Editorial

Wenn Fälscher Fehler machen

Zuerst waren es nur Daten in einer Dissertation, die nicht zueinander passten. Am Schluss steht fest, dass Rohdaten dupliziert und Ergebnisse systematisch manipuliert wurden, um sie an die Erwartungen anzupassen. Schlimmer noch, die Arbeitsweise eines ganzen Instituts der Berliner Charité wurde in Misskredit gebracht.

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Professor Lerchl ist schockiert. (Foto: Frank Thomas Koch)

(11. Juli 2011)  Richtiges Fälschen von Daten ist gar nicht so einfach. Oft fliegen die Fälschungen auf, weil beim Fälschen Fehler passieren. Bekannt ist zum Beispiel die unbewusste Präferenz für bestimmte Ziffern, die in Steuererklärungen routinemäßig überprüft werden und schon so manchen Steuersünder überführt haben. In der wissenschaftlichen Datenforensik finden sich eine Reihe weiterer Methoden, um Fälscher zu überführen, zum Beispiel Vergleiche von Abbildungen, um cut-and-paste Duplikationen von Gelbanden auf die Spur zu kommen. Oft reichen aber schon Tests auf Plausibilität. In dem hier geschilderten Fall hat ein solcher Test zunächst ein merkwürdiges Ergebnis geliefert und am Ende eine Lawine ausgelöst. Der Spiegel berichtet in seiner heutigen Ausgabe (Heft 28/2011). Wir auch.

 

Interessante Dissertations-Ergebnisse nie veröffentlicht

 

Angefangen hat es für Alexander Lerchl, Professor für Biologie an der Jacobs University in Bremen und Mitglied der Strahlenschutzkommission, im August letzten Jahres. Er las sich eine medizinische Dissertation aus dem Jahr 2006 durch und stieß auf merkwürdige Daten. Die Dissertation, angefertigt in einem ungewöhnlichen langen Zeitraum (2000–2006) am Institut für Laboratoriumsmedizin der Berliner Charité, drehte sich um die Auswirkungen von Mikrowellen auf die DNA-Integrität von humanen HL-60 Zellen. Die Ergebnisse wiesen auf massive Schäden hin, untersucht wurde mit dem COMET-Assay (siehe Lerchls Artikel-Serie „Komische Kometen").

 

Lerchl wunderte sich nicht nur über diese drastischen Effekte, sondern auch darüber, dass die Ergebnisse nie veröffentlicht wurden. Dass das Thema nach wie vor interessant ist, zeigte sich auch daran, dass die Dissertation knapp 5000-mal vom Server der Charité heruntergeladen wurde.

 

Daten nicht plausibel

 

Warum also keine Publikation? Kein Interesse? Traute jemand den Daten nicht? Lerchl begann, die Daten in der Dissertation einem Plausibilitätstest zu unterziehen, und er wurde bald fündig. Die Ergebnisse des Comet-Assays wurden mit vier Parametern angegeben, wobei einer sich eigentlich mathematisch aus zwei anderen ergeben sollte, jedenfalls war eine entsprechende Formel in der Dissertation angegeben. Lerchl prüfte das nach und fand systematische Abweichungen, die in den Tabellen aufgeführten Werte waren konsistent zu hoch; nicht dramatisch, aber immerhin betrug die Abweichung etwa 20%. Darauf im August 2010 hingewiesen, meinte der Doktorvater zunächst, ein Fehler der Auswertesoftware sei wohl verantwortlich, was sich aber schnell als nicht zutreffend herausstellte, die Software errechnete den einen Wert aus den beiden anderen mit einem Makro, da war nichts falsch.

 

Als nächstes wurde Lerchl als Erklärung für die Diskrepanz eine statistische Besonderheit bei der Errechnung der Werte angeboten. Lerchl verstand nur Bahnhof (dass er von Statistik eigentlich etwas versteht, wissen die Laborjournal-Leser) und fragte nach. Er erhielt eine ellenlange mathematische Herleitung, die Lerchl allerdings immer noch nicht verstand. Dafür waren aber endlich „Originaldaten" verfügbar, die der Biologe untersuchte.


Jetzt wird es gruselig...

 

Die „Originaldaten" hatten mit den Daten in der Dissertation wenig zu tun, zumindest auf den ersten Blick. Nach Korrelationsanalysen stellte sich heraus, dass die „Originaldaten" aller vier Parameter grob manipuliert worden waren: die Werte eines Parameters wurden durch 2, andere durch 3 und die übrigen durch 5 und 7 geteilt. Mit diesen Befunden konfrontiert erklärte der Doktorvater Rudolf Tauber, immerhin Prodekan für Forschung der Medizinischen Fakultät, ihm sei auf Nachfrage die folgende Begründung genannt worden: die „Kalibrierungen" seien durchgeführt worden, weil ein Teil der Untersuchungen zu einem frühen Zeitpunkt durchgeführt wurde, zu dem ein (später angeschafftes) Bildauswerteprogramm noch nicht zur Verfügung stand. Die zunächst erhaltenen, per Foto dokumentierten Befunde seien später nachgemessen und anhand von „Werten aus der Literatur" korrigiert bzw. normiert worden.


So einfach ist das. Passen Werte nicht, werden sie halt angepasst, und sei es an Literaturdaten. Man fragt sich, ob eine solche Vorgehensweise in dem Institut Standard ist. Unnötig zu erwähnen, dass von dieser abenteuerlichen Art der „Kalibrierung" nichts in der Dissertation stand. Die ursprünglich festgestellte Diskrepanz der Daten erklärte sich nunmehr auch ganz zwanglos. Die Medizinerin hatte den betreffenden Faktor „falsch" durch 5 geteilt. Wenn sie ihn „richtig" durch 6 geteilt hätte, wäre Lerchl nichts aufgefallen. Wie gesagt, Fälscher machen Fehler.

 

Es kommt noch schlimmer...


Es kam aber noch schlimmer. Endlich erhielt der Forscher auch die „Rohdaten" in Form von Excel-Dateien und Bildern der Comet-Assays. Jede Menge Daten. Nun schaute er sich aber nicht nur die Daten an, sondern warf zunächst einen Blick auf die Metadaten der Excel-Dateien. Dort finden sich viele interessante Details, zum Beispiel über den ursprünglichen Autor, wann die Datei zuletzt geändert wurde usw. Dabei zeigte sich zur großen Verblüffung Lerchls, dass als Autor und Ersteller der Excel-Datei nicht die Medizinerin, sondern ein Naturwissenschaftler genannt war, als Firma wurde das „Universitätsklinikum Freiburg" genannt.

 

Was hatte der denn bitteschön mit den Daten zu tun? Die Auflösung: dieser Wissenschaftler war früher an der Charité im Institut für Laboratoriumsmedizin tätig und wurde in der Danksagung der Dissertation „für die Anregungen, Ratschläge und konstruktive Kritik während der gesamten Dauer der Arbeit" erwähnt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!


Bei der Analyse der Bilder zeigten sich darüber hinaus zahlreiche Dubletten, also Bilder, die von identischen Comets aufgenommen, aber als eigenständige Rohdaten analysiert wurden. So etwas nennt man Datenfabrikation.

 

Auch das noch: Datenfabrikation


Mit der Nennung des Autors der Excel-Dateien erhielt die Angelegenheit allerdings noch eine brisante Note. Besagter Autor war seinerzeit in Berlin fleißig im Rahmen des von der EU mit Millionen geförderten REFLEX-Projektes tätig (siehe „Komische Kometen"). Auch in den Berliner Teilstudien wurden massive Effekte auf die DNA von HL-60 Zellen beschrieben und im Abschlussbericht sowie in zahlreichen Kongressbeiträgen erwähnt, als Autor wurde der nunmehr in Freiburg tätige Wissenschaftler öfters genannt.


Inzwischen wurde der Ombudsman der Charité mit der Prüfung der REFLEX-Daten aus Berlin beauftragt. Man darf gespannt sein, wie die Sache weiter geht. Wir werden an der Geschichte dran bleiben.


Stefan Steinlaus

 

Nachtrag der Redaktion (13.07.2011; 11:30 Uhr): Die Verantwortlichen an der Charité haben bereits seit Wochen Kenntnis von den Vorwürfen Lerchls rund um diese seltsame Dissertation. Erst unmittelbar nach dem Erscheinen von ausführlichen Presseberichten in Laborjournal Online (oben), Der Spiegel sowie - einen Tag später - der Süddeutschen Zeitung wurde (am 12.07.2011) die Dissertation vom Server der Berliner Charité genommen und kann somit nicht mehr heruntergeladen werden. Ob diese Koinzidenz der Ereignisse bloßer Zufall ist, überlassen wir der Spekulation unserer Leser.

 

Nachtrag der Redaktion (13.07.2011; 12:25 Uhr): Wir haben soeben mit Jörg-Wilhelm Oestmann, dem Vorsitzenden der Promotionskommission der Charité telefoniert. Er sagt, es bestünde kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Presseveröffentlichungen und der Entfernung der Dissertation vom Charité-Server.



Letzte Änderungen: 04.03.2013