Editorial

"Der Krötenküsser" Lesenswerte Biografie, abstruse Phantasterei (Teil 1)

Die Lektüre eines Bestsellers aus dem Jahr 1971 offenbart, wie erschreckend wenig der Star-Autor Arthur Koestler damals von evolutionstheoretischen Zusammenhängen wusste – und wie sehr Koestler zudem der Esoterik anhing.

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Spannendes Buch mit wenig Substanz: Wie objektiv war

(18. Oktober 2010) Wer kennt heute noch den Krötenküsser? In Laborjournal 9/2010 (Seite 82 - Link zur Rezension) erinnerte der österreichische Wissenschaftsjournalist Klaus Taschwer an seinen damals weltbekannten österreichischen Landsmann Paul Kammerer:

 

„[...] Der Fall des exzentrischen Wiener Biologen [Paul Kammerer galt] als einer der größten Fälschungsskandale in der Biologie des 20. Jahrhunderts. Kammerer hatte behauptet, dass ihm bei Züchtungsexperimenten mit Salamandern, Geburtshelferkröten und Seescheiden Nachweise der Vererbung erworbener Eigenschaften gelungen wären – und mithin, dass Lamarck doch recht gehabt hatte und die Selektion nicht die einzige treibende Kraft der Evolution war.“

 

Hintergrund: Vor wenigen Monaten war – das Sachbuch? die Biografie? –  „Der Krötenküsser“ von einem Wiener Verlag neu aufgelegt worden (englischer Titel: „The Case of the Midwife Toad“; Czernin-Verlag, Mai 2010). Dieser Klassiker, verfasst von Arthur Koestler und erstmals erschienen 1971, beschreibt den „Fall des Biologen Paul Kammerer“. Dieser versuchte Zeit seines kurzen Lebens, anhand von Amphibien-Experimenten nachzuweisen, dass sich bestimmte erworbene Eigenschaften (berühmtestes Beispiel: die Brunftschwielen bei Geburtshelferkröten) weitervererben beziehungsweise verstärken. Von einem Kollegen der Fälschung bezichtigt, nahm sich Kammerer mit 46 Jahren das Leben.

 

Demnächst Neues zum mutmaßlichen Fälscher Kammerer?

 

Klaus Taschwer, im Hauptberuf Wissenschaftsredakteur beim österreichischen Wochenmagazin Der Standard,  hatte für die Neuveröffentlichung des „Krötenküssers“ das Nachwort und – als intimer Kenner der Materie – für Laborjournal die eingangs erwähnte Rezension verfasst.

 

Inzwischen hat Taschwer seine privaten Nachforschungen zum Fälschungsfall Kammerer intensiviert. Wie man hört, sei er auf Sensationelles gestoßen. Die Gerüchteküche kocht: Ist es wirklich möglich, dass nach beinahe 100 Jahren wesentliche Neuigkeiten über Kammerer und seinen angeblichen „Beweis der Vererbung erworbener Eigenschaften“ ans Tageslicht kommen? Wir sind g espannt.

 

Bereits heute ist jedenfalls offensichtlich, dass Kammerer-Biograf Koestler vor 40 Jahren teils haarsträubenden Unsinn verfasst hat.

 

Koestler: Esoterisch angehauchter Biograf

 

Arthur Koestler (er beging 1983 wie Kammerer 1926 Selbstmord), ist eine schillernde Gestalt. In den 1970ern war der frühere Kommunist laut Wikipedia „einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Schriftsteller englischer Sprache“ (kaum zu glauben; heute ist sein Name weithin unbekannt).

 

Die Lektüre des neu aufgelegten „Krötenküssers“ über den mutmaßlichen Fälscher Kammerer ist seltsam zwiespältig. Der erste Teil des Buchs wirkt – bis auf einige Ungereimtheiten – seriös, bestens recherchiert und objektiv. Darin schildert Koestler mittels einer Unzahl an Originalzitaten und -dokumenten sowie Interviews mit vielen Zeitgenossen und Nachkommen das Leben Kammerers bis zu dessen überraschendem Selbstmord am Theresienfelsen nahe Puchberg am Schneeberg, einem Erholungsgebiet in der Nähe von Wien, im Jahre 1926.

 

Lesegenuss trotz einiger Schwachpunkte

 

Es tauchen einige Schwachpunkte in Koestlers Indizienkette zur Entlastung Kammerers auf. So wird etwa immer wieder betont, dass Kammerers Mentor und Kronzeuge Hans Przibram (der Begründer der experimentellen Biologie in Österreich leitete die Biologische Versuchsanstalt im Vivarium in Wien, an der Kammerer seine sensationellen Experimente durchführte) unmöglich hätte die Unwahrheit sagen können (warum eigentlich?) und dass Przibram sich auch nicht hätte irren oder täuschen lassen können (warum eigentlich?).

 

Die biologische „Lichtgestalt“ Przibram ist ein ganz wesentlicher Pfeiler im „Fall Kammerer“ und in Koestlers Argumentation: Würde sich herausstellen, dass Przibram womöglich weniger honorabel war als bisher angenommen, würde das ganze Verteidigungsgerüst zugunsten des vermeintlichen Fälschers Kammerer implodieren. Daher war Koestler in seinem Buch merklich bemüht, den Kammerer-Mentor als Mann mit unbeflecktem Leumund darzustellen. Belastbare Gründe dafür, warum Przibram nicht hätte unehrlich oder schlicht naiv sein können, nennt er keine. Das war eben so – Punktum!

 

Doch davon abgesehen und auch wenn man so manch anderes von Koestler Gebotene auch nicht für bare Münze nehmen sollte (dazu in Teil 2 dieses Artikels mehr): „Der Krötenküsser“ ist, beinahe 40 Jahre nach Erstveröffentlichung, noch immer ein wahrer Lesegenuss.

 

Dieser gute Eindruck ändert sich jedoch abrupt, sobald man anfängt, den ebenfalls von Koestler verfassten Epilog und die Anhänge in „Der Krötenküsser“ zu lesen. Da stehen einem in kürzester Zeit die Haare zu Berge – zumindest, wenn man rudimentäre Kenntnisse der Naturwissenschaften besitzt.

 

(morgen dazu mehr in Teil 2 dieses Artikels!)

 

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.03.2013