der Publikation erfuhr, forderte er Metchat auf, ihr Paper selbst zurückzuziehen. Obwohl die Französin sich bis zuletzt gegen die Retraction wehrte, folgte der Chief Life Sciences Editor von Nature Communications, Niki Scaplehorn, Ellenbergs Forderung.

COPE: Keine Retraction bei Autorzwist

Pikanterweise trat Nature Communications nur einige Tage später dem Committee on Publication Ethics (COPE) als Mitglied bei. Bei Autorenstreitigkeiten empfehlen die COPE-Richtlinien aber ausdrücklich eine Korrektur – und eben keine Retraction. Retractions sind laut COPE für Fälle des wissenschaftlichen Fehlverhaltens und unzuverlässiger Daten vorgesehen. Wörtlich steht auf der COPE-Homepage:

„Retractions sind für gewöhnlich nicht angebracht, wenn eine Änderung der Autorenschaft benötigt wird, ohne dass es einen Grund gibt, die Gültigkeit der Befunde anzuzweifeln“.

Damit sieht es schon so aus, dass die Metchat-Retraction problematisch sein könnte, aus der Perspektive der Publikationsethik betrachtet.

Ohne Zweifel gilt aber auch: Mit guter wissenschaftlicher Praxis ist es nicht zu vereinbaren, den Chef und Kollegen ungefragt zu Ko-Autoren zu machen.

Damit es gar nicht erst zu solchen problematischen Situationen kommt, müssten Forschungsinstitute versuchen, Konflikte um die Autorenschaft intern zu lösen. Ein Ombudsbüro für interne Konfliktlösungen, an das sich Metchat vertraulich hätte wenden können, hat EMBL in Heidelberg allerdings erst seit dem 1. April 2015, wie die neue Ombudsfrau Martina Peskoller-Fuchs dem Laborjournal mitteilte.

Metchats Versuch, auf eigene Faust zu handeln, war jedenfalls nur kurzzeitig von Erfolg gekrönt. Seit der Retraction sind ihr Ruf und ihre Karriere in Gefahr. Sie hat aber nicht aufgegeben und von Nature Communications eine Retraction der Retraction verlangt – mit Verweis auf COPE-Richtlinien.


Leonid Schneider


Grafik: (c) tungstenblue / iStockPhoto

 

 



Letzte Änderungen: 07.10.2015