Editorial

Ein Platy für alle Fälle

Das Genom des Spiegelkärpflings bietet nicht nur Einsichten in die Entstehung von Hautkrebs.
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(11. April 2013) Der Wurm, die Fliege, der Fisch: Wenn Molekularbiologen derart grob verallgemeinern, sprechen sie meist über ihre Haustiere Caenorhabditis elegans, Drosophila melanogaster oder Danio rerio. Seit jedoch das Sequenzieren ganzer Genome praktikabler geworden ist, rücken auch andere Arten mit jeweils ganz eigenen Merkmalen (wieder) in den Vordergrund.

Der Platy oder Spiegelkärpfling (Xiphophorus maculatus) ist so ein extravagantes Forschungstier. Bekannt ist er heute zwar eher als pflegeleichter Aquarienfisch, aber schon in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts machten die Deutschen Georg Häussler und Curt Kosswig sowie der Amerikaner Myron Gordon eine faszinierende Entdeckung: Kreuzt man nahverwandte Arten der Gattung Xiphophorus miteinander, so entwickeln die Hybriden oft ein Melanom – also eine Pigmentwucherung (Referenzen siehe hier – Nr. 30, 32 & 63).

Seit 1939 hatte Gordon denn auch begonnen, genetisch uniforme Linien einiger Xiphophorus-Arten zu züchten – mit dem klaren, jedoch damals höchst visionären Ziel, die an der Krebsentstehung beteiligten Genorte aufzuspüren. Immerhin, Platy war als raffiniertes genetisches Modell für den Hautkrebs geboren.

Heute sind aus so mancher dieser Visionen Fakten geworden. In Deutschland etwa arbeiten Manfred Schartl und seine Gruppe an der Universität Würzburg seit vielen Jahren daran, weitere genetische Ursachen hinter den Hybrid-Melanomen aufzuklären. Im Zentrum des Geschehens steht dabei eine Tumor Control Region (TCR) auf dem X-Chromosom – und darin vor allem das als Onkogen identifzierte xmrk.

Was Fische generell angeht, setzen seit den 90er-Jahren die meisten Genetiker indes auf den Zebrafisch Danio rerio als Modell ihrer Wahl. Danio hat insbesondere den großen Vorteil, dass er durchsichtige Eier in großer Zahl legt und somit ideal für Mutagenesestudien ist. Ganz im Gegensatz zum Platy, der zusammen mit anderen beliebten Zierfischen wie Schwertträgern und Guppies zur ungewöhnlichen Fischfamilie der Poeciliden gehört. Die Poecilidenweibchen sind lebendgebärend („vivipar“), weshalb die Nachkommen in einer Gebärmutter heranwachsen und recht weit entwickelt zur Welt kommen. Zur intrakorporalen Befruchtung ist die Afterflosse der Männchen entsprechend zu einem Penis umgestaltet, der wissenschaftlich korrekt „Gonopodium“ heißt.

All dies ist für Entwicklungsgenetiker natürlich ungünstig, weil man schwer an die frühen Embryonalstadien des Spiegelkärpflings herankommt. Evolutionsbiologen hingegen können eine ganze Reihe faszinierender Fragen an Platy stellen: Wie und warum entstand die Viviparie in Fischen? Gibt es Parallelen zu anderen lebendgebärenden Tieren wie den Säugern? Und was können wir vom komplexen Balzverhalten der Poeciliden über sexuelle Selektion lernen?

Manfred Schartl und viele Kollegen aus mehreren Ländern haben jetzt die Genomsequenz des Platy vorgestellt (Schartl et al., Nature Genetics 2013, doi:10.1038/ng.2604). Das Genom ist etwa 750-950 Millionen Basenpaare (Mbp) lang, wovon die Forscher 669 Mbp entschlüsselt haben. Demnach hat X. maculatus knapp über 20.000 Gene, etwa so viele wie der Mensch oder der Fadenwurm.

Natürlich richteten Schartl und Co. ihr besonderes Augenmerk sofort auf Regionen, die mit den Pigmentwucherungen in Hybriden zusammenhängen (könnten). Zwar kann die neue Sequenz alleine ohne weitere experimentelle Studien naturgemäß nicht viel Konkretes über die Rolle bestimmter Gene an der Tumorentstehung aussagen; allerdings hat das Genom-Konsortium im Bereich der Tumor Control Region wie auch an den Loci einiger Pigmentierungsgene bereits eine Reihe von Kandidaten gefunden, die sie jetzt auf ihre Beteiligung an der Melanomentstehung testen können.

Schartl et al. stellen mit ihrer Arbeit zudem das erste sequenzierte Genom eines lebendgebärenden Tiers jenseits der Säuger vor. Da die Plazenta und die intern befruchteten Eier der Poeciliden unabhängig von den Säugetieren entstanden, bieten sie natürlich ein schönes Beispiel für parallele Evolution. Waren in Platy etwa die gleichen Gene wie bei den Säugern an der Evolution der Viviparie beteiligt? Und finden sich Spuren der natürlichen Selektion in der Platy-DNA?

34 Kandidaten-Gene wählte das Konsortium zur Analyse dieser Fragen aus. Von diesen 34 Genen weiß man, dass sie bei Säugern mit der Entwicklung der Plazenta und den Besonderheiten der Säugeroozyten zusammenhängen – darunter beispielsweise diejenigen für Vitellogenine samt dazugehörigen Rezeptoren und Transporter. Auch das Gen igf2, welches in Säugern eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Plazenta spielt, haben die Bioinformatiker speziell unter die Lupe genommen. Und siehe da, der Sequenzvergleich dieser Gene aus mehreren Poecilidenarten ergab, dass igf2 und auch andere Kandidaten in der Tat Spuren positiver Selektion aufweisen. Parallele Evolution also nicht nur auf morphologischer, sondern auch auf molekularer Ebene.

Und schließlich wollen die Forscher mithilfe des Genoms auch den extravaganten sexuellen Vorlieben der Poeciliden-Weibchen weiter auf die Spur kommen. Ein Grund für die Beliebtheit von Guppy, Schwerträger und Platy bei den Aquarianern ist nämlich die besondere Farbenpracht der Männchen sowie, bei den Schwerträgern, die extrem verlängerte männliche Schwanzflosse – beides Ergebnisse der Zuchtwahl durch die Weibchen. Haben demnach die sexuelle Selektion und das komplexe Balzverhalten auch Abdrücke im Genom hinterlassen? Es sieht so aus – zumindest sind Gene, die mit komplexem Verhalten zu tun haben, häufig als Duplikate im Platy-Genom vorhanden.

Der Spiegelkärpfling hat also ohne Zweifel ein interessantes und erkenntnisträchtiges Erbgut. Aber wie so oft, wenn eine neue Genomsequenz verkündet wird, ist das eigentlich Spannende nicht die Publikation der Sequenz selbst, sondern die Aussicht darauf, was die Forscher in Zukunft damit anfangen können. Hautkrebs, Viviparie, sexuelle Selektion, komplexes Verhalten: X. maculatus ist so vielseitig wie ungewöhnlich, und die neuen Genomdaten werden daher für Forscher mit verschiedensten Interessen nützlich sein. Abgesehen davon, dass es mit Zebrafisch, Stichling, Fugu, Medaka und dem Platy jetzt eine Reihe von sequenzierten Fisch-Modellen gibt, die jeweils ganz eigene Merkmale haben.

Molekularbiologen müssen sich wohl langsam die beliebte Floskel abgewöhnen: „Im Fisch ist das so und so.“

Hans Zauner

(Foto: http://www.fishtanksandponds.co.uk/)


Letzte Änderungen: 12.07.2013