Editorial

Keine RNAi mehr mit Roche

Roche steigt aus der RNAi-Technologie aus und gibt damit das Geschäft mit der RNA-Interferenz auf. Diese Nachricht, am Mittwoch als Teil der Basler Sparpläne bekannt gegeben, setzte die weltweite Pharmaszene gewaltig unter Schock.

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(19. November 2010) „Die Ankündigung, RNA-Interferenz als möglichen Therapieweg komplett aufzugeben, war eine echte Überraschung“, schrieb etwa Pharma-Beobachter Derek Lowe in seinem Blog In the Pipeline. „Das ist ein gewaltiges Misstrauensvotum gegen RNAi, die ja gerade in den letzten Jahren im Zentrum allergrößten Interesses stand.“

 

Das „Misstrauensvotum“ ist tatsächlich deutlich. „Roche steigt aus der RNAi-Technologie aus“, erklärte unmissverständlich Johannes Ritter, Kommunikationsleiter von Roche in Penzberg. „Alle Aktivitäten werden aufgegeben und eingestellt.“

 

Mit dieser Hiobsbotschaft hatte keiner gerechnet. Auch nicht vor dem Hintergrund, dass Roche schon vor einiger Zeit größere Umbauten zur Kostensenkung angekündigt hatte. Schließlich galt bis dahin die RNA-Interferenz als einer der hoffnungsvollsten Mechanismen auf dem Weg zu neuen und effizienten Therapien.

 

So hoffnungsvoll, dass Roche erst vor einigen Jahren dick in die RNAi-Technologie eingestiegen war. Im Juli 2007 zahlten die Basler etwa 331 Millionen Dollar an das Pionier-Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals (Cambridge, Massachusetts), um deren RNAi-Technologie zur Wirkstoffentwicklung nutzen zu dürfen. Und im Mai 2009 machte Roche nochmals 18,4 Millionen Dollar für die kanadische Firma Tekmira locker, die gezielt Nanopartikel entwickeln sollte, um potenziell therapeutische RNA-Moleküle tatsächlich zu ihrem Wirkort in den Zellen zu transportieren. Mehr Geld, das Roche bei bestimmten Erfolgen großzügig in Aussicht gestellt hatte, werden beide Firmen nun nicht mehr bekommen.

 

Zudem errichtete Roche seit 2007 gleich drei RNAi-Forschungszentren in Nutley (New Jersey), Madison (Wisconsin) sowie einer ehemaligen Spinnerei im bayerischen Kulmbach. Deren 60 Mitarbeiter droht jetzt, genauso wie den amerikanischen Kollegen, das Aus. „Für die Kollegen in Kulmbach bedeutet das, der Standort wird geschlossen“, ließ Ritter im Gespräch mit der Frankenpost keinen Zweifel. Zwar betonte er: „Es wurde hervorragende Arbeit gemacht und es sind auch Fortschritte erzielt worden.“ Trotzdem habe sich Roche aus strategischen Gründen für die Aufgabe dieses Bereichs entschieden. Ende Juni 2011 werde sich Roche aus Kulmbach zurückziehen, heißt es. Ob dann jemand anders die RNAi-Forschung in Kulmbach übernimmt, ist höchst zweifelhaft.

 

Zu den „strategischen Gründen“ diktierte Ritter der Frankenpost, dass das Unternehmen, trotz Rekordgewinnen in diesem Jahr, unter Kostendruck stehe und sich dem Markt anpassen müsse. Veränderungen im Gesundheitssystem und das immer teurere und kompliziertere Zulassungsverfahren von Medikamenten mache diese Anpassung nötig. Alle Unternehmensbereiche seien deshalb in dem Effizienzprogramm „Operation Excellence“ angeschaut worden, vor allem auch die Forschung. Dabei sei entschieden worden, welche Schwerpunkte in diesem Bereiche künftig gesetzt werden.

 

Dass Roche insgesamt 6% des weltweiten Personals abbauen wollte, war durchaus bekannt. Auch dass die Forschung davon betroffen sein würde, war erwartet worden. Wohl kaum jemand aber hatte nach all den Investionen damit gerechnet, dass Roche das vermeintlich so hoffnungsvolle RNAi-Geschäft derart abrupt in die Tonne treten würde.

 

Betroffen sind davon  neben Alnylam, Tekmira und den Roche-eigenen Leuten  insbesondere die vielen anderen kleinen RNAi-Firmen. Denen fällt ein wichtiger potenzieller „Groß-Sponsor“ weg. Und noch ist nicht raus, wie sich jetzt in Roches Sog die anderen Pharma-Giganten wie Merck oder Pfizer verhalten werden. Sehen sie es als besondere Marktchance, da ein mächtiger Konkurrent aus dem Ring getreten ist? Oder wird Roches Beispiel eher zum entscheidenden Schubs, den Ring gleichfalls zu verlassen?

 

Wie Derek Lowe in In the Pipeline schreibt: „Roche hat Probleme  aber die RNA-Interferenz hat mehr.“

 

Dies umso mehr, da über allem die Frage schwebt, welchen „Pferdefuß“ Roche an der RNAi-Technologie gefunden haben mag, um einen derart radikalen Schnitt zu vollziehen. Ist dieser „Pferdefuß“ tatsächlich nur markt- und firmenstrategischer Art? Oder haben Roches Forscher gar herausgefunden, dass sich in der RNAi-Technologie grundsätzliche wissenschaftliche Hürden verbergen, die eine potenzielle therapeutische Anwendung sehr unwahrscheinlich machen? In diesem Fall sollte Roche unbedingt etwas mitteilsamer werden.

 

Update vom 22. November 2010:

Roche-Konzernchef Severin Schwan sagte hierzu gestern in der Sonntags-Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ): „Wir haben nicht überall einfach gleich viel reduziert, sondern ganz gezielte Massnahmen getroffen. Sonst würden alle Projekte darunter leiden und insgesamt die Produktivität sinken. Konkret haben wir beschlossen, aus dem Bereich der RNA-Interferenz auszusteigen. Dabei handelt es sich um eine sehr frühe Technologie, wo noch viele Hürden zu überwinden sind. Wir werden aber externe Partnerschaften oder Spin-offs prüfen, um unser Know-how in diesem Bereich weiterzugeben und zu nutzen.“

 

Ralf Neumann

 

(Zu diesem Thema gibt es auch einen Beitrag in unserem Laborjournal Blog.)

 



Letzte Änderungen: 04.03.2013