Editorial

Sackgasse Vermarktung

Peter Mühlradt fand am jetzigen Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig mit MALP-2 eine Substanz, die nicht nur die Wirkung von Impfstoffen wie auch die Wundheilung bei Diabetes beschleunigt, sondern zudem bei inoperablem Pankreaskrebs das Leben verlängert. Der Versuch, dieses Wundermittel zu vermarkten, erwies sich jedoch als unüberbrückbar schwierig – wie er selbst beschreibt.
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(12. Juli 2013) Wenn von Erfindungen die Rede ist, denkt jeder sofort an etwas Geniales. Dies muss keineswegs immer der Fall sein. Zum Wesen einer Erfindung gehört die Neuigkeit, die Anwendbarkeit, und dass „der Fachmann durch logische Folgerungen“ nicht darauf hätte kommen können. Es sollte also ein überraschender Befund vorliegen.

Es gibt aber auch triviale Überraschungen (ich rede jetzt nicht von den zahlreichen Fehlmessungen, Fehlinterpretationen etc., die in Labors naturgemäß passieren). Der Wert einer Erfindung ist zum Zeitpunkt des Erfindens meist nicht abschätzbar. So wurde z.B. das Verfahren zur Herstellung monoklonaler Antikörper nicht zum Patent angemeldet. Das war aus Sicht der Wissenschaftlerkollegen natürlich schön, aus Sicht der Erfinder in diesem Fall auch, da sie den Nobelpreis erhielten, und so auf den Geldwert eines Patentes nicht angewiesen waren. Dafür konnten dann diverse Epigonen individuelle Klone bzw. die damit produzierten Antikörper patentieren lassen und die Kasse ein wenig auffüllen.  

Teure Patente

Wessen Kasse? In erster Linie die des Institutes, allwo der Klon generiert wurde. Nach dem Erfindervergütungsgesetz erhält der Erfinder aber einen Teil der mutmaßlichen Einnahmen. Hier liegt der Hase im Pfeffer und die Probleme für den Erfinder beginnen: Es gibt fast immer mehrere Erfinder, die sich dann Fata-Morgana-artige Gewinne versprechen und entsprechend in Streit geraten, was der zukünftigen Zusammenarbeit abträglich ist. Dabei ist noch interessant zu wissen, dass ein Kollege, dessen Mitarbeit Sie erbitten, um z.B. Ihr Patent mit einem weiteren Beispiel zu erhärten, kein Erfinder ist. Sie müssen ihn also nicht als Erfinder in der Patentschrift mit aufnehmen, dafür natürlich in einer später erfolgenden Publikation.

In den meisten Institutionen muss eine Patentstelle angesteuert werden, die das Ganze prüft, wozu je nach Besetzung und Urlaubsplänen der Sachbearbeiter einige Zeit ins Land gehen kann. Der auf Publikationen angewiesene Forscher ist in dieser Zeit zur Publikations-Abstinenz verdonnert, was beinhaltet, auch keine öffentliche Vorträge halten zu dürfen. Diese erzwungene Geheimniskrämerei ist der so notwendigen Kommunikation mit den Kollegen in und außerhalb der jeweiligen Einrichtung ebenso abträglich.  

Lymphokin-Suche mit Hindernissen

Es gilt also gut zu überlegen, ob Sie vorzugsweise Ihren wissenschaftlichen Ruhm durch eine frühzeitige Publikation mehren, oder lieber auf einen fraglichen, späten Geldsegen warten möchten. Hinzu wird in manchen Institutionen noch von den Mitarbeitern erwartet, möglichst viele Patente anzumelden. Dahinter steht der verständliche Wunsch der Geldgeber öffentlicher Mittel, dem geneigten Steuerzahler zu erklären, dass teure Forschung eines Tages wieder Geld einbringt. Dabei wird gerne übersehen, dass eine Patentanmeldung noch lange keine Erteilung bedeutet, und dass ein erteiltes Patent nicht nur Geld kostet, sondern dass es auch kompetent vermarktet werden muss bevor man mit Einnahmen rechnen kann. Später mehr.

Zur Erläuterung will ich meine eigene Story zum Besten geben. Kurz vorab: Wenn Sie etwas erfinden, das zur Diagnostik geeignet ist, lassen Sie es unbedingt patentieren, denn der wissenschaftliche Fortschritt wird – Verzeihung – wohl eher bescheiden sein, nicht aber der mutmaßliche Ertrag; vorausgesetzt, Ihre vermarktende Technologie-Transfer-Stelle, oder wie immer sie heißen mag, ist tüchtig und verfügt über die richtigen Kontakte. Wenn Sie aber glauben, ein neues Pharmakon erfunden zu haben: Vorsicht, Freunde!

Ich bin Wissenschaftler – genauer gesagt, erst Chemiker, dann Biochemiker und schließlich Immunologe – nicht aus Geldgier geworden, sondern aus Neugier. Ich möchte hier nicht darauf eingehen, wie realistisch der Wunsch nach Befriedigung der Neugier unter den Bedingungen des heutigen Wissenschaftsbetriebs ist. Aber manchmal gelingt es doch, diesen Urtrieb zu befriedigen.

Zu einer Zeit, da die Immunologen nur zwei Interleukine zählten, dafür aber bis zu 100 unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dasselbe Interleukin existierten, suchten wir in den Überständen von PHA-stimulierten humanen Leukozyten aus Buffy Coats nach neuen Lymphokinen. David Monner und Berthold Bödecker produzierten am GBF Braunschweig in kleinen Bioreaktoren zunächst IL-2, das damals noch nicht gentechnologisch hergestellt werden konnte. Eva-Maria Kniep gelang es, das IL-2 mit HPLC zu reinigen, was damals eine echte Pioniertat war.

Die vom Roten Kreuz bezogenen Buffy Coats erwiesen sich als zu teuer und die ganze Prozedur als zu umständlich, als dass man jemals größere Mengen an IL-2 oder anderen Lymphokinen hätte herstellen können. Was lag näher, als nach humanen Zelllinien zu suchen, die gegebenenfalls in Reaktoren kultiviert und zur Lymphokin-Produktion angeregt werden konnten? Als Testsystem für IL-2 oder „neue“ Lymphokine benützten wir Maus-Thymozyten als Quelle von T-Zellen, die unter dem Einfluss von Concanavalin A (ConA) und zu testenden Kulturüberständen zu T-Killerzellen ausreifen sollten.

Groß war die Freude, als wir in Kulturüberständen der promyelozytären Zelllinie HL60 Aktivität in diesem Testsystem messen konnten. Fabelhaft! Überraschung! Das musste ja etwas Neues sein, denn es war nicht bekannt, dass HL60 IL-2 produzieren konnte.

Merkwürdig nur, dass die HL60 auch ohne Stimulation Aktivität zeigte, noch denkwürdiger, dass Kulturüberstände von HL60 auch andere Zellen dazu anregen konnten, diese rätselhafte Aktivität zu produzieren. Irgendein Skeptiker warf eines Tages das Stichwort Mykoplasmen in die Diskussion. Mykoplasmen waren wir nicht gewohnt, da wir bislang nur mit primären Zellen gearbeitet hatten. Außerdem stammte die HL60-Linie aus einem renommierten Institut und war daher eher unverdächtig. Zur Sicherheit baten wir Helga Kirchhoff, Expertin für Mykoplasmen am GBF, um Hilfe. Natürlich strotzte unsere HL60 vor Mykoplasmen. Aus der Traum vom Killerzell-stimulierenden IL-X. Apropos Mykoplasmen: Kontaminierte Zellkulturen und deren Produkte, wie z.B. auch monoklonale Antikörper, können wahrhaft fabelhafte Effekte verursachen, selbst wenn die Mykoplasmen abgetötet sind.  

Kurzerhand umgeschwenkt

Jetzt galt es, sich zu entscheiden – entweder alles sterilisieren und Zelllinie wie Projekt verwerfen, oder der Neugier nachgeben und der Frage nachgehen, wieso Mykoplasmen oder deren Bestandteile unreife T-Zellen dazu bringen, sich zu T-Killerzellen zu entwickeln. Oder – viel weitreichender: Welche Substanzen enthalten oder produzieren Mykoplasmen, die das Immunsystem stimulieren und in vivo bei Mykoplasma-infizierten Tieren zu Rheuma-ähnlichen, entzündlichen Erkrankungen führen können? Das ist keineswegs trivial, denn das angeborene Immunsystem, die Makrophagen, reagieren überwiegend auf Bestandteile der bakteriellen Zellwand, wie Lipopolysaccharid Endotoxin (LPS), Lipoprotein, Lipoteichonsäure und Peptidoglykan. Mykoplasmen aber sind zellwandlos.

Mykoplasmen wissentlich oder unabsichtlich mit Säugerzelllinien zusammen zu kultivieren, war kein Kunststück, wie wir damals feststellen durften. Es war aber aussichtslos, aus einem undefinierten Gemisch, wie es Zellkulturüberstände mit Resten abgestorbener Zellen und Serumbestandteilen nun einmal sind, etwas zu isolieren und chemisch zu charakterisieren. Aber auch konventionelle Mykoplasma-Medien enthalten Serum und LPS, was ebenfalls in unserem Testsystem positiv ansprach.

Es mussten also Kulturmedien entwickelt werden, die frei von Endotoxinen waren, möglichst keine undefinierten Bestandteile wie Serum enthielten und akzeptables Wachstum der aus der HL60 stammenden Mykoplasmen erlaubten. Diese wurden im Labor von Helga Kirchhoff identifiziert und waren zu unserer Überraschung auch noch ein Gemisch zweier unterschiedlicher Stämme: Mycoplasma hyorhinis und Mycoplasma fermentans. Wir konzentrierten uns zunächst auf M. fermentans. Für Kollegen, die Gramm-Ausbeuten pro Liter aus E. coli-Kulturen gewohnt sind – man kann sich glücklich schätzen, pro Liter ein paar Milligramm Mykoplasmen zu ernten.

„Several years and postdocs later“ – um einen amerikanischen Kollegen zu zitieren – ergab sich folgendes Bild: Hilmar Quentmeier und Edgar Schmitt bewiesen, dass die wenigen Makrophagen in der Thymozytenkultur unseres Testsystems die eigentlichen Zielzellen des rätselhaften Mykoplasmen-Produktes und alle weiteren Vorgänge eine Folge davon waren, und Wilhelm Grote zeigte, dass dieses Mykoplasmen-Produkt eine scheinbar hochmolekulare Substanz war, die wir MDHM = mycoplasma-derived high molecular weight material nannten. Arbeiten von P.F. Smith aus den 1960er Jahren zufolge enthalten Mykoplasmen Glykolipide. Später fand Kim Wise auch Lipoproteine, die hauptsächlich als variable Antigene interessant waren. War eine dieser Substanzklassen das gesuchte „Endotoxin“ der Mykoplasmen?

Ungeahnte Hürden

Die weitere Aufreinigung gestaltete sich als äußerst frustrierend. Es gab zu wenig Material für eine konventionelle Strukturaufklärung, und die Aktivität verschwand bei weiterer Reinigung. Ein derartiges Verschwinden einer biologischen Aktivität kann außer trivialen Gründen wie Verwechslung von Proben, schief gelaufenen Tests etc. weit kompliziertere Erklärungen erfordern. So kann man etwa mit der Aktivität einen Inhibitor des Testsystems angereichert haben, oder die Aktivität besteht aus mehreren Komponenten, die bei der Reinigung getrennt werden, oder die gesuchte Substanz ist aus noch unbekannten Gründen instabil.

Eine weitere Möglichkeit war wie in unserem Fall die Adsorption der hochgereinigten Substanz an jedes Röhrchen oder jede Pipettenspitze. Wohlmeinende Ratschläge (klonieren Sie das Zeugs doch) waren zum Scheitern verurteilt, da es sich bei MDHM nach etlichen Kriterien um eine lipidhaltige Substanz zu handeln schien. Darüber hinaus war das Thymozyten-Testsystem zu unhandlich und TNF- oder IL-1-ELISAs zu teuer, um eine große Anzahl von Proben zu testen.

Schließlich fanden wir ein einfacheres Testsystem, mit dessen Hilfe wir das Endotoxin reinigen und seine Struktur aufklären konnten (die Roderich Süßmuth durch Synthese bestätigte): die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) aus Makrophagen, die Isolation eines high-producer Mycoplasma-Stammes und die Verwendung von vorgelegter Carriersubstanz in den HPLC-Fraktionen, um die Adsorption der aktiven Substanz zu verhindern. MDHM erwies sich als ein Lipopeptid mit zwei Fettsäuren und 13 Aminosäuren. Wir tauften es in macrophage-activating lipopeptide of 2 kDa mol. Wt. (MALP-2) um.

Die Grundstruktur des MALP-2 (für Chemieenthusiasten: S-[2,3-bispalmitoyloxy-(2R)-propyl]-cysteinyl-GNNDESNISFKEK) ähnelt im Prinzip dem von Klaus Hantke und Volkmar Braun aufgeklärten Lipoprotein aus E. coli. Neu war, dass die amidgebundene dritte Fettsäure fehlte und die Aktivität von MALP-2 extrem hoch spezifisch war (halbmaximale Aktivität in vitro ca. 2pg/ml bzw. 1pM).

Darüber hinaus war es sehr wahrscheinlich, dass ein Molekül, das in so geringen Dosen zentrale Zellen des nativen Immunsystems stimuliert, alle möglichen Anwendungen vom immunologischen Adjuvans bis zur Infektionsprophylaxe versprach. Daher meldeten wir die Substanz zum Patent an, welches auch erteilt wurde.

Schwierige Vermarktung

Wenn eine Publikation nach mehrmaligem Umschreiben, dem üblichen Ärger mit diversen Editoren und Gutachtern und der mittlerweile eingetretenen Langeweile mit den eigenen, inzwischen angestaubten Resultaten endlich gedruckt vor einem liegt, ist das ein Grund zum Feiern.

Das Verfassen einer Patentschrift, zumal mit einem fähigen Patentanwalt, ist dagegen vergleichsweise einfach, wenigstens was den wissenschaftlichen Part betrifft. Die Probleme beginnen erst, wenn Sie versuchen, Ihr Patent zu vermarkten. Dies ist ganz besonders schwierig bei einem potentiellen Pharmakon. Wenn Sie glauben, Ihr Patent sei qua Genialität und Marktwert ein Selbstläufer, verlieren Sie viel wertvolle Zeit. Auch ich verfiel diesem naiven Irrtum.

Am günstigsten ist eine Kooperation mit einer großen, kapitalkräftigen Pharmafirma. Die müssen Sie aber erst einmal finden. Meine Erfahrungen mit Firmenkontakten sind sehr unterschiedlich, und ich habe mehr als hundert Firmen angeschrieben. Fast alle Firmen haben eine Abteilung, die sich mit sogenannten „opportunities“, also neuen Kontakten und Projekten befasst. Von schweizerischen und amerikanischen Firmen erhielt ich durchweg höfliche Bestätigungen meiner Anfragen, während die meisten großen deutschen Firmen in dieser Hinsicht eher zurückhaltend oder gar nicht reagierten.

Kleine oder mittlere Firmen zeigten dagegen oft echtes Interesse, und ich bekam die zuständigen Wissenschaftler an die Strippe. Leider waren bei diesen Firmen die finanziellen Ressourcen begrenzt. Das gängige Totschlagargument: haben Sie keine Phase-2-Daten? Nun, man benötigt mehrere 10 Millionen Euro, um wenigstens das Potenzial eines neuen Medikaments in einer Phase-2-Studie abzuschätzen. Das kann nur von Big Pharma gestemmt werden.

Wenn man von einer einjährigen Laborantenzeit absieht, hatte ich nie das Glück (oder Unglück?), in solch einer Firma zu arbeiten. Ein Kollege aus Big Pharma meinte einmal spöttisch, das Forschungsprogramm seiner Firma bestehe darin, kleine, pfiffige Firmen zu kaufen, nicht mit ihnen zu kooperieren. Es gibt aber noch ein anderes inhibitorisches Prinzip, das der Kooperation im Wege steht, wie mir der Firmenforscher verriet: NIH, will heißen not invented here. Warum? Von außen hereingebrachte Projekte stören die eigenen Vorhaben und ziehen Ressourcen ab. Außerdem können fremde Projekte ja nicht wirklich gut sein, denn sonst wäre man schon selbst darauf gekommen. Und schließlich ist eine Industriekooperation für alle Beteiligten meist mit einer Menge Bürokratie verbunden, besonders wenn Sie einer Universität oder einem Institut der wie auch immer gefärbten Liste angehören. Sie müssen also schon mit beträchtlichen Daten aufwarten, bevor sich jemand dafür begeistert. Gefragt sind mindestens Phase-1-Daten, also die Verträglichkeit in menschlichen Probanden. Dies wiederum beinhaltet, dass die zu testende Substanz nach „good manufacturing practices“ bei einer dafür validierten Einrichtung hergestellt sein muss, die Wirksamkeit im Tierversuch bewiesen wurde, Daten zur Toxizität in zwei Tierspezies aus einem für derartige Untersuchungen zertifizierten Institut vorliegen, die Testsubstanz nicht gentoxisch ist und die zuständigen Arzneimittelbehörden die vorliegenden Daten eingesehen und das Vorhaben genehmigt haben.

Außerdem muss eine Ethikkommission der Klinik dem Vorhaben zustimmen, und schließlich, last not least, müssen auch die Probanden dem Versuch zustimmen und zudem versichert sein.  

Zwischen die Stühle gerutscht

Nach diesem Ausflug in die Theorie wieder zurück zur MALP-2-Story. Eine bisher noch nicht erwähnte Anwendungsmöglichkeit für MALP-2 ist die Förderung der Wundheilung. Das inzwischen von Ursula Deiters in allen Einzelheiten geklärte Wirkprinzip ist eine durch MALP-2 angestoßene, sterile Entzündung durch Freisetzung einer Kaskade von Chemokinen und Wachstumsfaktoren. Unser Wundheilungsmodell waren übergewichtige Mäuse, die, ähnlich menschlichen Schwergewichten, Altersdiabetes mit den entsprechenden Wundheilungsstörungen entwickeln. In diesem Modell schlossen sich mit 0,1 µg MALP-2 behandelte Hautwunden zwei Wochen früher als Kontrollwunden.

Durch persönliche Kontakte konnten wir zunächst ein schweizerisches Forschungsinstitut und später den europäischen Ableger einer US-amerikanischen Pharmafirma für unser Projekt interessieren. Beides erwies sich als äußerst hilfreich und erfreulich. Es gab nicht nur eine großzügige Finanzierung, sondern auch echte wissenschaftliche Kooperation mit Austausch von experimentellen Daten und wertvollen Ratschlägen. Leider wechselte ein wichtiger Mitstreiter seine Firma und damit das Arbeitsgebiet, und im anderen Fall beschloss man im fernen Amerika, die dermatologische Forschung inklusive Wundheilung firmenweit einzustellen.

Nun saßen wir prächtig zwischen sämtlichen Stühlen. Zum einen waren wir durch Abkommen noch zur Vertraulichkeit verpflichtet, zum anderen lehnte die DFG unseren Antrag mit der verständlichen Begründung ab, dieses Projekt sei nun wirklich etwas für die Industrie.

Letzter Versuch: Selbstständigkeit

Da ich zu dieser Zeit altersgemäß aus dem Institut ausgeschieden wurde, ergab sich die Möglichkeit, eigene Labor- und Büroräume zu mieten. Dies wurde dadurch erheblich erleichtert, dass mit EU-Mitteln gerade ein nagelneues Biozentrum der Stadt Braunschweig errichtet worden war, in das wir als erste einzogen. Ich bekam die Erlaubnis, einige Geräte sowie übrig gebliebenes Industriegeld mitzunehmen. Bescheidene Einnahmen erlösten wir aus Verkäufen von MALP-2 an eine Firma, die mit Feinchemikalien handelte.

Eine übereifrige Vermarktungseinrichtung des Instituts verbot mir zunächst die weitere Forschung an MALP-2. Dieses Problem konnte dann aber mit anwaltlicher Hilfe geklärt werden. Zu dem prinzipiellen Ärger kamen noch meine Anwaltskosten.

Sehr nützliche Hilfe erhielt ich dagegen von der Industrie- und Handelskammer der Stadt Braunschweig in Form einer kostenlosen patentanwältlichen Beratung und eines Wissenschaftspreises, der Braunschweiger Zukunft GmbH, die uns günstige Mietpreise bot, und von der Technologietransferstelle der Technischen Universität Braunschweig, die unter anderem unsere Buchhaltung übernahm. Dazu gab es noch eine wertvolle Beratung von einem „Wirtschaftssenior“. Der kam auf einem gewaltigen, historischen Motorrad angebraust und hat mir für eine sehr geringe Schutzgebühr innerhalb eines kurzen Gesprächs und durch gezielte Fragen so viel beigebracht, wie es wohl in keinem der teuren Gründerseminare möglich gewesen wäre.

Während der Zeit im Biozentrum gelang es, mit Thomas Werfel et al. an der Medizinischen Hochschule Hannover eine Verträglichkeitsstudie (Phase 1) an Patienten durchzuführen. Dabei stellte sich heraus, dass MALP-2 nicht nur verträglich war, sondern auch bei Diabetikern reagierte. Vielleicht zur Beruhigung besorgter Gemüter: ich habe MALP-2 zuerst an mir ausprobiert, inklusive größerer Hautwunden, als sie den Probanden zugemutet wurden. Versuche, die Pharmaindustrie für die weitere Entwicklung und Übernahme des Projekts zu begeistern, wurden wieder mit dem bewährten Totschlagargument im Keim erstickt, wir möchten doch Phase-2-Daten beibringen.

Bei einer Bioerfindermesse lernte ich endlich die richtigen Leute kennen. Sie hatten bereits erfolgreich ein neues Medikament entwickelt und vermarktet, und wir beschlossen, eine GmbH zu gründen. Diesmal ging es um eine andere Anwendung von MALP-2 in der Onkologie. Allein, das von uns Gesellschaftern eingebrachte Kapital und die wertvolle Zeit der Gesellschafter verbrauchte sich mit der Fahndung nach Venture Capital. Und auch die Teilnahme an Private-Equity-Messen oder Veranstaltungen wie Biovaria, BioEurope, Biomed etc. inklusive Reise- und Hotelkosten ist nicht gerade billig. Dennoch, meine tüchtigen Partner hatten es geschafft, beträchtliche Finanzmittel in Aussicht gestellt zu bekommen, als die Lehman Brothers uns einen fetten Strich durch die Rechnung machten mit ihren gloriosen Geschäften. Die Geldbeutel verschlossen sich danach hermetisch.

Und das war das Ende – Sic transit MALP-2 Vermarktung. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Peter Mühlradt

(Der Artikel erschien gedruckt in der aktuellen Laborjournal-Ausgabe 7-8/2013 auf den Seiten 10-13)



Letzte Änderungen: 02.10.2013