Editorial

Dürre Zweige am Baum der Evolution

Ein Kurzroman zum Darwinjahr

(13.01.2009) Die Biologin Anneli Brusenberg hatte nach dem Diplom als Röntgen-TA gearbeitet. Eine Doktorarbeit hatte sie nicht machen wollen: es widerstand ihr, über Jahre hinweg am gleichen Problem zu knabbern. Auch fiel es ihr schwer, Experimente zu ersinnen, deren Ergebnisse auf Sachverhalte schließen lassen. Und warum sollte sie für zwei Buchstaben jahrelang auf ein anständiges Gehalt verzichten?

Mann mit Status

Als Röntgen-TA hatte Anneli mit Gefahrenzulage, Nacht- und Bereitschaftsdiensten 2.000 Euro netto verdient. Glücklich war sie dennoch nicht gewesen. Ihr fehlte ein Mann. Der Ersehnte musste einen akademischem Titel tragen, mindestens Doktor, besser Professor. Zudem sollte er jung sein und gut aussehen. Daher liebte sie es, mit tief geöffneter Seidenbluse, lackierten Fingernägeln und goldenen Sandalen im Halbdunkel des Röntgenraumes mit Assistenzärzten zu charmieren. Doch keiner biss an, jedenfalls keiner, der der schönen, geist- und niveauvollen Frau würdig gewesen wäre, für die Anneli sich hielt. Woran mochte das liegen?

Vielleicht half es, den Status aufzuwerten. Dazu und der Veränderung wegen – Veränderung und Männersuche waren die Konstanten in Annelis Leben – entschloss sie sich, doch eine Doktorarbeit anzufangen. Weil alles von Gentherapie sprach, stellte sie sich bei Buchemann vor. Der galt damals als aufgehendes Gestirn der Gentherapeuten. Buchemanns langjähriger Doktorand, der Biologe Umberto, empfahl Anneli, sich zuerst mit Tierexperimenten vertraut zu machen. Er lerne dies im tierexperimentellen Labor.

Anneli nahm Urlaub und stieg in den Tierstall hinunter. Dort, zwischen Rattenschwänzen und Mäusekot, regierte die 34-jährige Diana Großgöschl. Ihre Mutter hatte ihr gepredigt, sie müsse eigenes Geld verdienen: "Mach Dich nicht von nem Mann abhängig! Wie stehst du da, wenn der dich sitzen lässt?" Auch hatte sie oft gesagt: "Studier was! Da verdienst Du mehr und kriegst nen Mann, der zu dir passt." Demgemäß hatte Diana den besten Teil ihrer reproduktiven Phase mit dem Studium der Tiermedizin verbracht und zeigte jetzt das selbstsichere Auftreten einer Geschäftsfrau. Fiel ihr eine Mausniere auf den Boden sagte sie: "Drauftreten, durch den Gang schlittern, dann histologisch verarbeiten." Die zwei Jahre jüngere Anneli wäre gern auch so gewesen.

Doch nicht alles fand Anneli großartig an Diana. So trug die Schwimmgürtel um die Hüften, an jedem Finger silberne Ringe und ihre Brüste waren klein. Dazu hatte Diana die Nägel silbermetallic lackiert und schien ihre Pullover aus der Lumpentonne zu ziehen. Diese Beobachtungen behielt Anneli für sich, sie gaben ihr aber das Gefühl, gleichwertig zu sein und damit die Kraft, sich mit Diana zu befreunden. Der gefiel Annelis Verehrung und sie ließ sich gerne zu ihr herab. "Du brauchst jetzt keine Freunde mehr, du hast ja mich", sagte sie. Denn es stellte sich heraus, dass beide das Verlangen trieb, einen Mann zu finden, der ihrer würdig war.

Umberto war dieser Mann nicht. Er sah so krank aus mit seinen schiefen Zähnen, den streuenden Augen in dem viereckigen käseblassen Kopf mit der viereckigen Brille davor. Und diese verbissene Miene, die steckenhaften Arme!

So setzten die drei im schweren, süßlichen Gestank des Tierstalls subcutan Tumore und vermaßen deren Wachstum. Es ging zu wie im Kloster, denn Umberto war schüchtern bis zur Blödheit und mied schlüpfrige Gespräche. Im Loretto Schloßcafe (dort konnte man kostenfrei parken) schüttelten Anneli und Diana manchmal den Kopf über ihn.

"Du, der Umberto ist tiefgläubig. Jeder zweite Satz ist: Du kannst auf Jesus vertrauen", sagte Anneli.

"Seine Mutter ist aus ihrer Hochhauswohnung gesprungen. Selbstmord. Aber sprich ihn nicht drauf an. Er hat darauf nen Hirntumor entwickelt. Den haben sie ihm nach stereotaktischer Fixierung mit ner Punktbestrahlung wegrasiert. Er meint, Jesus habe ihm geholfen", erklärte Diana.

Jesus schien damit sein Soll erfüllt zu haben, denn weiter tat er nichts für seinen Jünger, er schickte ihm weder Eingebungen noch Ergebnisse. "Stell dir vor, Buchemann hat zu Umberto gesagt 'Sie sind vollkommen ungeeignet für die Forschung'", entsetzte sich Anneli.

Auch Buchemann war für die Forschung nicht geeignet. Während Anneli noch Mäuse quälte, um für Buchemann forschen zu dürfen, wies dem eine Kommission Datenfälschung nach. Buchemanns Labor wurde aufgelöst und sein Doktorand Umberto hatte drei Jahre in den Sand gesetzt. Er begann eine neue Doktorarbeit in einer anderen Abteilung der Klinik. Anneli gab den Gedanken an eine Doktorarbeit auf und entwickelte wieder Röntgenfilme.

Diana dagegen hatte sich von Umbertos Eifer anstecken lassen. Besser promovieren als im Tierkeller versauern und den Medizinern die Experimente machen. Die nahmen sie ja nicht mal auf ihre Paper drauf! Zudem würden die Männer eine Frau Doktor Großgöschl präsentabler finden. Denn wie bei Anneli hatte auch bei Diana keiner angebissen. Dabei gaben sich die beiden Mühe. Am meisten bei der Auswahl.

Diana in der Ehrenkirchener Strauße: "Nee, der ist mir zu fett. Und schau dir das Auto an, das der fährt!"

Anneli im Loretto Schloßcafe: "Der ist doch nur Handwerker. Wozu hast du dann studiert?"

Anneli im Brasil: "Vergiss es. Der ist arbeitslos."

Hungerleider

Das Promovieren fing Diana geschickter an als Anneli. Sie erkannte, dass es doof sei, drei Jahre lang zehn Stunden täglich für einen Hungerlohn Wasser auf die Mühle eines Akademikers zu tragen. Sie hielt es für klüger, für eine Pharmafirma die Wirkung "natürlicher" Pflanzenextrakte auf Nierentumore von Mäusen zu prüfen. Die Firma zahlte dafür 1.500 Euro netto monatlich und es war ausgemacht, dass Diana mit den Ergebnissen in der Tumortherapie promovieren könne. Dianas Promovierungsstrategie war tatsächlich klug, denn mit zwei Stunden Arbeit täglich – bei Mäuseböckchen hatte Diana den Bogen raus – konnte sie nach zwei Jahren zwei Paper veröffentlichen. Sie musste sie nicht einmal schreiben, das besorgte ein von der Firma bezahlter Wissenschaftsschreiber.

In dieser Zeit erreichte die Freundschaft von Diana und Anneli eine Innigkeit, die nicht einmal der Begriff "beste Freundinnen" ausschöpft.

"Wenn ich ein Mann wäre, wären wir schon lange ein Paar", sagte Diana.

"Nein, wir sind eine Person. Du bist der Kopf und ich der Körper", antwortete Anneli.

Sie hatten entdeckt, dass Frau Großgöschl senior der Mutter Annelis glich. Beide Mütter waren Immobilienmaklerinnen, von beiden sagten die Konkurrenten: "Die zieht uns die Unterhose vom Hintern." Beide Mütter lebten alleine, die Brusenberg hatte eine, die Großgöschl zwei Töchter, und während Annelis Mutter an Taktlosigkeit litt ("Wissen Sie, meine Tochter hier ist Single."), litt die andere an Schlafstörungen und pflegte Diana vorzujammern, sie sterbe nächste Woche.

Von Dianas Mutter hatte Anneli erfahren, dass Diana keinen Joghurtbecher wegwerfen könne. In ihrer Wohnung müsse man über Berge leerer Eierkartons steigen. Anneli hatte das mit angenehmem Grusel vernommen: "Deswegen lädt die mich nie in ihre Wohnung ein!" Diese unerwartete Schwäche Dianas half Anneli, Dianas Publikationserfolg zu verschmerzen. Denn trotz der Innigkeit ihrer Beziehung: Unter dem Zuckerpuder der Freundschaft brodelte Rivalität.

"Unmöglich, wie die sich anzieht", dachte Anneli.

"Was für nen dicken Hintern die hat", dachte Diana.

"Was für nen dicken Hintern die hat", dachte Anneli.

Die Vorstellung, die andere würde als erste einen Mann finden, vertrieb ihnen den Schlaf.

Die Beziehung der beiden geriet aus dem Gleichgewicht, als Dianas Promotion scheiterte. Diana sah sich außerstande, die Ergebnisse zusammenzuschreiben, und hatte Angst vor dem Rigorosum. Annelis Vorschlag, einen Bekannten als Lohnschreiber zu engagieren, ersoff in dessen Weizenbieren.

Diana beschloss, ihr Leben zu ändern. Sie wurde Pharmareferentin. Zu diesem Entschluss hatte sie der goldmetallic-lackierte Dienstkombi bewogen, den sie privat nutzen durfte. Auch wurde sie fest angestellt und musste nicht mehr um die Verlängerung ihres Zeitvertrages zittern. "Jetzt kann ich endlich Kinder bekommen", sagte sie zu Anneli und war wieder obenauf. Um dem Schub zu geben, aß Diana nur noch einen Salat mit Putenstreifen pro Tag und es gelang ihr, in zwei Monaten 20 kg abzunehmen. Diana hielt so strikt Diät, dass ihr Mineralstoffwechsel ins Schleudern kam und die Kopfhaare ausfielen. Sie setzte die Diät ab, die Haare wuchsen nach, doch gelang es Diana, das neue Gewicht zu halten. Zudem besuchte Diana Kunsthochschulkurse und malte Rottweiler in Öl. An den Wochenenden leisteten ihr zwei italienische Straßenköter Gesellschaft, die sie importiert und von einem Tierpsychologen vom "Verlassenheitssyndrom" hatte heilen lassen – jedenfalls behauptete der das. Sonntags pflegte Diana im Wasserbad eine Dose Reis mit Hühnchen aufzuwärmen und gerecht unter sich und die Hunde aufzuteilen.

Anneli wurde ihr lästig. Weder die Kunsthochschule noch ihre neuen Gefährten sprach Diana mit ihr ab, obwohl die beiden früher stundenlang über alles diskutiert hatten, selbst über die Zwei- oder Dreilagigkeit des Toilettenpapiers (Umweltverträglichkeit versus Hautreizung und Reinigungseffizienz). Anneli fiel das auf: "Aha, die schlanke Diana rechnet sich jetzt Chancen bei den Männern aus. Ich bin nicht mehr wichtig." Dabei hatte Anneli, um mit Diana auf gleicher Ebene zu stehen, den TA-Job hingeworfen und war ebenfalls Pharmareferentin geworden.

Dianas Fehler nahmen plötzlich Gewicht an. "Diese politisch korrekten Scheuklappen, das gefühlige Moralisieren. Die nimmt doch jeden Schwachsinn ernst, wenn er mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen wird und anderer Leute Geld kostet. 'Wir müssen unsere Schuld an den Entwicklungsländern abtragen ...' Ogottogott. Die hat auch Müll im Hirnstübchen", dachte Anneli.

Auch ihren Beruf bewerteten die beiden unterschiedlich. Anneli hasste das Klinkenputzen bei den Ärzten. "Dauernd die Nette schauspielern! Am liebsten würd ich den geldgeilen Seggeln den Marsch blasen." Aber wo gab es einen gutbezahlten Job mit Dienstwagen für sechs Stunden Arbeit? Also machte Anneli Dienst nach Vorschrift. Diana dagegen fühlte sich als Beraterin, die den Ärzten in ihrer schweren Aufgabe beistand. Sie redete wie ihr Regionalleiter auf einem Motivierungsseminar.

Diana redete nicht nur wie ihr Leiter, sie redete auch von ihm. Er sei 45 Jahre alt, fahre einen schwarzen 7er BMW und besitze ein Eigenheim in Bad Tölz. Schließlich gestand sie Anneli, mit unsicherem Triumph, dass sie mit dem Mann ins Bett gehe. "Ich bin jetzt 39 und fühle die Uhr ticken." Doch stellte sie Anneli den Geliebten nie vor.

"Die ist eifersüchtig", vermutete Anneli und eifersüchtig war auch sie, denn mit Diana schien es aufwärts zu gehen.

Rosa Eigenheim

Anneli wohnte noch bei ihrer Mutter, Diana hatte sich auf Pump ein Fertighaus gekauft – innen Rigipsplatten, außen Rigipsplatten und dazwischen Steinwolle. In den Zimmern stapelten sich leere Joghurtbecher und Reis-mit-Hühnchen-Dosen, doch die Außenwände waren grün und die Fensterläden rosa und alles Feng-Shui. Dianas Haus passte in das Kaiserstühler Dorf wie ein getarntes Marsmännchen aufs Schützenfest, und es ähnelte fatal Dianas Verhältnis mit ihrem Chef.Der nahm Antidepressiva und Herztabletten und fürchtete sich vor Hunden. Seine Wohnung durfte Diana nur mit Puschen betreten und die Schranktüren hatte sie mit Läppchen anzufassen. Für eine Frau zu sorgen fiel ihm nicht ein, denn wie Dianas Mutter meinte er: "Die soll selber Geld verdienen!" Folgerichtig betrachtete er Sex als Unterhaltung und Frauen als Sportgeräte, die er auswechselte, sobald etwas quietschte.

Als er Diana besuchte, um mit ihr Sport zu treiben, hatte sie die leeren Konservendosen zu einem Turm gestapelt, aus den Joghurtbechern eine Palme gesteckt und die Köter in ihr Zimmer eingeschlossen. Die Palme quietschte und die Köter jaulten und der Regionalleiter flüchtete und trieb künftig mit einer anderen Sport. Diana wechselte die Firma.

Eine Woche später ließ der Postmann seinen gelben Kombi oberhalb von Dianas Haus stehen, stieg aus und begann Werbesendungen zu verteilen. Er hatte die Handbremse schlecht angezogen und keinen Gang eingelegt. Die anderthalb Tonnen beschleunigten den steilen Lößhang hinunter und knirschten schließlich in den Rigips des Marshäuschens. Eine Stützstrebe brachte den Wagen zum Stehen und verschob sich. Das Häuschen war einsturzgefährdet.

Einsturzgefährdet war auch Dianas Weltsicht, denn der Postmann kam aus dem Land des Becherkaffees, aus Togo, und war so schwarz wie dieser. Der Postmann hatte daher ein fast so guter Mensch zu sein wie Diana selber. Sie rettete sich in: "Der kann nichts dafür. In Togo gibt es keine steilen Berge. Die Post hätte den besser ausbilden müssen."

Auf jeden Fall wollte sie von der Post eine Entschädigung für die prekäre Statik. Die wiederum wollte nur die Rigipsplatten ersetzen. Es kam zum Prozess. Diana gewann, doch wegen der Aufregung hatte sie zwei – unverschuldete – Unfälle mit dem Firmenwagen und zog sich ein Schleudertrauma und einen Bandscheibenvorfall zu. Daraufhin wurde ihr gekündigt.

Die Bank forderte dennoch die Raten für die Hypothek. Diana musste das Haus verkaufen, und dies mit Verlust, weil grünrosa Fertighäuschen gerade nicht in Mode waren. Sie nahm es gelassen: "In der Nähe wurden bei Bohrungen menschliche Knochen gefunden", teilte sie Anneli mit. "Ich glaube, die Knochen haben negative Schwingungen. Wahrscheinlich werde ich deshalb mit den Haus nicht warm."

Auch Umberto hatte wenig Glück. Im Journalclub sagte sein Doktorvater vor versammelter Mannschaft: "Umberto ist wissenschaftlich nicht begabt. Also verzichten wir auf seine Meinung."

Diana verkauft jetzt Hundefutter an Supermärkte. Umberto erhielt gnadenhalber den Doktortitel, schult jetzt aber auf eigene Kosten zum Sozialarbeiter in einer Behindertenwerkstatt um. Anneli tingelt immer noch von Arzt zu Arzt. Alle drei blieben, von biologisch folgenlosen Abenteuern Annelis abgesehen, ohne Partner und Kinder. Und dabei wird es wohl auch bleiben: Diana, Anneli und Umberto sind im großen Spiel der Evolution rausgeflogen.

"Dabei habe ich mich doch so angestrengt", klagt die immer noch schlanke Diana.

"Dabei sehe ich doch gut aus", jammert Anneli.

"Warum will Gott das?", fragt sich Umberto in dunklen Stunden.

Ja, warum?



Laura Amandt



Letzte Änderungen: 15.04.2009