Editorial

Impotente Rammler durch Handys: Salama-Taktik

Ein Forscher erzielt dramatische Wirkungen, obwohl so gut wie keine Ursache vorliegt.

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Der Redaktion anonym zugespieltes Original(?)-Foto der Salama-Experimente.

(16. März 2012)  Nein, das ist kein Druckfehler. Nicht die italienische Hartwurst ist gemeint, sondern ein Autor namens Nader Salama, seines Zeichens Wissenschaftler, der an der School of Medicine der Universität Tokushima in Japan und zugleich an der Medizinischen Fakultät der Universität Alexandria in Ägypten verortet ist. So ganz ist seine derzeitige Wirkungsstätte allerdings nicht auszumachen, da er in seinen Publikationen [siehe Fußnote 1-3] als Erst- und korrespondierender Autor beide Universitäten (jeweils „Department of Urology") und als E-Mail-Adresse keine institutionelle, sondern eine Yahoo.com-Adresse angibt. Was schon mal seltsam ist und – zumindest bei mir als Gutachter – ein rotes Lämpchen aufleuchten lassen würde. Ein zweites Lämpchen würde aufleuchten, wenn sich wie bei Salama herausstellt, dass er weder im einen noch im anderen Fall als Institutsmitarbeiter aufgeführt ist [4,5].

 

Das Salama-Manuskript

 

Neulich bekam ich ein Manuskript von besagtem Autor zur Begutachtung (obwohl er den Herausgeber explizit darum gebeten hatte, mich nicht als Gutachter vorzusehen; Gründe siehe unten). Über das Manuskript kann ich nichts sagen, das ist immer eine vertrauliche Angelegenheit. Das Muster der Methoden und Resultate war jedenfalls mit den publizierten Arbeiten identisch und schlicht und ergreifend unglaubwürdig. Das Manuskript wurde abgelehnt. Nun habe ich mich aber mit allen Publikationen detailliert befasst und konnte Erstaunliches feststellen. Zunächst zur Methode: Die armen Viecher, Körpergewicht je etwas über drei Kilogramm, wurden für acht Stunden pro Tag (!) für zwölf Wochen (!!) auf engstem Raum (30 x 16 x 18 cm) eingepfercht, um ihre Hoden der Mobilfunkstrahlung auszusetzen. Dazu wurden handelsübliche Handys unter die Käfige geklebt.

 

Und da beginnt ein drittes Warnlämpchen zu leuchten, und es wird zunehmend alarmrot, denn: diese Handys waren jeweils auf den Standby-Modus geschaltet. Nun weiß jeder, der sich ein wenig mit Handys auskennt, dass sie im Standby-Modus so gut wie nie senden (schon allein deswegen, um den Akku zu schonen), sondern je nach Netz alle 30 Minuten oder nur alle 12 Stunden ein kurzes Signal zur Basisstation funken, um mitzuteilen, dass sie noch da bzw. wo sie gerade sind (sog. PLU = Periodical Location Update). Auch in Japan ist dies so.

 

Dramatische Effekte trotz zumeist inaktiver Handys

 

Die Exposition war also praktisch null – die Effekte hingegen dramatisch. So berichteten die Autoren in der ersten Publikation [3], dass die Spermienanzahl um über die Hälfte abnahm. In der zweiten Studie [2] fanden sich ähnlich dramatische Abnahmen der Fruktose-Werte in den Ejakulaten. Die dritte Studie [1] schließlich belegte, dass es mit der Potenz der „exponierten" Rammler nicht mehr gut bestellt war. Sie bissen außerdem die Weibchen rund fünfmal häufiger als ihre Kontrollkollegen. Frust, möchte man fast meinen.

 

Allen Daten gemein waren die Stärke der Effekte und deren rasiermesserscharfe Verläufe. Bei den Spermien tat sich in den ersten sieben Wochen überhaupt nichts, dann brach ihre Anzahl urplötzlich drastisch ein und blieb danach konstant. Genau das gleiche Muster wird über die Fruktose-Werte berichtet. Auch die beweglichen (motilen) Spermien erlitten das gleiche Schicksal, ihre Zahl stürzte in der zehnten Woche ab. Dieser Befund gefiel den Autoren offenbar so gut, dass sie dieselbe Abbildung in zwei Publikationen zeigten [2,3].

 

Enorme Effekte und identische Irrtumswahrscheinlichkeiten

 

In allen drei Publikationen waren außerdem Daten und Irrtumswahrscheinlichkeiten (p-Werte) in den Tabellen zum großen Teil identisch. Und dies trotz der Tatsache, dass (angeblich) drei unterschiedliche Studien durchgeführt wurden, da die Anzahlen der Tiere in den jeweils drei Gruppen (exponiert, scheinexponiert, Käfigkontrolle) laut Versuchsbeschreibungen unterschiedlich waren (6,6,6 bei [1]), (11,8,8 bei [2]) bzw. (8,8,8 bei [3]).

 

Die Publikation aus dem Jahr 2010 hatte meinen Kollegen Christian Bornkessel und mich veranlasst, einen kritischen Kommentar zu verfassen [6], da wir bereits in dieser Studie schwere Mängel und unplausible Effekte ausmachten. Das blieb allerdings ohne Folgen, die Herausgeber sahen keinen Anlass, die Arbeit zurückzuziehen. Die neuen Verdachtsmomente führten jetzt dazu, dass die Herausgeber den Autoren und den Institutionen auf den Zahn fühlten – mit überraschenden Ergebnissen. Zum einen wussten die japanischen Kollegen nichts von der Einreichung und Veröffentlichung der Arbeiten. Sie erklärten, nachdem sie von den Verdachtsmomenten erfuhren, mit den Arbeiten nicht mehr zu tun haben zu wollen und wollten ihre Namen von der Veröffentlichung entfernt sehen. Zum anderen gab es keine Laborbücher in dem japanischen Labor, es fanden sich also keine „Original"-Daten.

 

Das Ende vom Lied: Zurückziehung aller drei Publikationen

 

Die neuen Erkenntnisse haben die Situation nunmehr grundlegend geändert. Alle drei Publikationen wurden bzw. werden zurückgezogen.

 

Alexander Lerchl

 

Im Artikel genannte Quellen:

 

[1] Effects of exposure to a mobile phone on sexual behavior in adult male rabbit: an observational study. Salama N, Kishimoto T, Kanayama HO, Kagawa S. Int J Impot Res. 2010; 22:127-33.

 

[2] The mobile phone decreases fructose but not citrate in rabbit semen: a longitudinal study. Salama N, Kishimoto T, Kanayama HO, Kagawa S. Syst Biol Reprod Med. 2009; 55:181-7.

 

[3] Effects of exposure to a mobile phone on testicular function and structure in adult rabbit. Salama N, Kishimoto T, Kanayama HO. Int J Androl 2010; 33:88-94.

 

[4] http://pub2.db.tokushima-u.ac.jp/ERD/organization/201610/index-en.html

 

[5] http://www.alexmed.edu.eg/?q=node/180

 

[6] Letter to the Editor on 'Effects of exposure to a mobile phone on testicular function and structure in adult rabbit' by Salama et al. Lerchl A, Bornkessel C. Int J Androl. 2010; 33:95.



Letzte Änderungen: 26.03.2012
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