Editorial

System-Parasitismus

(19.04.2024) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Viele Zitate ohne Leistung sammeln, ist für manchen Forscher keine wirkliche Herausforderung.
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„Wie kann ich dieses System am besten für mich nutzen“, hatte Professor Birnsen, Leiter des Humangenetischen Instituts einer großen deutschen Universität, damals gedacht. Schon früh hatte er geahnt, dass das Zitatezählen einmal wichtig werden würde für Ruhm, Macht und Einwerben von Forschungsgeldern. Nur hatte Birnsen damals ein Problem: Die Gutachter ließen seine Ergebnisse allenfalls in mittelmäßigen Journals erscheinen. „Also muss ich’s über Masse machen“, dachte er weiter. „Viele kleine Steinchen machen irgendwann auch einen Berg.“

Und er fing an, – um es platt zu sagen – jeden Furz zu publizieren. Vorzugsweise in den beiden Journals, in deren Editorial Boards er damals schon saß. Doch auch dies schien nicht zu genügen. Der Fürze entfleuchten weiterhin zu wenige, und zu leise waren sie noch obendrein.

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Mit Grinsen und Glück

„Also mach ich’s zudem noch nach Art der Parasiten“, beschloss Birnsen. Und zeichnete seither jedes Paper, dass auch nur in die Nähe seines Schreibtischs kam. Zum Glück hatte er damals schon etwas Macht in der Fakultät. Und die nutzte er. Wie etwa, als er mal von guten Resultaten aus der Biochemie im Bau gegenüber hörte: Er schlenderte kurz mal rüber, ließ sich ein Gel zeigen, machte mit bedeutungsschwerer Miene ein paar fadenscheinige Vorschläge – und grinste die Juniorprofessorin schließlich mit seinem typischen „Jetzt-musst-Du-mich-aber-schon-mit-drauf-nehmen“-Lächeln an.

Auf diese und ähnliche Weise sammelte Birnsen dann doch eine ganz erkleckliche Zahl an Zitierungen. Richtig Glück hatte er dann aber mit einem seiner eigenen Assistenten. Bekam dieser doch von seinem Klinik-Spezi Proben einer Familie geliefert, in der sich auffällig viele "Early-Onset-Parkinson“-Fälle häuften – und fand darin glatt eine eklatante Mutation in einem bis dahin unverdächtigen Gen.

Nun, den Artikel seines Assis mitzuzeichnen, war natürlich leicht. Das Paper kam in Nature Genetics – und da gerade weltweit viele Neurogenetik oder Parkinson machen, hagelte es Zitierungen. Obwohl das Ganze eher an Lottoglück bei einem Routine-Patientenscreen erinnerte, statt an originelle Forscherleistung.

Nach vorne gearbeitet

Birnsen war’s egal, er konnte sich nun zurücklehnen und beruhigt auf den nächsten Zitationsvergleich der Humangenetiker in einer verbreiteten Laborzeitschrift warten. Als der schließlich kam, rangierte er unter den ersten Fünf. Weit vor Kollegen, die nur unterschreiben, wozu sie auch selbst Gewichtiges beitragen. Oder deren brillante Paper nur deswegen vergleichsweise schlapp zitiert werden, da nur wenige deren anspruchsvolle Themen richtig verstehen – in welchem Falle die Masse potenziell Zitierender leider von vorneherein sehr überschaubar bleibt.

Ralf Neumann

(Illustr.: Adobe Firefly)

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden.)

 

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Letzte Änderungen: 18.04.2024