Editorial

Inspektionsbericht inkriminiert Innsbrucker Inkontinenzforscher

Der Innsbrucker Urologe Hannes Strasser wendete eine nicht-etablierte Therapie zur Behandlung von Harninkontinenz bei mehreren hundert Patienten an. Zusammen mit seinem Chef Georg Bartsch veröffentlichte Strasser dazu eine Studie in Lancet, an der so einiges nicht zu stimmen scheint.

(13.08.2008) Die Innsbrucker Urologen Hannes Strasser und Georg Bartsch stehen im Mittelpunkt eines Skandals. Bartsch ist Vorstand der Urologischen Klinik Innsbruck, Strasser sein Oberarzt und zudem Mitinhaber der Firma Innovacell. Strasser hat eine Methode zur Behandlung der Harninkontinenz entwickelt. Dem Patienten werden Myoblasten aus dem Oberarm entnommen, von Innovacell in vitro vermehrt und dann ultraschallgezielt in die Harnröhre injiziert. 2007 veröffentlichten Strasser und Bartsch die Ergebnisse in World Journal of Urology (25:351-9) und Lancet (369:2179-86). Inhalt des Lancet-Papers: 63 Frauen (rekrutiert zwischen 2002 und 2004) hätten an einer Phase III-Studie teilgenommen, davon seien 42 mit Myoblasten behandelt worden und 21 mit Kollagen (Kontrolle). Nach einem Jahr seien 38 der 42 mit Myoblasten behandelten Frauen kontinent gewesen, aus der Kontrollgruppe dagegen nur zwei. Strasser war Erst- und korrespondierender Autor, Bartsch Letztautor des Zehn-Autoren-Papers.

Insgesamt wurden an der Innsbrucker Urologischen Klinik in Strassers Arbeitsbereich "Inkontinenz und Urodynamik" etwa 400 Patienten nach Strassers Methode behandelt, denn, so Strasser, 2004 sei die Überlegenheit der neuen Methode klar gewesen und man habe mit Einzelbehandlungen begonnen.

Eine solche Einzelbehandlung wurde ihm zum Verhängnis. Ein erfolglos mit der Methode behandelter Patient klagte aufs Schmerzensgeld und in der Folge kamen Unregelmäßigkeiten ans Licht. So schien die Innsbrucker Ethikkommission nur ein Votum zu einer Phase I-Studie mit 21 Patienten abgegeben zu haben und nicht zu einer Phase III-Studie mit 63 Patienten. Es schien aber weder eine Phase I- noch eine Phase II-Studie durchgeführt worden zu sein. Die außerhalb der Studien behandelten Patienten hatte man anscheinend nicht ausreichend darüber aufgeklärt, dass es sich bei der Zelltherapie um eine experimentelle Methode handele. Schließlich schienen wichtige Unterlagen der Studien zu fehlen.

Strasser behauptete dagegen, er habe Anträge für eine Phase I- und Phase III-Studie bei der Ethikkommission eingereicht. Diese habe erklärt, dass sie für die Genehmigung nicht zuständig sei. Daraufhin habe er die Anträge an den Arzneimittelbeirat geschickt und Mitte 2002 habe das Bundesministerium die Studien genehmigt. Was die Klage des Patienten betreffe, so sei die Zelltherapie damals als "magistrale Einzelverschreibung" gesetzlich zulässig gewesen. Es habe sich auch nicht mehr um eine experimentelle Therapie gehandelt (Strasser in Medical Tribune 17/2008).

Die Ethikkommission will den Phase III-Antrag nicht bekommen haben, so wenig wie der Arzneimittelbeirat. Strasser erklärt dies mit Befangenheit zweier Ethikkommissionsmitgliedern. Das österreichische Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend gab daraufhin der Österreichischen Agentur für Gesundheit den Auftrag, die Angelegenheit zu überprüfen. Am 1. Februar 2008 nahm eine vierköpfige Inspektion die Arbeit auf; sie gab am 5. August einen 117-seitigen Bericht ab. Darin wird festgestellt:

1. Die Phase III-Studie, auf der das Lancet-Paper beruht, wurde ohne das nötige Ethikkommissionsvotum durch geführt. Die Studie wurde auch ohne das Arzneimittelbeirats-Gutachten und daher ohne behördliche Begutachtung und Genehmigung durchgeführt. Zudem wurde der Ärztlichen Direktion keine Meldung erstattet.

2. Es lag keine nach Arzneimittelgesetz vorgeschriebene Patientenversicherung vor. Auch wurden die Patienten nicht über das Vorliegen einer Patientenversicherung informiert und die im Protokoll beschriebenen Nachkontrolluntersuchungen sowie die Studiendauer und Anzahl der Studienteilnehmer wurden den Patienten nicht mitgeteilt.

3. "Die Durchführung der Studie weicht von den im Protokoll beschriebenen Vorgehensweisen bei der Randomisierung und Entnahmestelle der Muskelbiopsie ab (Oberarm statt Oberschenkel). Ein diesbezügliches Amendment zum Protokoll liegt nicht vor."

4. "Die Inspektoren äußern den nachfolgend zu begründenden Verdacht, die Studie "Phase III" sei möglicherweise als "virtuelle Studie" nachträglich über die mit Myoblasten therapierten Patienten "gestülpt" worden. Die vorgelegten Studiendokumente weisen zahlreiche Authentizitätsprobleme auf: Die zuletzt vorgelegte Versicherungsbestätigung ist laut Aussage von Zürich Kosmos [der Versicherungsgesellschaft, Hubert Rehm] gefälscht. Die vorgelegte Versicherungsbestätigung der Tiroler Landeskrankenkasse (TILAK) ist laut TILAK unplausibel und kann gemäß den Prozessen der TILAK in dieser Form nicht ausgestellt worden sein. Das Einreichformular bei der Ethikkommission weist eine Nummer auf, die gemäß den damals etablierten Prozessen nicht aufscheinen konnte ...

Zusammengefaßt: Strassers Phase III-Studie sei vollständig illegal, Dokumente seien gefälscht worden und Strasser sei nicht gemäß Good Clinical Practice vorgegangen. Insgesamt fand die Inspektion 38 Mängel, davon 12 mit der höchsten Wertung "critical" und 20 mit der Wertung "major". Strasser konnte nur wenige entkräften, in der Regel wies die Inspektion seine Erklärungen ab. Die Inspektion fordert, dass Strasser seine Daten in Lancet und World Journal of Urology richtig stelle.

Leider konnte Herr Strasser nicht befragt werden. Er ist bis zum 4. Oktober in Urlaub.

Georg Bartsch wird in dem Bericht nicht belastet. Er sei an der Studie nicht beteiligt gewesen, heißt es. Bartsch würdigte die Arbeit der Inspektion folgendermaßen: Er sei im November 2007 erstmals vom Rektor auf die Probleme mit der Lancet-Studie angesprochen worden. In den folgenden Monaten seien die Meinungen um ihn herum so gewesen, dass er selbst nicht mehr gewusst habe, was passiert sei. Erst am 24. April 2008 bei der Endbesprechung durch die Protokollabgleichung sei ihm klar gewesen, was passiert sei. Dafür bedanke er sich bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit.

Das berührt seltsam. Georg Bartsch will an der Phase III-Studie nicht beteiligt gewesen sein. Das Protokoll dazu sei ausschließlich von Strasser erstellt worden. Er, Bartsch, habe es nie gesehen, versichert er im Inspektionsbericht. Gegenüber Laborjournal sagte er zudem: "Inkontinenz ist nicht mein Arbeitsgebiet. Ich habe keinen der 400 Patienten diagnostiziert, aufgeklärt oder behandelt, das hat allein Strasser gemacht. Ich habe auch zum Manuskript nichts beigetragen oder geschrieben."

Wie konnte Bartsch dann als Letztautor des Lancet-Papers fungieren?

Georg Bartsch sagte dazu im Laborjournal-Telefoninterview: "Ich habe die Arbeit Strassers als Chef wohlwollend gesehen. Meine Autorenschaften sind Ehrenautorenschaften. Am 31. Juli 2008 bin ich von meinen Autorenschaften der Lancet- und World Journal of Urology-Paper zurückgetreten.

Was hat Georg Bartsch von Strassers Vorgehen gewusst?

Sein Name steht als Prüfer auf dem Antrag zur Phase I-Studie und auf dem Antrag zur Phase III-Studie. Es ist allerdings unklar, ob Bartsch den Phase III-Antrag unterschrieben hat: Bartsch bestreitet es. Das Originaldokument fehlt, es gibt nur eine Kopie der Titelseite. Auch auf dem Protokoll der Phase III-Studie steht Bartschs Name – wiederum ohne Unterschrift. Strasser könnte also Bartschs Name ohne dessen Wissen hingetippt haben.

Bartsch war für die – nie durchgeführte – Phase I-Studie Ansprechpartner der Ethikkommission. So war ein Brief vom 4.4.2001, in dem die Ethikkommission sich "als für die Genehmigung der beiden Projekte [die Phase I-Studie und eine hier nicht interessierende Studie mit dendritischen Zellen, Hubert Rehm]: nicht zuständig" erklärte, an Bartsch gerichtet. Mit "nicht zuständig" war nicht gemeint, dass die Ethikkommission kein Votum abzugeben hätte, sondern dass die Genehmigung nach einem Votum einer anderen Behörde obliege. Von der Phase III-Studie gibt es allerdings keinen Schriftverkehr zwischen Ethikkommission und Bartsch.

Wahrscheinlich hat Georg Bartsch nichts von Strassers Treiben geahnt. Bartsch flöge permanent in die USA und sei nur selten in der Klinik, hieß es aus unterrichteten Kreisen. Auf jeden Fall scheinen Bartsch und Strasser wenig über die Phase III-Studie geredet zu haben. So musste Bartsch, als ehemaliges Mitglied der Ethikkommission, um die Bedeutung der "nicht zuständig"-Formulierung im Brief der Ethikkommission vom 4.4.2001 wissen. Er muss Strasser diesen Brief auch gegeben habe, doch scheint er dabei seinen Adlatus nicht über dessen Sinn aufgeklärt zu haben. Denn Strasser entnahm dem Brief, dass die Ethikkommission sich nicht für die Phase III-Studie interessiere. Auch hat Georg Bartsch offensichtlich nicht nachgeprüft, ob die Phase III-Studie korrekt eingereicht worden war. Von deren Existenz musste er wissen, denn Strasser wird ihn, dem Letztautor des Lancet-Papers, ja wohl das Manuskript zum Lesen vorgelegt haben.

Man hat den Eindruck, dass Georg Bartsch seinen Laden nicht so richtig im Griff hatte. Übrigens: Ehrenautorschaften gelten, zumindest gemäß DFG-Regularien, als wissenschaftliches Fehlverhalten.

Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 13.08.2008