Editorial

KO-Tropfen

(17. September 2014) Anfängerfallstricke, Teil 1: Beim Übergang von der Schule in den Berufsalltag droht die eine oder andere Panikattacke. Unsere (andere) TA über ein Formular, das sie damals beinahe umgehauen hätte.
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Ich weiß nicht, was anderen TAs in den ersten Monaten ihres Berufslebens durch den Kopf ging. Bei mir hörte sich das ungefähr so an:

Jetzt wird es ernst. Jetzt musst du beweisen was du in der Schule gelernt hast, das Erlernte in der bitteren Realität anwenden, keine Fehler mehr machen. Oder wenigstens nix schlimmes. Denk dran, du bist in der Probezeit.

Ich entspannte mich aber, als ich merkte, dass ich gut ausgebildet war und nette, hilfsbereite Kollegen sowie einen prima Chef hatte, der mir bald die alleinige Verantwortung für die Bestellungen übertrug. Eine Aufgabe, die ich fortan gewissenhaft ausführte.

Auch an jenem Tag, an dem eine Doktorandin mich bat, Chloralhydrat für sie zu bestellen. Eine Bitte, der ich arglos nachkam. Eine Stunde später brachte eine der Sekretärinnen ein Fax der Firma an. Es handelte sich um ein dreiseitiges Formular, in welchem ich in deutlichen Worten aufgefordert wurde zu belegen, WOZU ICH CHLORALHYDRAT BRÄUCHTE?

Leicht verunsichert eilte ich von Labor zu Labor auf der Suche nach der Auftraggeberin. Die könnte mir sicher beim Ausfüllen des Formulars helfen und mir überhaupt erst mal erklären, warum es der Firma so wichtig war, den Grund für die Bestellung zu wissen. Aber, wie das so geht wenn man jemanden wirklich dringend braucht, ich fand sie nicht. Ein anderer Kollege meinte sich zu erinnern, dass Chloralhydrat unter anderem der Hauptwirkstoff in KO-Tropfen ist. Ach herrje! Es lief mir kalt über den Rücken. Was würde die Firma von uns denken, wenn wir das Formular nicht postwendend zurück schickten? Ehrbare Forscher wissen schließlich, wofür sie derartiges Teufelszeug kaufen.

Stark verunsichert zermarterte ich mein gut ausgebildetes Gehirn auf der Suche nach Informationen über Chloralhydrat. Nichts. Nie gehört. Hatte ich etwa an jenem Tag in der Berufsschule gefehlt, oder geschlafen? Jetzt rächte sich das. Ich hatte keine Ahnung, die Doktorandin war verschwunden und mein Chef war nicht da. Folglich hielt uns die Firma die nächsten 16 Stunden für einen Verein verkappter Triebtäter.

Ich schlief nicht gut in dieser Nacht. Schließlich war ich als Kontaktperson für die Bestellung angegeben. Gewiss stellte die verzögerte Rücksendung eines Fragebogens über die Verwendung von KO-Tropfen einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz dar. Zweifellos erwartet mich am nächsten Morgen im Labor ein SEK, darauf lauernd mich in Ketten zu legen und zum Verhör in einer abgedunkelten, schalldichten Kammer abzuführen, um den Rest der Gesellschaft vor meinen liederlichen Ambitionen zu schützen. Genau wie es potentiellen Schurken in dem Film mit Tom Cruise und den eingelegten Hellsehern ergeht.

Seltsamerweise geschah nichts dergleichen.

Statt zum Verhör in eine dunkle Kammer ging ich am nächsten Morgen ins Büro meines Chefs. Verschüchtert berichtete ich von den gestrigen Ereignissen und gestand mein verzögertes Abschicken des Formulars. Nachdem er fertig gelacht hatte, klärte er mich dahingehend auf, dass KO-Tropfen nicht nur als Partydroge, sondern auch in der Embryonalfärbung Verwendung finden. Wir füllten das Formular gemeinsam aus und zwei Tage später wurde das Chloralhydrat anstandslos geliefert. Ich verarbeitete es nebst meinem Trauma an der Seite der Doktorandin in einer Embryonalfärbung und war um eine Erfahrung reicher:

Erst nachfragen, dann Panik!

 

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 05.11.2014