Editorial

Kassel an der Charité?

Die Berliner Charité erweitert die etablierte "Schulmedizin" um Naturheilverfahren und Homöopathie. Stefan Willich, Leiter des Instituts für Sozialmedizin, will die Komplementärmedizin weiter ausbauen. Eine Professur der Carstens-Stiftung soll dabei die Leitung übernehmen.

(22.03.2007) Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung hat der Charité eine Stiftungsprofessur auf fünf Jahre bewilligt. Insgesamt stellt die Stiftung eine Million Euro zur Verfügung, die zur Besoldung eines W2-Professors und zweier wissenschaftlicher Mitarbeiter verwendet werden soll. Der W2-Professor soll "neue Impulse für die Spitzenforschung in den Bereichen Naturheilverfahren, Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin geben".

Die Stelle wird am Institut für Sozialmedizin eingerichtet. Deren Leiter ist Stefan Willich. Er ließ verlautbaren: "Unser Ziel ist der weitere Ausbau des Forschungszweiges zur Komplementärmedizin. Die Professur der Carstens-Stiftung soll dabei die Leitung übernehmen und die künftigen Aktivitäten koordinieren und konsolidieren."

Offensichtlich verfolgt die Carstens-Stiftung die gleiche Strategie, die die Anthroposophen in Kassel erfolgreich angewandt haben: Über Stiftungsprofessuren okkulte Theorien mit akademischer Seriosität anzustreichen. Das ist einigermaßen seltsam. Die Homöopathie hat in den zweihundert Jahren ihres Bestehens nie einen Nachweis ihrer Wirksamkeit erbracht: Dabei gab es über hundert Versuche. Zudem wirken im Lichte heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse die theoretischen Grundlagen der Homöopathie derart abstrus, dass Nachweisversuche keine Berechtigung haben. Offenheit für Außenseitermethoden ist gut und schön, aber einer, der heute noch versucht, einen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie zu erbringen, erinnert an einen, der zum hundertsten Male versucht, mit dem bloßen Arm einen Apfel auf den Mond zu werfen. Das ist keine Offenheit, das ist Verbohrtheit oder Schlimmeres.

Wozu also eine Stiftungsprofessur für Unsinn? Zum Verständnis ein Kommentar von Veronica Carstens: "Von Anfang an hat die Stiftung das Ziel der Integration von Naturheilverfahren in die Hochschulen verfolgt. Mit der Professur an der Charité sind wir diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. In der Kombination von konventioneller Medizin mit Naturheilkunde und Homöopathie sehe ich die Zukunft." Danach ging es der Carstens-Stiftung nie um eine wissenschaftliche Überprüfung der Heilsversprechen okkulter Methoden, sondern von Anfang an um ihre Integration in die Hochschulen und die "konventionelle" Medizin. Ein guter Teil der 40.000 Mitglieder des an die Carstens-Stiftung assoziierten Vereins "Natur und Medizin" dürfte an dieser Integration schon aus finanziellen Gründen interessiert sein: Eine Integration gibt der homöopathischen Quacksalberei einen seriösen Anstrich und man gewinnt noch mehr Patienten, kann noch mehr Homöopathika verkaufen und verdient noch mehr Geld: Nicht schlappe Millionen, sondern fette Milliarden. Nach Wikipedia liegt der Anteil homöopathischer "Arzneien" am Umsatz humaner Arzneimittel nur bei 1,2 Prozent. Mit der Verwandlung von geschütteltem Wasser in Gold sind noch riesige Vermögen zu machen.

Der Fairness halber erwähne ich, dass die 1982 gegründete Carstens-Stiftung in ihren Anfangszeiten auch Arbeiten förderte und publizierte, deren Ergebnisse dem von Frau Carstens formulierten Ziel nicht dienlich waren. So zahlte sie von 1993-1997 150.000 Euro für eine Untersuchung von Gunda Herberth und Ulrich Pison "Homöopathische Arzneimittel in zellbiologischen Systemen". In definierten zellbiologischen Systemen sollten Dosis-Wirkungs-Untersuchungen für ausgewählte, dynamisiert zubereitete Homöopathika unter Einbeziehung sogenannter Hochpotenzen durchgeführt werden. Die Autoren kamen zu folgendem Schluss: "Als Resümee unserer Untersuchungen können wir für Homöopathica im Hochpotenzbereich keine nachvollziehbare naturwissenschaftlich begründete Wirkungsweise anbieten."

Treibende Kraft für die Einrichtung der Stiftungsprofessur war neben der Carstens-Stiftung der Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Stefan Willich. Er ist Kardiologe und an Forschung wohl nur am Rande interessiert. Das schließe ich aus der Tatsache, dass er 1995 einen "Master of Business Administration" (MBA) machte und damit in die Pharmaindustrie oder Unternehmensberatung wollte. Noch während des MBA-Studiums habe er einen Ruf an das Institut für Sozialmedizin erhalten und dort eine Zwitterstellung zwischen Medizin und Management inne. Willich arbeitet seit 2003 eng mit dem anthroposophischen Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie in Bad Krozingen zusammen. Mit dessen Leiter Helmut Kiene und dem überzeugten Anthroposophen Renatus Ziegler hat Willich mindestens acht Artikel veröffentlicht. Titel der jüngsten: "Anthroposophic therapy for chronic depression: a four year prospective cohort study." Er kommt darin zu folgendem Schluss: In outpatients with chronic depression, anthroposophic therapies were followed by longterm clinical improvement. Although the pre-post design of the present study does not allow for conclusions about comparative effectiveness, study findings suggest that the anthroposophic approach, with its recourse to non-verbal and artistic exercising therapies can be useful for patients motivated for such therapies.

Mit anderen Worten: Adäquate Kontrollen fehlen und daher ist angesichts der großen und bekannten Anfälligkeit von Depressionspatienten für Placebo-Effekte die Studie wertlos. Hauptsache man hat darüber geschrieben und die Anthroposophie ins Gespräch gebracht. Die Anthroposophen könnten Willich und der Carstens-Stiftung ihre bewährte Kasseler Strategie nahe gelegt haben. Aber das ist natürlich reine Spekulation.

Der Dekan der Charité Martin Paul erklärte gegenüber Laborjournal, dass die Stiftungsprofessur von der Fakultät besetzt werde, und zwar nach wissenschaftlichen Standards. Fände man keinen geeigneten Kandidaten gäbe es auch keine Stiftungsprofessur. Die Professur werde offen ausgeschrieben. In der Berufungskommission habe Martin Paul den Vorsitz, Stefan Willich sei Kommissionsmitglied. Die Carstens-Stiftung habe nur beratende Stimme.

Hoffentlich kommt die Kommission zu einem Ergebnis, dessen sich Behring und Koch nicht schämen müssen!

Siegfried Bär



Letzte Änderungen: 10.04.2007