Editorial

Der Postdoc in Deutschland: schlecht gelaunt und vom Aussterben bedroht

Das Hochschulmagazin duz sieht die Lage deutscher Postdocs so rosig wie lange nicht mehr. Doch flüchten diese massenhaft ins Ausland oder in die Industrie. Liegt hier nur ein Kommunikationsproblem vor?

(30.5.2008) Das Hochschulmagazin duz berichtet in seiner Februarausgabe (2008, S. 9-11), dass nach EU-Berechnungen in diesem Jahr bis zu 70000 Forscher fehlen. Falls diese Rechnungen stimmen, müssten promovierte Forscher (Postdocs) auf dem Arbeitsmarkt begehrt sein. In Deutschland ist dies nicht der Fall. Duz schreibt, die Nachwuchswissenschaftler seien zu schlecht über Fördermöglichkeiten und Karrierechancen informiert und deshalb schlecht gelaunt. Nachdem der DER SPIEGEL den duz-Artikel aufgegriffen hatte, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Um dem angeblichen Informationsdefizit abzuhelfen, wird die Bundesregierung bis 2010 eine halbe Million Euro in die Entwicklung des Informationsportals "Kommunikations- und Informationssystem Wissenschaftlicher Nachwuchs" (KISSWIN, www.kisswin.de) investieren. Ab Oktober 2008 soll dieses Portal über Karrierewege und Fördermöglichkeiten informieren.

Allerdings sind Informationen über Stipendien bereits jetzt über das Internet erhältlich: durch Beratungsstellen von Hochschulen, durch KOWI für EU-Stipendien oder direkt durch Förderorganisationen wie beispielsweise die DFG, den DAAD, die Alexander von Humboldt und die Volkswagen-Stiftung. Antragsteller müssen sich jedoch immer noch durch einen Wust von Unterlagen quälen, deren Inhalt in seiner juristisch-bürokratischen Verklausulierung nicht in jedem Detail für Wissenschaftler verständlich ist. Einen besseren Überblick bietet das (leider veraltete und zudem vergriffene) Buch "Geld zum Forschen" und die Reihe "Career strategies for young European scientists" auf www.labtimes.org. Wie hoch der Bedarf an Fördergeldern für Postdocs und der Drang nach wissenschaftlicher Unabhängigkeit sind, zeigen die über 9000 Anträge auf ERC Starting Independent Researcher Grants im letzten Jahr. Duz rät allerdings wegen der niedrigen Erfolgsquote von 3% von einem solchen Antrag ab.

Der Megafrust des Großteils der Nachwuchswissenschaftler ist berechtigt. Selbst die Bundesregierung hat dies bemerkt und veröffentlichte in diesem Jahr den "Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses" (BuWiN, unter www.kisswin.de als PDF erhältlich). Dieser bringt es auf stattliche 286 Seiten und stellt Fördermöglichkeiten im Detail vor. Der Bericht bietet auch einen interessanten Vergleich der Hochschulsysteme in Deutschland, den USA, England und Frankreich. Deutschland schneidet schlecht ab.

Der BuWiN kritisiert zu recht, dass deutsche Nachwuchswissenschaftler zulange darüber im Unklaren gelassen würden, ob sie sich auf eine Karriere in Wissenschaft und Forschung dauerhaft einlassen könnten. Der Bericht fordert mehr Transparenz und Planbarkeit der wissenschaftlichen Laufbahn, z.B. durch eine Ausweitung des Tenure Track. Er rät auch dazu, mehr Juniorprofessuren zu schaffen, die Karriereperspektiven für Wissenschaftler mit Schwerpunkt Lehre zu verbessern und die Nachwuchsgruppen zu verstärken. Zusätzlich wird die Unterstützung von Wissenschaftlern in Übergangsphasen gefordert, wenn weitere Qualifizierung nicht unmittelbar möglich ist. Ein weiterer vernünftiger Vorschlag ist die stärkere Anerkennung von wissenschaftlichen Leistungen als Alternative zur Habilitation. Letzteres dürfte für Rückkehrer aus dem Ausland von besonderem Interesse sein. Um die Beschäftigungsmöglichkeiten für Wissenschaftler flexibler zu gestalten, wird auch eine Durchlässigkeit der Berufsfelder Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung angeregt. Doch wie soll das beim reglementierten deutschen Ausbildungssystem aussehen? Es kann jedenfalls nicht dabei bleiben, dass hochspezialisierte, leistungsfähige Wissenschaftler nach Jahren der Qualifikation mit dem Etikett "alt und gescheitert" versehen und zum beruflichen Neuanfang gezwungen werden. Auch befristete Jobs als wissenschaftlicher Mitarbeiter sind aufgrund des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes keine langfristige Lösung.

Der Wissenschaftsrat riet bereits 2006, sich spätestens nach der Promotion für einen Berufsweg außerhalb der Universität zu entscheiden, da ein späterer Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt selten erfolgreich sei. Im Gegensatz dazu wird im BuWiN eine Tätigkeit als Postdoc als Qualifikation betrachtet, auch wenn nicht mit einem Verbleib an der Hochschule gerechnet werde. Zu was qualifiziert eine solche Postdocphase - zum Bezug von Sozialhilfe? Auch internationale Postdoc Erfahrung wird in Deutschland bisher selten honoriert. Der BuWiN behauptet zwar, dass Auslandserfahrungen für Nachwuchswissenschaftler in wissenschaftlicher und persönlicher Hinsicht eine Bereicherung darstellten. Die weiterführenden Stellen besetzen hierzulande jedoch häufig Leute, die nie im Ausland waren und sich stattdessen in den Instituten Anwartschaften und Loyalitäten ersessen haben. Nicht immer können sie überdurchschnittliche Publikationen aufweisen. Dem deutschen Postdoc, der sich aus dem Ausland zurückbewirbt, wird zugeflüstert, er solle bleiben, wo er sei - selbst wenn er dort als Ausländer zugunsten der Einheimischen beruflich ausgenutzt und abgewürgt wird. An den im Ausland erworbenen fachlichen Fähigkeiten, Sprachkenntnissen und "interkultureller Kompetenz" besteht bei Arbeitgebern in Deutschland nur sehr bedingt Interesse.

Dennoch sollen laut duz die Karrierechancen für Postdocs so gut sein wie lange nicht. Das Ende von Begräbnisstimmung, ständiger Zukunftsangst und leerem Konto? Bis zum Jahr 2010 sollen rund 4300 Professorenstellen neu besetzt und 10 000 zusätzliche Stellen für Wissenschaftler geschaffen werden. Ähnliche Gerüchte vernahm man allerdings schon Mitte der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts, ohne dass sie je eingetroffen wären. In den kommenden fünf Jahren sollen außerdem 200 zusätzliche Professuren für Wissenschaftlerinnen eingerichtet werden, um die Chancengleichheit in der Wissenschaft zu fördern. Das Verhältnis von Professuren zu Habilitationen lag jedoch nach Angaben des BuWiN zwischen 2003 und 2005 bei 1:11, das Durchschnittsalter bei der Habilitation ist 40,5 Jahre. Im internationalen Vergleich gibt es in Deutschland zu wenige unbefristete Stellen für Wissenschaftler, auch unterhalb der Professur. Also her mit Mittelbaustellen! Ohne sie, bleibt Forschen in Deutschland ein Drahtseilakt, der mit Absturz enden kann.



Bettina Dupont



Quellen: duz, DER SPIEGEL



Letzte Änderungen: 04.08.2008