Editorial

Türschnalle Nummer 114

Wiener Pharmakologen entschlüsseln mit Megarechner, welche Aminosäure einen Kaliumkanal für den Öffnungsvorgang entriegelt.
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(07. Mai 2013) Wer Österreichs schnellsten Computer nutzen darf, publiziert auch schon mal in PLoS Computational Biology. Im Fall von Anna Stary-Weinzinger und Tobias Linder von der Universität Wien sowie Bert de Groot vom Max Planck Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen dürfte dies allerdings nicht der alleinige Schlüssel gewesen sein. Vielmehr hatten sie bereits eine klare Frage formuliert, ein schlüssiges Konzept entwickelt und jede Menge Vorarbeiten durchgeführt, bevor sie mit ihren Daten Zutritt zum Vienna Scientific Cluster (VSC) gewährt bekamen.

Doch wozu brauchte das Trio überhaupt die Mega-Rechenkraft dieses High Performance Computing Clusters, das die Technische Universität Wien, die Universität Wien und die Universität für Bodenkultur Wien gemeinsam betreiben?

Seniorautorin Anna Stary-Weinzinger interessiert sich besonders für den bakteriellen Kaliumkanal KcsA. Dies jedoch vor allem als Modell für Spannungs-abhängige Ionenkanäle überhaupt, denn als Postdoc am Department für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Wien weiß sie natürlich:

„Diese molekularen Schaltstellen steuern eine Vielzahl von lebenswichtigen Körperfunktionen wie die Weiterleitung von Nervenimpulsen, Regulierung unseres Herzrhythmus und Freisetzung von Neurotransmittern. Bereits leichte Funktionsstörungen der Kanäle, ausgelöst durch den Austausch einer einzigen Aminosäure, können zu schweren Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Migräne, Diabetes, bis hin zur Entstehung von Krebs führen.“

Womit die Ionenkanäle natürlich ganz klar wichtige Angriffspunkte für zahlreiche Medikamente sind. Und genau deshalb wollen Pharmakologen wie Anna Stary-Weinzinger sie möglichst bis ins kleinste Detail verstehen.

Ein besonders wichtiges Detail ist die Regulation des Öffnungs- und Schließmechanismus. Gerade hier sind jedoch noch einige Fragen offen. Zwar hatte man schon von Röntgenstrukturanalysen gewusst, wie diese Pforte in geöffnetem und geschlossenem Zustand aussieht (für die erste Kristallstruktur dieses Kaliumkanals bekam der US-Biochemiker Roderick MacKinnon 2003 sogar den Chemie-Nobelpreis). Doch diese Kristalle seien freilich statische Strukturen, stellt Stary-Winzinger klar. Wie sich der Kanal tatsächlich bewegt, könne man daher eigentlich nur am Computer untersuchen, sagte sie.

Das Autoren-Trio entschloss sich daher, das Problem mit einer Moleküldynamik-Simulation am Computer anzugehen. Dazu errechneten sie zunächst ein Energieprofil der einzelnen Bewegungsschritte. Weil sie jedoch nicht nur den Ionenkanal mit seinen über 400 Aminosäuren betrachteten, sondern auch die Membran, in der er eingebettet ist, habe man am Ende etwa 200.000 Atome, die miteinander agieren können, über die ganze Zeit von geschlossenem bis offenem Zustand berücksichtigen müssen.

Glücklicherweise konnten Stary-Weinzinger und Co. die Gutachter, die über die Vergabe der Rechenzeit am Vienna Scientific Cluster (VSC) wachen, von Sinnhaftigkeit und Erfolgschancen ihres Projekts überzeugen. Doch auch für den Megarechner war das Projekt extrem aufwendig – ein ganzes Jahr Rechenzeit benötigte er letztlich bis zum Abschluss.

Doch die „Jahresrechnung“ sollte sich lohnen: Erstmals wurde für ein großes Protein wie dem KscA-Kanal die Energielandschaft zwischen offenem und geschlossenem Zustand ermittelt. Dabei beobachtete das Team unter anderem, dass die beiden Zustände von zwei unterschiedlich großen Energiebarrieren getrennt werden. Und schon begann die Suche nach den „sensiblen“ Energieschaltstellen im Protein...

Ins Netz geriet schließlich der Phenylalaninrest 114, der offenbar eng an die erste, kleinere Energiebarriere gekoppelt ist. "Dieser Phenylalaninrest dient als Schalter, um den Ionenkanal aus dem geschlossenen Zustand zu entsichern", erklärt Erstautor Tobias Linder, Doktorand und Forschungsstipendiat der Universität Wien. Und Stary-Weinzinger ergänzt: „Damit die molekulare Pforte aufgehen kann, muss zuerst eine kleine Energiebarriere überwunden werden, und sich das Phenylalanin an Position 114 bewegen. Erst wenn also diese Türschnalle umgeklappt ist, und die Pforte schon ein bisschen geöffnet ist, kann eine weitere Energiebarriere überwunden werden und sich die Pforte mit einer großen Bewegung ganz öffnen.“

Wie man sich diese Bewegung im Modell vorstellen muss, zeigt zum Abschluss dieses Video.

Ralf Neumann

(adaptiert von dieser Pressemitteilung und dieser Agenturnachricht)

Original-Publikation:

T. Linder, BL de Groot, A. Stary-Weinzinger: Probing the energy landscape of activation gating of the bacterial potassium channel KcsA, PLOS Computational Biology, Mai 2013. DOI: 10.1371/journal.pcbi.1003058



Letzte Änderungen: 31.05.2013