Editorial

Sexmuffel, Pilze und Biosprit

Biotechniker der TU Wien bringen einem Pilzstamm sexuelle Vermehrung bei.

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(3. November 2010) Pilze werden seit langem in der Industrie für die verschiedensten Prozesse eingesetzt. Viele Pilz-bearbeitete Produkte haben bereits unbemerkt unseren Alltag erobert. So kann man davon ausgehen, dass jede „Stone washed“-Jeans von Pilzenzymen anverdaut wurde. Daneben werden die pilzspezifischen Enzyme zur Herstellung von Biotreibstoff eingesetzt, da sie Zellulose zu Glukose spalten, die dann von Hefen zu „Bio“-Ethanol fermentiert wird. Die Industrie hat aus diesem Grund ein lebhaftes Interesse, Pilze einzusetzen, die solche Zellulose-spaltenden Enzyme in möglichst hohen Raten produzieren.

 

Ein Stamm, der das von Natur aus macht, ist Trichoderma reesei, genauer das Isolat QM6a. Namensgeber für QM6a (Quarter Master 6a) war das amerikanische Militär, das unter QM6a in den Nachwehen des 2. Weltkrieges im Pazifik gelitten hatte – die ausgeprägte enzymatische Aktivität von T. reesei hatte zur Zersetzung von Zelten, Rucksäcken und Kleidung der Soldaten geführt. Die Amerikaner brachten von den Salomonen ein Wildtyp-Isolat mit, das sie im Labor untersuchten. Sie stellten fest, dass T. reesei große Mengen von Zellulose-abbauenden Enzymen ausscheidet.

Obwohl T. reesei bereits von Natur aus massenhaft Enzyme freisetzt, wird seit längerem versucht, durch genetische Manipulation die Effizienz der Enzyme zu verbessern. Die naheliegendste Methode hierfür wäre das gezielte Einbringen von Genen durch Klonierung. Dies wird aber dadurch erschwert, dass es an geeigneten Selektionsmarkern für Pilze mangelt. Die bisher besten Resultate hat man durch zufällige Mutationen, verursacht durch UV-Licht oder mutagene Chemikalien, erzielt.

Um die Herstellung von Biotreibstoffen aus Zellulose-haltigen Pflanzenabfällen wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu machen, muss die Enzymproduktion in T. reesei erheblich verbessert werden. Am einfachsten wäre es, schon vorhandene Mutationen in den industriell verwendeten Varianten von T. reesei QM6a auf natürliche Weise zu kombinieren, etwa durch Crossing-over während der Meisose bei der sexuellen Vermehrung. Doch gerade da macht T. reesei Probleme: QM6a macht weder Meiose noch vermehrt er sich sexuell! So wird der Vorteil einer definierten Linie und damit eines definierten Genpool zugleich zum Fluch, da sich das Genom durch asexuelle Fortpflanzung nicht verändert.

 

Ob Pilze sich sexuell oder asexuell vermehren, wird durch Umweltfaktoren wie Stickstoff- und Kohlenstoffgehalt sowie durch die Lichtverhältnisse bestimmt und durch die Transkriptionsfaktoren MAT1-1 und MAT1-2 umgesetzt. Diese Proteine steuern die Transkription aller für die geschlechtliche Ausreifung verantwortlichen Gene und legen damit das „Geschlecht“ des einzelnen Individuums (in der Fachterminologie als „Stamm“ bezeichnet) fest. Zu einer Paarung kann es nur kommen, wenn ein Pilzindividuum mit MAT1-1 auf ein Individuum mit MAT1-2 trifft. Verena Seidl-Seiboth und Kollegen haben herausgefunden, warum QM6a sich nicht sexuell vermehren kann und will: es gibt nur ein Geschlecht. Das haben die Biotechnologen nun geändert, indem sie QM6a mit Hypocrea jecorina verpaart haben, einem Pilz mit nahezu identischem Genom (PNAS 2009, 106(33):13909-14).

Wer nun annimmt, dass es von QM6a nach erfolgter Paarung ebenfalls MAT1-1- und MAT1-2-Individuen gibt, so dass eine Paarung auch innerhalb des Stammes zustande kommen kann, irrt. Die Wissenschaftler vermuten, dass T. reesei so lange ein asexuelles Dasein gefristet hat, dass andere Gene zur Ausbildung eines Fruchtkörpers deletiert sind und QM6a somit nur als männlicher Geschlechtspartner herhalten kann.

Nichtsdestotrotz besteht nun die Möglichkeit, in QM6a die Gene durch konventionelles "Kreuzen" von verschiedenen T. reesei-Stämmen zu rekombinieren und dadurch Varianten zu züchten, die an die einzelnen Produktionsbedingungen angepasst sind. Die Industrie zeigt besonders deshalb interessiert, da durch die verbesserte Enzymaktivität nun auch bislang schwer zu verdauendes pflanzliches Material als Rohstoff für Biotreibstoffe verwendet werden kann, und damit keine Konkurrenz im Verbrauch von pflanzlichen Nährstoffen besteht.

 

Für diese Entwicklung wurde Verena Seidl-Seiboth vor kurzem mit dem VWR-Forschungspreis der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT) geehrt.


Thorsten Lieke

Foto: iStockphoto/hsvrs



Letzte Änderungen: 04.03.2013