Editorial

Aus dem Sozialleben der Fadenwürmer

Die unscheinbaren Fadenwürmer haben ein dramatisches Sozialleben, wie zwei kürzlich erschienene Arbeiten zeigen: Pristionchus bildet lebende Türmchen, Steinernema begeht Brudermord.
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(8. März 2013) Caenorhabditis elegans ist für viele Biologen einfach nur „der Wurm“ - verständlich, hat sich der unscheinbare Fadenwurm doch als universelles Labortier etabliert. Einige seiner Vorteile: Durchsichtig, kurze Generationszeit, ideal geeignet für Mutagenese-Studien. Vor allem aber die überschaubare, konstante Zellzahl macht das Würmchen zu einem einzigartigen Forschungsobjekt.

In der verborgenen Welt der Fadenwürmer gibt es aber auch jenseits von C. elegans viel zu entdecken, beispielsweise die exotische Verhaltensweisen von Pristionchus pacificus und Steinernema longicaudum, die kürzlich zwei unabhängig voneinander erschienene Arbeiten beschrieben.

Da ist zum einen der „Dauer-Tower“, eine lebende Pyramide aus Würmern der Art Pristionchus pacificus, den Max-Planck-Forscher um Sider Penkov und Akira Ogawa entdeckten (Originalarbeit in Nature Chemical Biology). Die Dauer-Larve ist eine besondere Larvenform der Nematoden: Anstatt zügig die Stadien zum erwachsenen Wurm zu durchschreiten, legen die Würmer oft eine Ruhepause ein, zum Beispiel weil das Futter knapp wird. Das Würmchen hört auf zu fressen, der Mund verschließt sich, und der Nematode harrt einfach aus, bis die Bedingungen wieder besser sind.

Bei Pristionchus pacificus werden die Futteraussichten dann besser, wenn ein Wirtstier vorbeikommt. Denn Pristionchus lebt an Käfern - allerdings nicht als Parasit, sondern in  „nekromener“ Assoziation. Das heißt, der Wurm wartet ab, bis der Käfer stirbt, ohne ihm groß zu schaden. Am Ende aber gibt es ein Festessen auf dem Käfer-Kadaver, massenhafte Vermehrung inklusive. Sobald der Kadaver verputzt ist, beginnt eine neue Fastenzeit, die Tiere gehen wieder in die Dauer-Phase und warten auf eine neue Mitreisemöglichkeit.

Und hier kommt der „Dauer-Tower“ ins Spiel: die Dauer-Larven des P. pacificus sondern eine wachsartige Substanz ab. Die Dresdner und Tübinger Forscher beobachteten fasziniert, wie Nematoden-Larven sich dank dieser klebrigen Hülle aneinander heften und Türmchen aus ihren Körpern bauen – bestehend aus bis zu 1000 Individuen. Das ganze Gebilde wiegt sich sanft hin und her, wie ein Getreidehalm im Wind. Durch diesen Hochbau in Gemeinschaftsleistung können die Larven leichter Kontakt zu vorbeikrabbelnden Käfern aufnehmen, so die Vermutung der Wissenschaftler. Hans Joachim Knölker von der TU Dresden hat die Klebe-Substanz identifiziert, es handelt sich um einen extrem langkettigen Wachs-Ester aus zwei Ketten mit je 30 Kohlenstoff-Atomen.

Über das Gegenteil von Kooperation berichten derweil andere Nematodenforscher in PLOS ONE:
Annemie Zenner und Kollegen schauten sich das Verhalten von Steinernema longicaudum an. Auch Steinernema, ebenfalls ein Insektenbewohner, hat einen bewegten Lebenszyklus mit mal mehr, mal weniger futterreichen Phasen; auch dieser Fadenwurm verharrt im Dauerstadium, bis das große Fressen und Vermehren im Insektenkadaver losgeht. Für die frisch aus dem Dauerstadium erwachten Wurm-Männer geht es dabei um viel. Innerhalb kürzester Zeit ist ein totes Insekt mit bis zu 300.000 Steinernema-Nachkommen besiedelt, die alle von vergleichsweise wenigen Elterntieren abstammen. Die Männchen haben also die Chance, innerhalb kürzester Zeit dem lokalen Genpool ihren Stempel aufzurücken. Wenn rivalisierende Männchen jetzt aneinander geraten, so kommt es unter den millimeterkleinen Würmchen zum Äußersten, zum Kampf auf Leben und Tod.

Interessanterweise gibt es diese tödlichen Kämpfe den Autoren zufolge vermehrt dann, wenn die rivalisierenden Männchen zuvor das Dauer-Stadium durchmachten, also wenn die Wurmpopulation vor einer oft explosionsartigen Vermehrung steht.

Rivalenkämpfe mit tödlichem Ausgang sind im Tierreich eher selten. Meist tragen Männchen den Kampf um Weibchen in ritualisierter Form aus, man denke an den Hirsch und sein Röhren. Allerdings zeigen theoretische Überlegungen, dass Männchen umso härter und risikoreicher um ihre Sexpartner kämpfen, je größer der Reproduktionsvorteil (über das ganze Leben gerechnet) im Falle eines Sieges ausfällt. Und bei Steinernema geht es eben darum, welche Wurm-Männer die einmalige Chance bekommen, Stammvater einer großen Nachkommenzahl auf dem nahrhaften Insektenkadaver zu werden. Eine solche Gelegenheit kommt im kurzen Nematodenleben nicht wieder, und erklärt vielleicht den vollen Körpereinsatz, mit dem die Männchen in den Kampf ziehen.

Eine alternative Erklärung für den Brudermord bei Steinernema halten die Autoren übrigens für unwahrscheinlich, ganz ausschließen können sie sie aber nicht: Die Tötung durch Umschlingen ähnelt sehr dem Paarungsakt der Nematoden. Vielleicht sind die Fadenwürmer einfach nicht sonderlich gut darin, Weibchen und Männchen auseinanderzuhalten und die Tötung der Männchen wäre die Folge einer tragischen Verwechslung.

 

Hans Zauner

 

Foto: entomopathogene Nematoden auf einer Motte.  by Peggy Greb, creative commons 3.o



Letzte Änderungen: 01.05.2014