Editorial

Gut orientiert

Wüstenameisen nutzen eine Vielzahl an Umgebungsmerkmalen, um ihr Nest wiederzufinden

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(17. April 2012) Im Gegensatz zu Hänsel und Gretel aus dem Märchen, verlaufen sich Wüstenameisen, die auf Nahrungssuche waren, auf dem Heimweg kaum und landen deshalb selten in fremden „Hexennestern“. Ameisen der Gattung Cataglyphis nutzen gleich ein ganzes Repertoire an Orientierungshilfen, fanden die Jenaer Verhaltensbiologen Cornelia Buehlmann, Bill Hansson und Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie heraus.

 

„Die Ameisen besitzen ein sehr flexibles Orientierungssystem. Sie können viele Reize benutzen, selbst solche, die in dem Kontext normalerweise keine Rolle spielen“, so Knaden. Seit den 1960ern ist bekannt, dass Wüstenameisen ihre Position relativ zum Nest erkennen, indem sie sich mit einem sogenannten Wegintegrator orientieren. Die Richtung erkennen sie anhand des polarisierten Lichts am Himmel, die Distanz zum Nest schätzen sie durch das Zählen ihrer Schritte (Wittlinger et al., Science 2006, 30:1844). Außerdem machen sie einen Schnappschuss vom Nesteingang und merken sich charakteristische Merkmale der Umgebung. „Das können kleine Büsche sein oder winzige Steinchen“, berichtet Knaden.

Knaden ist auf Gerüche spezialisiert: „Wenn man durch die Wüste geht, dann merkt man, dass es nicht überall gleich riecht.“ Er und sein Team zeigten mit künstlichen Düften, dass die Ameisen sich Gerüche merken und zur Lokalisation ihres Nests benutzen. Doch auch das Nest selbst scheint einen bestimmten Duft zu besitzen. „Da im Nest viele Tiere sitzen und dort das Futter gelagert wird, nahmen wir an, dass der CO2-Gehalt erhöht ist“, beschreibt Knaden die Hypothese, die mit Messungen bestätigt werden konnte (Buehlmann et al., PLoS ONE 2012, 7:e33117). „Wenn man ein künstliches Loch in den Boden drückt, dann interessiert das die Ameisen nicht. Wenn daraus aber CO2 strömt, dann gehen sie da rein.“

Nun strömt CO2 aber auch aus fremden Nestern und der Geruch ermöglicht keine Unterscheidung zwischen dem eigenen und einem fremden Nest. Das Vorbeischauen in einem fremden Nest kann für eine Wüstenameise allerdings den Tod bedeuten, da Eindringlinge von einem Ameisenvolk massiv attackiert werden. Entscheidend ist deshalb die Reihenfolge, in der die Orientierungshilfen eingesetzt werden. Ameisen nutzen zuerst den Wegintegrator, der sie in die Nähe ihres Nests bringt. Dort achten sie dann auf den CO2-Geruch, der ihnen den Nesteingang zeigt (Curr Biol 2012, 22:645-9). Die Orientierung anhand von Geruch beziehungsweise visuellen Merkmalen scheint gleichwertig zu sein. „Die Tiere lernen ein komplexes Bild vom Nesteingang, das beide Reize beinhalten kann“, erläutert Knaden.

Doch die Ameisen können noch mehr. „Es wurde schon mehrfach gezeigt, dass Ameisen Magnetfelder wahrnehmen können. Außerdem reagieren sie sehr sensitiv auf Vibrationen, da sie darüber kommunizieren“, so Knaden. Beides spielt als Umgebungsmerkmal in der Natur keine Rolle, dennoch konnten die Ameisen diese Reize lernen und dadurch ihr Nest finden. Bei ihren Experimenten in Tunesien und der Türkei trainierten die Forscher Ameisen auf verschiedene Reize, indem sie sie in Aluminiumkanälen nach Futter suchen ließen. Ein unscheinbares Loch im Kanal, das zum Nesteingang führte, konnte so mit visuellen Merkmalen, Gerüchen, Magneten oder einem Vibrationsgeber markiert werden. Nachdem die Ameisen die Merkmale kennen gelernt hatten, wurden sie in einem anderen Kanal getestet. „Wir haben gesehen, dass die Tiere den Nesteingang leichter finden, wenn wir zum Beispiel die Vibrationen zuschalten“, so Knaden. – Mit einem derart umfangreichen Repertoire an Orientierungshilfen wie es Wüstenameisen besitzen, hätten vielleicht auch Hänsel und Gretel den Weg nach Hause wieder gefunden.

 


Kai Krämer
Bild: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie/Badeke



Letzte Änderungen: 01.05.2012
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