Editorial

Ein virtuoser Pilz

Mit Hilfe der Biotechnologie entwickelt der St. Gallener Forstpathologe Francis Schwarze Klangholz

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(17. Februar 2012) Der richtige Pilz am richtigen Ort kann Wunder bewirken. Penicillium roqueforti und Penicillium camemberti machen Käse und Salami interessanter, Serpula lacrymans verwandelt Häuser in Schwämme, und Physisporinus vitreus kitzelt aus einem Stück Holz einen schöneren Klang heraus. Eine Geige aus derart behandeltem Holz konnte sich in einem Blindtest sogar mit Großmeister Antonio Stradivaris Vorbildern messen.

 

Für Francis Schwarze von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen waren die Pilze anfangs der Feind. Der Brite hatte sich am College zum Baumpfleger ausbilden lassen, ihn interessierten vor allem die gefährlichen Stadtpilze. Gefährlich, weil sie Baumstämme zersetzen, die dann umstürzen, Leute erschlagen und Eigentum beschädigen.

Mit der Zeit jedoch fesselten die Pilze zunehmend Schwarzes Aufmerksamkeit. Nach seinem Studium der Pflanzen- und Pilztaxonomie an der Reading University in England wollte er es in seiner Dissertation an der Uni Freiburg genauer wissen und herausfinden, welche Kombinationen von Pilz- und Baumart wirklich problematisch sind: „Ich wusste aus praktischer Erfahrung, dass eine Pilzart an der einen Baumart gefährlich sein kann, an einer anderen aber nicht.“

Um nicht jeden infizierten Baum sofort fällen zu müssen – immerhin spenden sie uns Schatten wie auch Vögeln Nistplätze und steigern ganz allgemein das Wohlbefinden – wollte Schwarze den Schaden quantifizieren. Er setzte dafür unter anderem ein Diagnosegerät ein, welches die Schallgeschwindigkeit in einem Baum misst und so das Ausmaß des Zersetzungsprozesses aufzeigt. Eine niedrige Geschwindigkeit deutet auf vom Pilz verursachte Fäule hin. Es gibt aber Ausnahmen: „Schon bald stellte sich heraus, dass manche Pilzarten auch in massiv zersetztem Holz die Schallgeschwindigkeit nicht wesentlich reduzieren.“

Gezielte Zerstörung

Was eine schlechte Nachricht für die Gefahrendiagnose war, entpuppte sich schnell als neues Forschungsprojekt. „Zu der Zeit habe ich natürlich nicht an Geigen gedacht“, so Schwarze, heute Professor für Forstpathologie. Erst Jahre später begegnete er dem Geigenbauer und Physiker Martin Schleske. Von ihm erfuhr Schwarze, dass die Klangabstrahlung des Holzes – ein Hauptmerkmal der Qualität – vor allem vom Verhältnis der Schallgeschwindigkeit zur Dichte abhänge. Je höher die Schallgeschwindigkeit und je kleiner die Dichte, desto besser klinge das Holz. Die Geigenbauer sind also an leichtem, aber trotzdem stabilem Holz interessiert. Die normalerweise im Geigenbau eingesetzte nordische Fichte (Picea abies), die auch Stradivari verwendete, hat genau diese Eigenschaften.

Die Qualitätsanforderungen erinnerten Schwarze an seine durch die Schallgeschwindigkeit fehldiagnostizierten Bäume. Allerdings waren das Laubbäume – für gut klingende Geigen werden jedoch Decken aus Fichtenholz gebraucht. Nur der für den Klang weniger wichtige Boden wird aus Ahornholz gefertigt. Schwarze startete mit der Doktorandin Melanie Spycher ein Projekt, um einen geeigneten Pilz zu finden. Die Wahl fiel auf Physisporinus vitreus, ein Weißfäulepilz, der zuerst Lignin und Hemizellulose abbaut und später die Zellulose. Zudem zersetzt der Pilz die Zellwände von innen heraus, wodurch das Grundgerüst der Zellwände erhalten bleibt. Dem Pilz fehlt auch das Enzym, um Guaiacyl abzubauen, der Ligninbaustein, der in der Mittellamelle in großer Konzentration vorhanden ist.

Spycher untersuchte, wie die akustischen Eigenschaften von 3 mm dicken und 15 cm langen Platten durch den Pilzbefall verändert wurden. Das Resultat: Nach zwanzig Wochen Inkubation mit dem Pilz waren die Platten bis zu 15 Prozent leichter, wobei die Schallgeschwindigkeit nur etwa drei Prozent tiefer war. Die Biegesteifigkeit des Holzes wurde dabei kaum verändert (New Phytol 2008, 179:1095). Schwarze führt dies auf die Ausdünnung der Zellwand zurück. Das Holz bleibt ein intaktes, aber leichteres Gerüst. Neben der höheren Klangabstrahlung steigt auch der Dämpfungsfaktor – die hohen Töne sind im Verhältnis zu den tiefen leiser. Ein Vorteil, wie Geigenspieler wissen.

Stradivaris Geheimnis

Klangholz wird üblicherweise in höheren alpinen Lagen geschlagen, denn das Holz wächst dort langsamer, die Jahresringe sind schmaler, Früh- und Spätholz haben eine ähnliche Dicke. Dadurch wird das Holz ausgeglichener, was sich auf den Klang überträgt. Eine gängige Theorie für das Geheimnis Stradivaris ist, dass er just zu der Zeit lebte, als eine kleine Eiszeit (Maunderminimum zwischen 1645 und 1715) herrschte. Die Bäume wuchsen noch langsamer und gleichmäßiger. Schwarze fand heraus, dass der Pilz spezifisch die dicken Wände der Spätholzzellen angriff, wodurch er die Holzeigenschaften zu Stradivaris Zeiten nachahmt.

Geigenbauer Schleske sei von diesen Resultaten begeistert gewesen und habe prophezeit, dass man damit eine Geige bauen könne, die wie eine Stradivari klinge, erinnert sich Schwarze. Geigenbauer Michael Rohnheimer aus Baden in der Nähe von Zürich war bereit, diesen Versuch zu wagen, da Schleske selbst dafür keine Zeit hatte. Rohnheimer baute vier Geigen aus Holz vom gleichen Baum: zwei mit pilzbehandeltem und zwei aus unbehandeltem Holz. Ein Pilzholzsatz wurde sechs und der andere neun Monate in feucht gehaltenen Plastikkisten inkubiert.

Pilzgeige gewinnt

Das Resultat war eine Sensation. Zur Eröffnung der Osnabrücker Baumpflegetage 2009 spielte der britische Geigensolist und Stradivari-Besitzer Matthew Trusler in einem Blindversuch auf den insgesamt fünf Geigen je zwei Musikstücke hinter einem Vorhang. Von den rund 180 Zuhörern gefiel der Hälfte Rhonheimers Neun-Monate-Pilzgeige „Opus 58“ am besten. An zweiter Stelle kam Truslers Stradivari mit gerade Mal 39 Stimmen. Noch mehr Teilnehmer, 113, hielten Rhonheimers Opus 58 für die Stradivari, während nur 25 richtig tippten. Eine dreiköpfige Jury aus einem Konzertmeister und zwei Musikhochschullehrern teilten den Geschmack des Tagungspublikums (die DVD zum Versuch ist ab sofort im Handel erhältlich).

Auch der Laborjournal-Reporter, der nichts von Musik versteht, durfte sich zwei Aufnahmen anhören. Die Opus 58 und eine der unbehandelten Geigen. Die beiden unterschieden sich enorm. Eine klang schriller, während die andere einen vergleichsweise tieferen, etwas runderen Ton produzierte, der schöner war. Und tatsächlich, die zweite war die Pilzgeige.

Trusler tauschte seine millonenschwere Stradivari dennoch nicht gegen die Pilzgeige ein. Der Mythos Stradivari war schon früher in anderen Blindversuchen widerlegt worden. Erstaunlicher ist, dass selbst Rhonheimer nicht von der Pilzgeige begeistert ist: „Das Holz hatte keine ausgeglichene Struktur.“ In einem CT-Scan habe man gesehen, dass der Pilz in gewissen Bereichen überhaupt nicht gearbeitet und in anderen Hohlräume hinterlassen habe. Das Holz sei saugfähig gewesen und er habe mit einem speziellen Porenfüller dem Eindringen des Lacks ins Holz entgegenwirken müssen. Es sei schwierig gewesen, daraus noch eine Geige zu bauen. Nun, da die Geige älter werde, erhalte das Holz zudem Risse.

Er prophezeite der Geige keine lange Lebensdauer. Rhonheimer: „Es ist ein Verfahren, das man nicht weiterführen darf.“ Folglich verkauft er die Opus 58 auch nicht, obwohl er 300 Arbeitsstunden investiert und dafür schon ein Angebot von umgerechnet 40.000 Euro erhalten habe. Es zerstöre den traditionellen Geigenbau. Er habe bei dem Versuch mitgemacht, weil es ihn fasziniert habe. Jedoch sei das Holz ohnehin sekundär: „Das Holz macht zehn Prozent einer Geige.“


Schwarze lässt sich von der Skepsis des Geigenbauers nicht beirren: „Wir möchten jungen Solisten eine Chance geben.“ Das Verfahren zur Produktion von Geigenholz hat der Forstpathologe bereits patentieren lassen. In seiner Firma Mycoproducts GmbH (Firmenporträt folgt in Kürze in Laborjournal) entwickelt Schwarze nicht nur Klangholz für Geigen, sondern bietet bereits Verrottungshilfen für Särge sowie Pilzstämme zum Schutz von verletzten Bäumen vor schädlichen Pilzen an.

Biotech-Konzerte

Für das Geigenprojekt erhielt Schwarze vor kurzem eine Unterstützung von umgerechnet etwa 340.000 Euro von der Walter Fischli-Stiftung, die Talente in der Wissenschaft und Musik fördern möchte. Der Stiftungspräsident Walter Fischli ist selbst Biochemiker und war Mitgründer der Firma Actelion. Das Ziel des Dreijahresprojekts ist die Standardisierung des Prozesses. „Schlussendlich möchten wir Klangholz für zirka 50 Geigen herstellen“, so Schwarze.

Bis dahin muss er noch viele Widerstände überwinden: „Die Geigenbauer sind sehr konservativ.“ Obwohl Schwarze ihnen versicherte, dass der Pilz durch eine Ethylenoxid-Begasung komplett abgetötet werde, hätten diese immer das Gefühl, der Pilz zerstöre die Geige nach deren Fertigstellung weiter.

Während die Opus 58 also von Rhonheimer von der Außenwelt abgeschirmt wird, läuft das Getriebe der Empa St. Gallen auf Hochtouren. Mit Ultraschall, optischen Messverfahren und Psychoakustik wird Biotech vielleicht bald zu jedem gehobeneren Konzert gehören.


Florian Fisch
Bild: Francis Schwarze, Seidlgeigen

Dieser Text ist in Laborjournal 1-2/2012 erschienen.

 

 

 

Links:
Die Dissertation von Melanie Spycher mit ausführlichem Teil zur Geschichte und Akustik von Geigen
Geigenbauer Michael Rhonheimer
Ein Bericht über die Pilzgeige auf 3sat



Letzte Änderungen: 28.02.2012
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