Editorial

STAP: Ein Nachruf

(6. Juli 2014) Anfang des Jahres veröffentlichten japanische und amerikanische Forscher eine Methode zur Erzeugung totipotenter Stammzellen. Aus dem vermeintlich sensationellen Durchbruch wurde ein Trauerspiel. Nun endlich kam die Retraction Notice. Ein satirischer Nachruf von Leonid Schneider.
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Am 3. Juli 2014 gingen von uns, nach monatelangem Dahinsiechen, die beiden allseits bewunderten und beneideten Nature-Publikationen über die STAP-Zellen. Deren tapfere Eltern, Haruko Obokata und Charles A. Vacanti, kämpften bis zuletzt mit größter Selbstaufopferung, um ihre geliebten Papers am Leben zu erhalten, auch als alle anderen Autoren längst aufgegeben hatten. Trotz der rührseligen Weigerung der Nature-Redaktion, das Unvermeidbare zu akzeptieren, konnte die Retraction irgendwann nicht mehr aufgehalten werden.

Die beiden Publikationen über die märchenhafte, säurevermittelte Verwandlung simpler Lymphozyten in STAP-Zellen und deren schwindelerregende Totipotenz kamen im Januar 2014 zusammen auf die Welt, trafen aber nach einer anfänglichen Begeisterung von Medien und Wissenschaftlern auf zunehmende Ablehnung.

Vacanti gegen die kleingläubige Welt

Die Aufdeckung schwerwiegender, aber durch ihre ausgesprochene Impertinenz fast schon sympathischer Datenmanipulationen führte dazu, dass die stolze STAP-Erstautorin Haruko Obokata ihre Stelle als Forschungsgruppenleiterin am Zentrum für Entwicklungsbiologie beim japanischen RIKEN Institut verlor. Es half nicht, dass ihr Mentor Vacanti, mit verlässlichem Beistand seines Brigham&Women’s Hospital in Boston, der kleingläubigen Welt immer wieder erklärte, dass manipulierte Daten und fehlende experimentellen Beweise nicht als Begründung dienen dürften, die STAP-Existenz anzuzweifeln. Vacantis und Obokatas Beteuerungen, dass STAP-Zellen sehr wohl existieren würden, und keine weiteren Beweise hierfür nötig wären, konnten den tragischen Tod ihrer Papers nicht verhindern.

Der Beileidsbrief der Nature-Redaktion ist ebenfalls schwer von Bitterkeit über den Verlust und den verlorenen Kampf gezeichnet. In post-traumatischer Verdrängung gefangen, redet das Magazin nun von „Nachlässigkeit“, „Fehlern“ und „Fehldarstellung der Daten“ seitens der Autoren,  die trotz „ehrlich guter Absichten“ zu den bedauerlichen Mängeln der Publikationen führten. Die Nature-Redaktion gibt zu, auf Verständnis hoffend, keine technischen Möglichkeiten zur Hand zu haben, um solche bedauerlichen Manipulationen bei hoch-komplizierten Abbildungen entdecken zu können. Es soll zwar angeblich Journals geben, die solche magische Software seit vielen Jahren besäßen und anwandten, aber für Nature wäre so etwas eine „disproportionale Redaktionsbelastung“.

Wie im Krippenspiel

In unserer Trauer müssen wir aber auch der Wahrheit ins Gesicht sehen. Die beiden Publikationen wurden geradezu in einer Treibjagd gehetzt und hingerichtet. Das RIKEN-Haus, das damals in einem Krippenspiel-ähnlichen Vorgang gütig seine weiten Scheunentore für Obokatas heilsversprechende STAP-Ideen geöffnet hatte, verwandelte sich nun zum König Herodes, der die Papers zu meucheln suchte. Die Autoren-Gefolgschaft desertierte nach und nach, als der Kampf gegen Nicht-Reproduzierbarkeit und Manipulationsanschuldigungen immer bitterer und karriere-gefährdender wurde. Die letzte Verteidigungsbastion fiel, als die Voraussetzung für eine Retraction, die zwingend notwendige Zustimmung aller Autoren, irgendwann doch noch erfüllt war.

Nun verweist Nature in seinem Beileidsbrief auf das RIKEN-Institut, welches mit exzessiven Nachforschungen das tragische Ende der beiden Publikation herbeiführte. Denn RIKEN hat aus dem Tour de France Doping-Desaster offenbar keine Lehren gezogen. Es läuft nämlich alles gut und ordentlich, solange niemand genau hinschaut. Wenn man aber leichtsinnig anfängt, genau zu kontrollieren, kommen Dinge zutage, die man eigentlich nicht sehen wollte. Und so stolperte RIKEN beim ersten Versuch der internen Untersuchungskommission über eigene Füße: Deren ehrenwerte Wissenschaftler haben offenbar ebenfalls Publikationen manipuliert. Die von RIKEN danach einbestellte externe Kommission forderte am Ende erbarmungslos, dass die leitenden Wissenschaftler und STAP-Autoren bestraft werden sollen und das ganze Zentrum für Entwicklungsbiologie komplett aufzulösen und von Grund auf neu aufzubauen sei.

Publizieren ist besser als kritisieren

Wir wissen nicht, was sie da sonst noch Schlimmes entdeckt hätten, hoffentlich war es nichts weiter als ein mit verschimmelten Agarplatten versperrter Fluchtweg. Es bleibt uns nun zu hoffen, dass der Brauch des Vergebens und Vergessens, der bei solchen Anschuldigungen gegenüber leitenden Forschern üblich ist, auch diesmal angewandt wird. Denn erstens soll, wer im Glashaus wohnt, nicht mit Steinen werfen; und so ist es unter Umständen sehr lobenswert, dass namhafte Wissenschaftler die Leitung des Zentrums umgehend in Schutz nahmen. Brigham&Women’s Hospital steht jedenfalls grundsätzlich immer zu STAP und weiß sehr wohl, dass es besser ist zu publizieren als zu kritisieren. Keiner der von Anschuldigungen betroffenen Gruppenleiter muss bei dieser Harvard-assoziierten Institution irgendwelche Konsequenzen befürchten. Zweitens ist die Publikationsliste von Sasai, Niwa und Wakayama (unter anderem zusammen mit Obokata) derart beeindruckend, dass zwei zurückgezogene Nature-Papers da doch wirklich keinen Anlass geben sollten, deren Forschungsbeitrag für die Menschlichkeit klein zu reden.

Die STAP-Papers sind nicht mehr unter uns. Aber wie so oft ist der Tod nicht das Ende. Die STAP-Idee lebt weiter, solange man nur an sie glaubt. Es gibt noch aufgeschlossene Wissenschaftler auf der Welt, die STAP weiterhin für ein hochinteressantes Konzept halten, ob es je bewiesen wird oder nicht. Und auch RIKEN selbst ist gerade dabei, STAP-Zellen auferstehen zu lassen, oder dies zumindest weiter zu versuchen, sogar unter Anleitung der zurückgekehrten Obokata.

Übrigens werden auch zurückgezogene Publikationen noch jahrelang weiter zitiert. Und wenn man schon die Gen-Mais-These von Seralini wegen ihres hohen Unterhaltungswerts neu publizieren konnte, so rechne ich nun fest damit, dass der bewährte Märchenonkel Vacanti uns  nicht enttäuscht. Jetzt, wo seine STAP-Zellen wieder auf dem Markt sind, stellt sich die Frage: Welches wird wohl das glückliche Journal, das sie willkommen heißt? Tissue Engineering Part A mal wieder vielleicht?

In stillem Gedenken und mit aufrichtiger Schadenfreude,

Leonid Schneider

 

 

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Letzte Änderungen: 28.08.2014