Editorial

Gentherapie: Technischer K.O. für Morbus Parkinson?

Nach großen Erwartungen und mehreren Todesfällen geriet die anfangs hochgejubelte Gentherapie schwer in Verruf. Experimente einer US-Firma an Parkinson-Patienten wecken neue Hoffnungen - auch wenn eine unabhängige Kontrolle der Ergebnisse bisher aussteht.

(23.10.2006) Im September 1999 starb der 18-jährige, an einer Leberkrankheit leidende Amerikaner Jesse Gelsinger an heftigen Nebenwirkungen der an ihm angewandten Gentherapie. Die zuständige US-Behörde stoppte daraufhin vorübergehend alle derartigen Versuche. Auch in Frankreich wurden 2005 gentherapeutische Experimente mit Kindern gestoppt, nachdem drei von ihnen an Blutkrebs erkrankten und eines von ihnen starb. Auf der letzte Woche zu Ende gegangenen Jahrestagung der US-amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (Society for Neuroscience) in Atlanta berichteten Wissenschaftler über Parkinsonkranke, bei denen die Injektion gentechnisch veränderter Viren ins Gehirn zu einer deutlichen Besserung ihres Leidens geführt habe.

Auf einer Skala, die den Schweregrad der Bewegungsstörungen misst, verbesserten sich alle zwölf freiwilligen Teilnehmer der Studie binnen eines Jahres nach dem Eingriff um mindestens 25 Prozent. Bei vier Probanden besserten sich die Bewegungsstörungen um mindestens 37 Prozent und bei fünf der Patienten sogar zwischen 40 und 65 Prozent. Entsprechend sei auch die Lebensqualität aller Studienteilnehmer gestiegen, sagte Matthew During, Studienleiter und Mitbegründer der Firma Neurologix, die die Studie finanziert hat.

Der Eingriff, bei dem ein haarfeiner Katheter tief in das Gehirn eingeführt wird, habe zu keinerlei Nebenwirkungen geführt und alle Patienten seien binnen zwei Tagen nach der Operation aus dem Krankenhaus entlassen worden, so During. Die Versuchsteilnehmer, deren Leiden zuvor als "mittelschwer" eingestuft worden war, waren alle seit mindestens fünf Jahren von der Parkinson-Krankheit betroffen gewesen. Das Standardmedikament L-Dopa war bei ihnen kaum noch wirksam gewesen oder es hatte zunehmend Nebenwirkungen hervorgerufen, als die Kranken einwilligten, an dem Experiment teilzunehmen.

Drei komma fünf Milliarden Viren ins Gehirn gespritzt

Dem Gentherapie-Experiment mit Parkinsonkranken, über das jetzt in Atlanta berichtet wurde, waren mehrjährige Versuche mit Ratten und Rhesusaffen vorangegangen. Gegen Ende des Jahres 2003 hatte es Michael Kaplitt vom Weill Cornell Medical College in New York dann gewagt, etwa 3,5 Milliarden gentechnisch veränderte Viren in das Gehirn des ersten Patienten zu spritzen.

Die von Kaplitt genutzten, so genannten Adeno-assoziierten Viren (AAV) waren speziell für diese Aufgabe konstruiert worden. Sie tragen in ihrem Inneren die Erbinformation für ein Enzym, das an der Produktion des Botenstoffes GABA beteiligt ist. GABA wiederum wirkt wie ein Bremssignal auf Nervenzellen. AAV gelten als sicher, weil sie keine Krankheiten hervorrufen können und sie werden derzeit auch als Gentherapie-Vehikel für andere Hirnerkrankungen erprobt.

Als Injektionsort wählten die Forscher den so genannten Nucleus subthalamicus, eine Ansammlung von Nervenzellenkernen tief im Inneren des Gehirns, die Bewegungsimpulse hemmt und deren Beschädigung das Zittern und die plötzlich einsetzende Steifheit bei der Parkinson-Krankheit auslöst. Ziel der Virusinjektion war es, an dieser kritischen Schaltstelle mehr des beruhigenden Botenstoffes GABA zu produzieren und damit die Überaktivität der Nervenzellen zu hemmen. Dies ist offenbar gelungen, wie Aufnahmen belegen, die den Stoffwechsel im Gehirn der Patienten sichtbar machen.

Um die Wirksamkeit der Methode beurteilen zu können, waren die Viren jeweils nur auf einer Seite des Gehirns injiziert worden. Auf dieser Seite nahm die Überaktivität der Nervenzellen deutlich ab, während die unbehandelte Seite sich weiter verschlechterte.

Jubel wäre verfrüht

Allerdings warnte Studienleiter During vor verfrühtem Jubel. Frühere Experimente haben nämlich gezeigt, dass bereits die Erwartungshaltung der Patienten zu einer Linderung des Leidens führen kann. Um ganz sicher zu sein, dass die gemessene Verbesserung der Bewegungsfähigkeit nicht auf solch einem "Placeboeffekt" beruht, wolle man eine größere Studie durchführen, bei der einige der Patienten zwar operiert werden, aber zum Vergleich keine gentechnisch veränderten Viren erhalten.

Sollten die in Atlanta vorgetragenen Ergebnisse sich in weiteren Studien bestätigen, wäre die Gentherapie ähnlich wirksam wie die Tiefhirnstimulation. Bei dieser relativ neuen Methode für Patienten im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung werden haarfeinen Elektroden im Nucleus subthalamicus implantiert, die von einer Art "Hirnschrittmacher" unter dem Schlüsselbein gespeist werden und die mit winzigen Stromstößen die überaktiven Nervenzellen dämpfen. Erst vor wenigen Wochen hatten Wissenschaftler um Professor Günther Deuschl von der Neurologischen Klinik der Universität Kiel dazu eine Studie im renommierten "New England Journal of Medicine" veröffentlicht (Band 355, S. 896). Während eine Vergleichgruppe unbehandelter Patienten sich während eines halben Jahres leicht verschlechtert hatte, waren die Bewegungsstörungen der Patienten mit dem Hirnschrittmacher um durchschnittlich 40 Prozent verringert und ihre Lebensqualität war um 20 Prozent gestiegen. Dieser Fortschritt wurde jedoch mit relativ schweren Nebenwirkungen bei jedem achten Patienten erkauft und ein Patient war nach der Operation an einer Hirnblutung verstorben.

Michael Simm





Letzte Änderungen: 25.10.2006