Editorial

Decken Tischkickerspieler Wissenschaftsbetrug auf?

"Süßigkeitenverzehr senkt die Tischkickerleistung", behauptet der Rottweiler Ernährungsmediziner Bernfried Schuller. Trotz umfangreicher Versuchsreihen konnte ein Team unabhängiger Redakteure dieses Ergebnis nicht nachvollziehen. Ist Schuller ein Betrüger?

(01.04.2008) Ein erhöhter Blutzuckerspiegel fördert die Konzentration? – das ist eine Binsenweisheit. Dass aber nach dem Verzehr von Süßwaren die Reaktionsgeschwindigkeit abnimmt, ist neu. Diese Erkenntnis verkündet das Journal of Nutrition, Ecotrophology and Wellness in seiner aktuellen Ausgabe (JNEW 2008 Feb 29, 2:89).

Die Autoren um den Rottweiler Ernährungsmediziner Bernfried Schuller von der Süddeutschen Ökotrophologischen Akademie führten mit 259 Probanden eine Studie durch, in der diese ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten in Abhängigkeit von verschiedenen Blutzuckerwerten unter Beweis stellten. Die Wissenschaftler testeten die Probanden zunächst in nüchternem Zustand. Anschließend bekamen sie verschiedene Süßwaren vorgesetzt, aus denen sie eine Sorte auswählten. Eine Gruppe aß bis zur Sättigung, eine zweite erhielt eine Portion von jeweils 35 Gramm. Die dritte Gruppe bekam gar nichts.

Zwanzig, vierzig und sechzig Minuten nach Verzehr der Süßigkeiten wurde der Blutzuckerspiegel gemessen und die Aufgaben wiederholt. Dazu zählten kognitive Tests zu Wortfindung, Vervollständigung von Zahlenreihen sowie räumliche Orientierung. Die Reaktionsfähigkeit und motorische Geschicklichkeit wurde mit Hilfe eines Tischkickerautomaten getestet. Der Proband spielte dazu gegen eine Mechanik, die sich dem Spielniveau des Gegners anpasste. Sensoren maßen Reaktionszeiten und Ballgeschwindigkeit; ein Rechner analysierte die Spieldynamik.

Wie erwartet hatte der Blutzuckerspiegel einen deutlichen Einfluss auf alle Tests. Im nüchternen Probanden lag er bei 60 bis 70 mg/dl; nach Süßwarenverzehr stieg er auf Werte von bis zu 135 mg/dl an.

Bei den kognitiven Tests erzielten alle 259 Probanden die besten Ergebnisse bei einem hohen Blutzuckerspiegel. Mit knurrendem Magen wurden nur durchschnittlich 62 Prozent der Bestleistung erreicht. Besonders drastisch machten sich ein niedriger Blutzuckerspiegel bei den Wortfindungstests bemerkbar. Im Schnitt konnten nur 35 Prozent der Bestleistung erreicht werden. Weniger blutzuckerabhängig waren dagegen die räumlichen Aufgaben. Sie wurden hungrig zu 74 Prozent richtig gelöst. Nach Süßwarengenuss waren es 81 Prozent.

Überraschend dagegen die Ergebnisse beim Tischfussball: Nüchtern spielt es sich am Besten. Nach dem Verzehr der Süßigkeiten ging mit dem Anstieg des Blutzuckers die Leistung proportional zur verzehrten Süßwarenmenge zurück. Die Reaktionszeiten verdreifachten sich (nüchtern 0,3 s auf 1 s). Dagegen rollte der Ball um 43 Prozent langsamer. Rollte er vormals mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 19,4 m/s, so erreichte er anschließend nur 11,1 m/s. Nicht veröffentlicht wurden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Leistungsfähigkeit nach Blutzuckerspiegel.

"Satt macht träge" könnte die Schlussfolgerung lauten. Warum aber eine Lücke zwischen den Ergebnissen der kognitiven Tests und des Tischfussballs klafft, konnte nicht geklärt werden. Süßes Geheimnis bleiben auch die Leistungsunterschiede nach Süßigkeitensorte. Wer in Schullers Versuchsreihe zu Joghurtrosinen gegriffen hatte, erzielte bessere Werte in allen Tests als etwa die Fruchtgumminascher oder Müsliriegel-Esser. Butterkekse brachten insgesamt mäßige Leistungssteigerungen. Vermutlich ist es eben nicht nur der Blutzuckerspiegel, der unsere Leistung bestimmt.

Der Praxistest zeigt: Schullers Ergebnisse sind nicht reproduzierbar

Die investigativ arbeitende Laborjournal-Redaktion machte den Praxistest. Dazu hatte sie einen Versuchsraum mit einem Tischkicker ausgestattet und drei Redakteure sowie eine Praktikantin zu Probanden erklärt. Vor der Mittagspause waren die Ballgeschwindigkeiten subjektiv gemessen am geringsten. Zuvor hatten alle vier Probanden eine deutliche verzögerte Schreibgeschwindigkeit beklagt, die auf eine verlängerte Wortfindungszeit zurück ging. Nach diesen ersten Leistungserhebungen wurden zwei Redakteure mit Süßigkeiten verköstigt, eine Redakteurin mit Käsebrötchen. Die Praktikantin durfte beim Essen nur zuschauen – sie war die nüchterne Kontrolle. Bei den Süßigkeiten hatte sich der eine Redakteur für Erdbeerkekse entschieden, der andere für Joghurtrosinen.

Die Leistung am Schreibtisch erhöhte sich bei allen satten Probanden von vormals durchschnittlich 1 Zeile/Minute (etwa 90 Anschläge/Minute) auf 5 Zeilen/min, während die hungrige Kollegin eine Leistungsminderung auf einen Wert von 0,5 Z/min zeigte.

Am Tischkicker konnten die Ergebnisse von Bernfried Schullers Arbeitsgruppe nicht bestätigt werden. So musste jeder der Probanden gegen jeden zum Spiel antreten. Die hungrige Praktikantin verlor alle drei Spiele (1:10, 2:10, 0:10). Weder in Angriff noch Verteidigung konnte sie mit dem Spieltempo mithalten. Unter den satten Redakteuren stellte sich schnell die Überlegenheit der Käsebrötchen-Esserin heraus (10:0, 10:9, 10:7). Eine mittlere Leistungsklasse bildeten die Süßigkeiten-Nascher. Dabei musste sich der Joghurt-Rosinen-Esser gegen den Erdbeerkeks-Verzehrer mit 6:10 geschlagen geben. Insgesamt war die (gefühlte) Spielgeschwindigkeit hoch, die hohe Schusskraft der Kicker-Dummies führte gar zu Materialschäden am Ball.

Bernfried Schullers Ergebnisse überzeugen nicht: Im Tischkicker-Test wurden gegenteilige Ergebnisse erzielt. Auch die Rolle von Joghurtrosinen muss überprüft werden.



Bygritt Herzig



Foto Tischkicker: iStockphoto/Innershadows

Montage: LW




Letzte Änderungen: 04.08.2008