Editorial

Biotech-Aktiencheck (Teil 1)

Die Börse ist tot. Zumindest als Kapitalbeschaffungs-Werkzeug für deutsche Biotechfirmen. Doch wie steht’s um die paar Glücklichen, deren Börsengang schon länger zurückliegt?
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Historische Aktie

(18. August 2013) Wohl den Glücklichen, die sich vor ziemlich genau einem Jahr, im Sommer 2012, Morphosys-Aktien ins Depot legten. Für günstige 16 bis 18 Euro erhielten sie die zu der Zeit weithin gering geschätzten Wertpapiere einer Firma, die seit Ende 2004, Jahr für Jahr, Gewinn ausweist und nicht nur deshalb eine der wenigen Erfolgsgeschichten der deutschen Biotechnologie ist. Seit einigen Monaten befindet sich die Morphosys-Aktie auf Höhenflug, letzte Woche pendelte die Aktie bereits bei 57 bis 59 Euro. Gewinn binnen zwölf Monaten: bis zu 260 Prozent.

Aus ihrer HuCAL-Antikörperbibliothek haben die Martinsrieder im Laufe der Zeit unzählige Antikörper für Forschung und Medizin isoliert; die Rechte an den vielversprechendsten therapeutischen davon verkauft Morphosys zur Weiterentwicklung an Partnerunternehmen. Derzeit werden sage und schreibe 81 unterschiedliche Medikamentenkandidaten auf ihre Tauglichkeit geprüft; in 21 Wirkstoffprogrammen laufen bereits klinische Studien am Menschen. Die Palette an möglichen Indikationen ist breit und umfasst die Alzheimersche Erkrankung, Arthritis, Asthma, multiple Sklerose sowie Augen- und alle möglichen Tumorerkrankungen.

Ein Beispiel für eine solche Kooperation ist Morphosys’ Alzheimer-Deal mit dem Schweizer Pharmakonzern Roche. Die Oberbayern haben vor Jahren ihren therapeutischen Antikörper Gantenerumab an Roche verkauft; derzeit laufen Phase-3-Studien mit 770 an leichtem Alzheimer leidenden Patienten (geplantes Ende: 2016) sowie eine weitere präventive Studie mit 220 Risikopatienten (geplantes Ende: 2014), die jedoch noch nicht an der Demenzerkrankung leiden. Sollte sich Gantenerumab als wirksam erweisen (allerdings gab es in den letzten Wochen allerlei skeptische Stimmen), so erhielte Morphosys von Roche eine dicke Umsatzbeteiligung an einem Blockbustermedikament.

Drei Wirksubstanzen gegen Krebs und entzündliche Erkrankungen untersuchen die Martinsrieder sogar auf eigene Kosten auf ihre Tauglichkeit als Medikament: die vollständig humanen monoklonalen Antikörper MOR103 und MOR202 sowie den humanisierten monoklonalen Antikörper MOR208. Sie können es sich leisten: Morphosys sitzt auf einem mittelfristig verfügbaren Geldbatzen von rund 180 Millionen Euro – Tendenz steigend.

Drei eigene Wirkstoffkandidaten

Das ist für die Firma beruhigend, denn klinische Studien kosten eine Menge. Der Wirkstoffkandidat MOR103 richtet sich gegen das menschliche Zytokin GM-CSF und wirkt antientzündlich, könnte somit gegen rheumatoide Arthritis und multiple Sklerose (MS) eingesetzt werden. Bis zu einer Zulassung wird es aber noch ein paar Jährchen dauern: MOR103 wird derzeit in einer Phase 1b-Studie an MS-Patienten auf seine Verträglichkeit sowie in Phase II an Patienten mit rheumatoider Arthritis getestet.

MOR202, Morphosys’ zweite große Hoffnung, richtet sich gegen das Zielmolekül CD38, das sich auf der Zelloberfläche von malignen Plasmazellen befindet. Somit könnte MOR202 gegen das multiple Myelom tauglich sein. Der Antikörper wird derzeit in einer Phase 1/2a-Studie auf Sicherheit, Verträglichkeit und vorläufige Wirksamkeit an Krebspatienten getestet.

Der dritte eigene Wirkstoffkandidat im Bunde, MOR208, richtet sich gegen das auf malignen B-Zellen exprimierte Oberflächenantigen CD19 und könnte somit gegen das Non-Hodgkin Lymphom (NHL), die chronische lymphatische Leukämie (CLL) und die akute lymphatische Leukämie (ALL) wirken. 2013 startete MorphoSys Phase-2-Studien mit MOR208 an Leukämie- und Non-Hodgkin Lymphom-Patienten.

Kursexplosion

Vor rund zwölf Monaten explodierte der Aktienkurs der Firma nach mehr als sechs Jahren Flaute und vervierfachte sich in kürzester Zeit beinahe. Dies hat in der Tat mit den eigenen Entwicklungsprogrammen zu tun. Zwei Pressemeldungen kündeten von zwei lukrativen Kooperationen im Wert von jeweils mehreren hundert Millionen Euro.

Die erste: Anfang Juni wurde bekannt, dass Morphosys die Rechte am oben erwähnten Arthritis-Wirkstoff MOR103 an GlaxoSmithKline verkauft und dafür vorab 22,5 Millionen Euro, im langfristigen Erfolgsfall sogar zusätzliche Einnahmen von bis zu 423 Millionen Euro entgegenblickt.

Ende Juni folgte bereits die nächste Erfolgsmeldung: Dieses Mal hieß der Partner Celgene (eine US-Firma); Objekt der Begierde ist dieses Mal das potenzielle Blutkrebs-Medikament MOR202. Neben einer satten Vorauszahlung von über 70 Millionen Euro sind insgesamt sogar bis zu 628 Millionen Euro für die Bayern zu verdienen. Damit hat Morphosys binnen weniger Wochen den zweiten von drei eigenen Wirkstoffen für eine hohe dreistellige Millionensumme auslizenziert.

Prognose nach oben

Kein Wunder, dass die bisher geplante Jahresbilanz für 2013 damit Makulatur ist. Sowohl Gewinn als auch Umsatz werden ein gutes Stückchen höher liegen, prognostizierte Morphosys vor wenigen Tagen, nachdem die amerikanischen Kartellbehörden dem Celgene-Deal ihren Segen gegeben haben. Statt etwa 70 sollen es nun 76 Millionen Euro Umsatz werden, statt einer schwarzen Null soll das EBIT (der Gewinn vor Zinsen und Steuern) jetzt irgendwo zwischen zwei und sechs Millionen Euro betragen.

Warum nicht höher? Ganz einfach: Die Morphosys-Führung möchte den Gutteil von Celgenes Vorab-Zahlung nicht auf die hohe Kante legen, sondern in die eigene Pipeline investieren. Angesichts des doppelten Geldregens, den die Martisrieder in diesem Jahr erlebt haben und der nur erfolgte, weil sie eben dick in Forschung und Entwicklung investierten, eine absolut verständliche Aktion.

Und was sollte man jetzt als Kleinanleger tun? Sich endlich auch ein paar Morphosys-Aktien ins Depot legen und auf weiteren Höhenflug hoffen? So gut wie alle Analysten sind dieser Meinung und raten derzeit (Mitte August) noch begeistert zum Kauf.

Der Laborjournal-Redakteur hält nichts von derlei Kaffeesatzleserei – vor allem angesichts des inzwischen doch sehr hohen Standes der Morphosys-Aktie. Je höher der Kurs, desto tiefer kann er fallen. Eine Entscheidungsempfehlung gibt er jedoch aus juristischen und haftungstechnischen Gründen nicht ab. Die Laborjournal-Leser sollten aber bei allem, was Sie tun, den folgenden Ratschlag des Börsenexperten Mark Twain beherzigen:

„Für Börsenspekulationen ist der Februar einer der gefährlichsten Monate. Die anderen sind Juli, Januar, September, April, November, Mai, März, Juni, Dezember, August und Oktober.“

Winfried Köppelle

Nächste Woche geht’s weiter mit Teil 2 und Informationen zu weiteren börsennotierten Biotechfirmen, unter anderem zu Qiagen, Mologen, Evotec, Eurofins und Wilex



Letzte Änderungen: 12.09.2013