Editorial

Schinken für die Nase

(21. September 2014) Die Verleihung der Ig-Nobel-Preise am vergangenen Donnerstag war wieder ein absonderliches Vergnügen. Wo sonst sieht man Wissenschaftler mit Schinken in der Nase? Nur Spaßbremsen halten derart ausgezeichnete Studien für überflüssig. Eine Verteidigungsrede für die skurrile Seite der Wissenschaft.
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Beim Lesen der Wissenschaftsmeldungen der vergangenen Woche kam mir die Idee zu folgendem Plot einer (filmreifen?) Szene: Ein Experimentalphysiker stürzt sich mit vollem Körpereinsatz in eine Messreihe zu Reibungskräften zwischen Teer und diversen Früchten. Dabei rutscht er auf einer Bananenschale aus und fällt auf die Nase. Hätte er wenigstens vor dem Experiment sein Eisbärenkostüm ausgezogen, vielleicht hätte er den Sturz noch auffangen können. So aber muss er schleunigst in die Klinik. In der Notaufnahme soll zuerst die blutende Nase versorgt werden. Der Assistenzarzt dort hat eigentlich gerade Mittagspause. Aber hilfsbereit wie er ist, entnimmt er aus seiner Brotzeit ein Schinkenröllchen und steckt es dem Patienten in die Nase – die Blutung ist erfolgreich gestoppt.

Mittlerweile ist auch der Chefarzt der Neurologie herbeigeeilt und wedelt mit einem Stück Toastbrot vor der Nase des Unglücksraben herum. „Können sie das Gesicht erkennen?“ ruft der angesehene Mediziner. „Gesicht? Das ist doch nur ein Stück Brot!“, antwortet der Patient. Der Arzt schüttelt den Kopf. Es scheint ernster zu sein, der Verletzte muss schleunigst in eine Spezialklinik verlegt werden. Der Hubschrauber startet, es herrscht dichter Nebel. Aber der Pilot erspäht einen Hund, der eine Kackwurst auf die Wiese vor dem Krankenhaus platziert. Sofort weiß der Pilot, wohin er den Helikopter lenken muss, denn er erinnert sich an seine Navigationsausbildung: Hunde richten sich demnach bei ihrem Geschäft bevorzugt entlang der Nord-Süd-Richtung aus.

Absurd, aber wahr

Eine derart absurde Abfolge von Skurrilitäten in ein Romankapitel zu gießen würde ich vielleicht dem Londoner Busfahrer und Autor Magnus Mills zutrauen. In seinem 2011 erschienenem Roman mit dem etwas umständlichen Titel „Cruel bird came to the nest and looked in“ erfand er einen Kleinstaat, das Imperium von Fallowfields, in dem kaiserliche Beamte eine absonderliche Welt verwalten müssen.

So muss der Hof-Astronom im fiktiven Fallowfields alle paar Minuten ein Geldstück in einen Schlitz an seinem Teleskop einwerfen. Des Kaisers Admiral dagegen weiß zwar alles über Kriegsschiffe und marine Strategie. Das Imperium von Fallowfields besitzt aber leider kein einziges Schiff. Und der für die Uhren des Staatsgebiets zuständige Minister ist permanent überarbeitet – denn nach kaiserlicher Anordnung müssen die Zeitmesser täglich neu justiert werden. Schließlich soll genau um 17 Uhr der Lesesaal der staatlichen Bibliothek in goldenes Abendlicht getaucht werden, zu jeder Jahreszeit. Wie sonst könnte die richtige Stimmung aufkommen für die dort zelebrierte Teestunde?

Der Unterschied zwischen Mills exzentrischer Romanwelt und der fiktiven Krankengeschichte des glücklosen Experimentalphysikers: Letztere hat einen realen Kern.

Lachen. Dann nachdenken.

Sind Bananenschalen wirklich so rutschig, wie uns Zeichentrickserien seit Jahrzehnten weismachen? Wie reagieren Rentiere auf Forscher, die sich als Eisbären verkleiden? Wieso erkennen Menschen vermeintliche Gesichter in allen möglichen unbelebten Strukturen, sogar in einem Stück Toastbrot? Kann man starkes Nasenbluten mit Schinkenstreifen stoppen? All das (sogar die Sache mit den Kackwürsten) waren echte Forschungsprojekte echter Wissenschaftler, die echte Daten erzeugt und diese in echten Journalen veröffentlicht hatten – und dafür zwar nicht den echten, aber immerhin den Ig-Nobel-Preis bekamen.

Um des Preises würdig zu sein, erfüllen die ausgezeichneten Forschungsergebnisse eine Kernbedingung: Erst lacht man darüber, dann kommt man ins Nachdenken.

Denn das Absurde ist nicht per se weniger wissenschaftlich, nur weil wir über den Forschungsgegenstand – je nach Temperament – laut auflachen oder verständnislos den Kopf schütteln. „Erst lachen, dann nachdenken“ ist nicht das schlechteste Rezept, um die Welt zu verstehen. Und um das Verstehen um des Verstehens willen geht es in der Wissenschaft.

Leider sieht das ein Teil des Kommentariats der Nachrichtenseiten anders und faselt, so vorhersagbar wie dumm, von „Geldverschwendung“, "Forschungsmüll" und „nutzloser Elfenbeinturmforschung“ sobald die Zeitungen über die Preisträger und ihre Arbeiten berichten. Auch Wissenschaftsredakteure, die es eigentlich besser wissen müssten, bringen die Ig-Nobel-Preise gelegentlich mit der Qualitätskrise der wissenschaftlichen Literatur in Verbindung (hier zum Beispiel in der WELT vom 22.1.2014).

Unterhaltsamer als ein königlicher Händedruck

Dabei ist es eine unbewiesene Behauptung, dass die alljährlich im Sanders Theater in Harvard ausgezeichneten Studien weniger reproduzierbar wären als so mancher hochseriöse, mit völlig überzogenen Erwartungen aufgeblasene Artikel in Nature oder Science, den die Leserschaft mit ernster Miene zur Kenntnis nimmt. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass schon jemals eine mit dem launigen Alternativ-Preis ausgezeichnete Arbeit wegen Ungereimtheiten zurückgezogen werden musste (NACHTRAG 22.9: Aber siehe die Anmerkung am Endes dieses Artikels). Und unterhaltsamer als die echte Nobelpreis-Verleihung mit steifen Fracks und feucht-königlichem Händedruck ist die Spaß-Veranstaltung in Harvard sowieso.

In „Cruel bird came to the nest and looked in“ wird das verschrobene Mini-Imperium übrigens bedroht von der Technologie-versessenen Nachbarstadt, der City of Scoffers. Dort ist alles größer und moderner, schneller und zweckdienlicher als im beschaulichen Kaiserreich nebenan. Das Arbeitsleben ist auf Effizienz getrimmt, jede Tätigkeit hat einen vorausgeplanten Nutzen. Lebens- und liebenswerter zeichnet Magnus Mills aber das an Absurditäten und scheinbar sinnlosen Beschäftigungen reiche Fallowfields. Ob der Roman des exzentrischen Busfahrers eine Moral hat? Keine Ahnung. Aber die Träger der Ig-Nobel-Preise würden sich wohl eher in Fallowfields als in der City of Scoffers zuhause fühlen.


Hans Zauner

Abb.:  Hart et al, Frontiers in Zoology 2013, 10:80

Nachtrag (22. 9. 2014):

Der Witz der Ig-Nobel-Preise ist, dass das Thema zwar skurril, die Forschung selbst aber technisch sauber und idealerweise reproduzierbar sein soll. Die Sache mit den Hunden, die sich während ihres Geschäfts am Erd-Magnetfeld ausrichten, hat in dieser Hinsicht allerdings eine Vorgeschichte (die ich beim Verfassen des obigen Editorials noch nicht kannte).

Wie sich unser Chefredakteur erinnert, hatten wir schon vor Jahren im Laborjournal Blog und in LabTimes über ein Projekt aus der Arbeitsgruppe von Hynek Burda berichtet. Damals ging es zwar nicht um Hunde, sondern um Kühe, die scheinbar ebenfalls eine Art Magnetkompass haben. Die Ergebnisse konnten jedoch nicht unabhängig bestätigt werden, wie eine tschechische Arbeitsgruppe berichtete. Und auch die statistischen Verrenkungen in der preisgekrönten Hunde-Studie wurden in LabTimes kritisch gewürdigt. Ob sich das Ig-Nobelpreis-Komitee einen Gefallen damit getan hat, diese Arbeit zu ehren, kann man also bezweifeln. Aber das ist vielleicht ein Thema für ein anderes Editorial (UPDATE 23.9.: Unser Chefredakteur Ralf Neumann hat heute drüben im Laborjournal Blog ausführlicher über die Burda-Studien und ihre Kritiker berichtet)
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Hans Zauner






Letzte Änderungen: 05.11.2014