Editorial

Karriere auf akademisch

Vor drei Jahren trat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Kraft. Es regelt die Anstellung von Wissenschaftlern auf befristeten Arbeitsverträgen während und nach einer Qualifizierungsphase von zwölf bis fünfzehn Jahren. Das Gesetz hat die Existenznöte der Nachwuchswissenschaftler zwar gemildert, von einer echten Lösung ihrer Beschäftigungsprobleme kann aber keine Rede sein.

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(21. April 2010) Die Hochschulrektorenkonferenz begrüßte im März 2009 bei einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag die familienpolitische Komponente des Gesetzes und die größere Rechtssicherheit bei der befristeten Anstellung von Wissenschaftlern mithilfe von Drittmitteln. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Bundeskonferenz der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen bemängelten dagegen, dass Hochschulen eine Vertragsverlängerung wegen Kinderbetreuungsaufgaben nur zögernd gewährten. Zudem, so die GEW, habe das Wissenschaftszeitvertragsgesetz das in allen anderen Branchen bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen unbefristeter und befristeter Beschäftigung für die Wissenschaft auf den Kopf gestellt: In der Wissenschaft sei heute nicht der Fristvertrag, sondern das Normalarbeitsverhältnis atypisch.

 

Wissenschaftler als Hasardeure

 

Reinhard Kreckel vom Institut für Hochschulforschung der Universität Halle-Wittenberg charakterisierte in der Anhörung vor dem Bundestag den Einsatz des einzelnen Forschers für eine wissenschaftliche Karriere als „Wagnis mit unsicherer Erfolgsaussicht”. Im internationalen Vergleich falle an deutschen Universitäten der große Anteil an befristet und weisungsgebunden tätigen Wissenschaftlern auf. Diese würden vielfach bis ins 5. Lebensjahrzehnt als wissenschaftlicher Nachwuchs betrachtet. Auf 15 Prozent Professoren kämen 85 Prozent unselbständig und meist befristet angestellte „Nachwuchswissenschaftler”. Die international üblichen Juniorpositionen für selbständig lehrende und forschende Dozenten fehlten fast vollständig, so Kreckel. Es mangele an Tenure-Track-Positionen, die nach Bewährung in eine Dauerstelle einmünden und an anderen unbefristeten Beschäftigungsmöglichkeiten. In der Tat beklagen Nachwuchswissenschaftler nach wie vor die fehlenden Karriereperspektiven und die geringe Planbarkeit ihrer Laufbahn.

 

Selektion unter hohen Verlusten

 

Auch Tim Hucho, Gründer des Forums Nachwuchswissenschaftler in Deutschland auf dem Portal ResearchGATE und Arbeitsgruppenleiter am Max Planck Institut für Molekulare Genetik in Berlin, hält die akademischen Karrierebedingungen für problematisch. Im Gegensatz zu anderen Berufen könne man nicht seinen Fähigkeiten und Ambitionen gemäß die Hierarchien durchschreiten und dort stehen bleiben, wo man am besten hinpasse, sondern sei zum Marsch zur Spitze gezwungen. Doch eine Professur oder eine andere Dauerstelle zu erhalten, sei schwierig. Ein Großteil der Gruppenleiter würde keine solche Stelle bekommen, so Hucho gegenüber Laborjournal. Ihre Expertise gehe dem Wissenschaftssystem verloren. Die Entscheidung darüber falle zu spät, d.h. erst wenn die Kandidaten Ende dreißig bis Anfang vierzig seien. Dann sei der Zug für Alternativen häufig abgefahren. „Einige arbeiten auf Drittmittelbasis weiter. Die Stellenunsicherheit und ein Gehalt, das kaum dem eines Lehrers entspricht, ist für so erfahrene Wissenschaftler unbefriedigend”, kommentierte Hucho. Er fordert mehr Kontinuität-schaffende Mittelbaustellen, klare außeruniversitäre Karriereoptionen für seine Altersklasse und eine Auslaufphase der Finanzierung für nichtberufene Gruppenleiter. Nur so hätten letztere eine Chance, die Phase der Gruppenleitung voll zu nutzen, ihrer Betreuungspflicht nachzukommen und nötigenfalls eine berufliche Alternative aufzubauen.

 

Über Drittmittel ließe sich die Zeit nach dem Ende der Qualifizierungsphase bis zum Antritt einer Professur überbrücken. Jedoch: Eine langfristige Finanzierung über Drittmittel, wie sie auf der Basis des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes prinzipiell möglich ist, ist für den Forscher mit einem hohen Aufwand verbunden. Er muß stetig Geld einwerben und ein sicherer langfristiger Planungsrahmen fehlt. Wissenschaftler kämen in ihrem Arbeitsleben wiederholt in Situationen, die von Unsicherheit und der Angst geprägt seien, keine weitere Stelle zu finden, sagte Kathrin Reichwald, Wissenschaftlerin am Fritz Lipmann Institut in Jena. Für Dauerfunktionen in der Forschung hält sie die permanente Wettbewerbssituation durch befristete Verträge für unangebracht.

 

Informationsmöglichkeiten sind vorhanden

 

Anfragen bei Forschungseinrichtungen und Universitäten zeigten, dass diese Nachwuchswissenschaftler bei der Karrieregestaltung und Stellensuche unterstützen, beispielsweise durch Anschubfinanzierungen, Informationen zur Drittmittelfinanzierung und Programme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Zum Einsatz kommen auch Personalgespräche, Seminare zu Berufsorientierung und Karriereplanung, Managementausbildungen und Hilfe bei der Existenzgründung. Die Stellensuche wird durch Jobportale, Firmenkontaktmessen sowie bestehende Netzwerke und Industriekontakte erleichtert. Der Postdoc Club des Fritz Lipmann Instituts in Jena veranstaltet darüber hinaus vom 6. bis 7. Mai die deutschlandweit erste Tagung, auf der speziell für junge Postdocs und Doktoranden im letzten Jahr Karrierechancen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft aufgezeigt werden.

 

Umdenken erforderlich

 

In Gesprächen mit Interessenvertretungen und Wissenschaftseinrichtungen klang an, dass der Übergang in eine Karriere außerhalb der Universität bei „älteren” Wissenschaftlern jenseits der 33 schwierig ist. Hier sind Maßnahmen zur Weiterfinanzierung, Einstellung und Vermittlung „älterer” Wissenschaftler und ein Umdenken der Arbeitgeber gefragt. Das in der Wissenschaft häufig anzutreffende Verächtlichmachen dieser Personengruppe durch die Etikettierung als „alt, tot, kaputt, Versager“ wird deren Know How und Leistungsfähigkeit in keiner Weise gerecht. Ihr akkumuliertes Wissen und Können gehen der Gesellschaft verloren.

 

Die Auswirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes werden derzeit von der Hochschul-Informations-System GmbH im Auftrag des BMBF evaluiert. Ein endgültiger Bericht erscheint voraussichtlich zur Jahreswende 2010/2011. Man kann jedoch aufgrund der von Laborjournal gesammelten Eindrücke schon jetzt sagen, dass die Mehrzahl der Nachwuchswissenschaftler noch immer keine sichere Existenzgrundlage hat. Lesen Sie dazu Stellungnahmen des VBIO e.V. und des Deutschen Hochschulverbandes in Laborjournal 5/2010.

 

Bettina Dupont

 



Letzte Änderungen: 04.03.2013