Editorial

Protein-Puzzler in Kiel

(26. Juli 2014) Wenn man Proteinforschung hört, denkt man erst einmal an Institute in München oder Heidelberg und nicht unbedingt an die Universität Kiel. Aber dank intensiver Puzzelarbeit hat es Paul Saftig unter die ersten 20 des LJ-Rankings Proteinforschung geschafft.
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Proteinforschung sei eine viele, viele Jahre andauernde Puzzelei, meint Paul Saftig, Direktor des Biochemischen Instituts der Universität in Kiel. Man müsse Teil für Teil suchen und zu einem Bild zusammensetzen. Denn es reiche nicht, ein Protein oder das dafür kodierende Gen zu identifizieren. Man müsse auch dessen Funktionen im Körper beschreiben und prüfen, ob es vielleicht eine Rolle bei einer Krankheit spielt. „Deshalb arbeite ich an so manchem Protein schon seit über 15 Jahren“, sagt Saftig.

Eine vollständige Proteinanalyse ist also ein komplexes und langwieriges Projekt - insbesondere wenn es sich um Membranproteine handelt. „Ein Transmembranprotein mit 12 oder 15 Transmembrandomänen in einer Doktorarbeit in nur drei Jahren analysieren zu wollen – na, das würde ich mir gut überlegen“, sagt Saftig. Integrale Membranproteine verhalten sich, das weiß jeder Proteinspezialist, äußerst widerspenstig. Schon bei der Isolation zicken sie rum: die Transmembrandomänen hindern den Forscher daran, sie aus den Membranen herauszulösen. Sie sind ziemlich hydrophob und assoziieren spielend leicht mit Lipiden. Ohne gewaltige Mengen an Detergenz kann man sie in wässrigen Puffern nicht lösen. Und Funktionstests mit Seife??? Geht gar nicht.

Zickige Membranproteine

Die ersten Werkzeuge zur halbwegs brauchbaren Darstellung von Membranproteinen – als da wären 2D-Gelelektrophorese, Silberfärbung, Blotten und Immunnachweis – wurden Ende der 70er Jahre beschrieben. Bis heute aber sind sie schwierige Kandidaten, selbst für die Massenspektrometrie.

Doch als Saftig nach dem Biologiestudium in Bonn und Norwich (UK) 1991 nach Göttingen kam, um in der Gruppe von Kurt von Figura eine Doktorarbeit zu beginnen, ließ er sich von all dem nicht abschrecken und machte sich an eine Arbeit über lysosomalen Proteine – und das hat ihn bis heute nicht losgelassen. Da sind zum Beispiel die lysosomalen Hydrolasen. Einige, die Cathepsine, standen jahrelang im Verdacht, an der Prozessierung des für die Alzheimer-Krankheit verantwortlichen Beta-Amyloids beteiligt zu sein. „Wir haben festgestellt, das das nicht richtig ist“, sagt Saftig. Es ist nämlich vor allem die Beta-Sekretase BACE, die aus dem Amyloiden Vorläuferprotein (APP) das Beta-Peptid herstellt.

Saftig entdeckte, dass eine weitere Protease namens ADAM10 die Entstehung des Beta-Peptids verhindern kann, indem es APP so zerstückelt, dass das toxische Peptid nicht mehr entstehen kann. „Eine pharmakologische Aktivierung von ADAM10 wird als therapeutisches Ziel für die Prävention von Morbus Alzheimer diskutiert. Aufgrund der mannigfaltigen Aufgaben von ADAM10 im Gehirn wird es dabei wichtig sein, ein geeignetes therapeutisches Fenster zu finden“, prognostizierten Saftig und sein damaliger Doktorand und inzwischen gestandener PostDoc Johannes Prox.

ADAM10 und die Gehirnentwicklung

Die Kieler Zellbiologen bohrten weiter und entdeckten, dass Adam10(-/-)-Mäuse (also Mäuse ohne funktionierende Kopie des Gens) schon als Embryonen absterben – mit unterentwickeltem Gehirn. Die ADAM10-Metalloprotease spielt offensichtlich eine zentrale Rolle bei der Hirnentwicklung, indem sie unter anderem Notch-regulierte Signalwege kontrolliert und vermutlich auch den Verlust neuronaler Membranproteine reduziert (J. Neurosci. 2010, Vol. 30, S. 4833). Für die Erkenntnisse zu den molekularen Vorgänge bei der Prozessierung von APP erhielt Saftig 2010 den Forschungspreis der Hans und Ilse Breuer Stiftung.

Seine neueste Arbeit an Proteinen der LAMP-Klasse führten den Forscher in eine ganz neue Richtung: Die Infektionsforschung. „LAMP-Moleküle sind stark glykosylierte lysosomale Membranproteine. Lamp2 importiert Proteine während der Autophagie in das Lysosom. LAMP1 indessen hat sich als die Eintrittspforte für das gefährliche Lassa-Virus entpuppt“, erklärt Saftig.

Im Juni erst berichteten die Kieler Forscher mit Kollegen aus den Niederlanden und den USA, dass Mäuse, denen dieses Protein entweder nach gentechnischer Behandlung fehlt, resistent gegen eine Lassa-Infektion sind.

Wieso sind Vögel resistent gegen das Lassa-Virus?

Zwar gelangt das Virus über einen anderen Rezeptor in die Zellen – doch um seine meist lethale Wirkung zu entfalten, muss es in Kontakt mit LAMP1 gelangen. Dabei kommt es in dem hoch-glykosylierten Protein auf genau eine spezielle Verzuckerung an: gibt es diese nicht, kann das Virus sich nicht ausbreiten. Dies ist auch die Lösung eines lange bekannten Rätsels: Vögel sind nämlich Lassa-resistent. Es stellte sich nun heraus, dass dem Federvieh genau diese eine Glykosylierung fehlt. Für die Beladung mit Zuckern ist die Sialyltransferase ST3GAL4 nötig. Fehlt das Enzym, kann das Lassa-Virus ebenfalls nichts ausrichten.

Ein schönes Beispiel dafür, wie Forschung, die einem vielleicht auf den ersten Blick eher wenig bedeutsam erscheinen mag, plötzlich zu neuen Ufern aufbricht. Was für Saftig kein Problem ist, denn er versteht sich nicht als reiner Proteinforscher, sondern als Zellbiologe. Mit seiner rund 20 Mann/Frau starken Gruppe arbeitet er viel an selbst entwickelten Tiermodellen und verliert bei allem Interesse an der Grundlagenforschung auch nicht den Blick auf etwaige medizinische Aspekte. „Damit fühle ich mich hier an der Kieler Universität sehr gut aufgehoben“, sagt er. Apropos Ufer: Jedes Jahr zur Kieler Woche (für Landratten: internationale Segelregatta) verlässt auch die Saftig-Gruppe besagte gewohnte Ufer und begibt sich an Bord eines historischen Seglers auf's Wasser zum „Schnack und 'n Flens“. Na denn: Schiff ahoi und allzeit eine Handbreit Wasser unter dem Kiel.

 


Karin Hollricher

Foto: (c) Paul Saftig



Letzte Änderungen: 01.09.2014