Editorial

Wie der Vater, so der Sohn

1959 schaute der zwölfjährige Roger Kornberg in Stockholm zu, wie sein Vater Arthur den Medizin-Nobelpreis entgegennahm. Im Dezember bekommt er selbst denjenigen für Chemie.

(04.10.2006) Als Gewinner des diesjährigen Medizin-Nobelpreises wählte die Stockholmer Jury die beiden US-Amerikaner Andrew Fire und Craig Mello. Sie entschlüsselten, wie kleine doppelsträngige RNA-Moleküle in einem Vorgang namens RNA-Interferenz gezielt mRNAs eliminieren, bevor sie zur Translation gelangen (siehe hier). Zwei Tage später war der Chemie-Nobelpreis dran -- und der setzt nun gerade mal einen Schritt vorher an: nämlich der Transkription selbst.

Roger D. Kornberg von der Stanford University in Kalifornien ist der alleinige Preisträger. "Kornberg? Da war doch was", mögen jetzt einige denken. Stimmt, da war was. Die "Kornberg-Polymerase" zum Beispiel. Die jedoch identifizierte seinerzeit Rogers Vater Arthur als Schlüsselenzym der DNA-Replikation und bekam 1959 den Medizin-Nobelpreis für seine "Studien, wie die genetische Information von einem DNA-Molekül auf ein anderes übertragen wird."

Die Replikation war damals also das Thema von Kornberg senior. Kornberg junior dagegen widmete sich hernach dem anderen Ablese- und Syntheseprozess, der am DNA-Strang stattfindet -- der Transkription. Als Roger Kornberg Mitte der Siebziger Jahre einstieg, war die Transkription in Bakterien prinzipiell bereits gut verstanden: Repressoren und Aktivatoren steuern jeweils direkt die Bindung der RNA-Polymerase an die nackte DNA. Die eukaryotische Transkription jedoch war noch voller Rätsel.

Da war zum einen das Problem, dass die eukaryotische DNA für die Transkription erst aus dem in Chromatin "entpackt" werden muss. Doch dazu musste man natürlich zunächst die Verpackung verstehen. 1974 beschrieb Kornberg zusammen mit Jean O. Thomas, dass jeweils zwei Histone H3 und H4 in Lösung ein Tetramer formen, und folgerte kurz darauf, dass ein Histon-Oktamer die Grundeinheit des Chromatins -- das Nukleosom -- bildet, und dieses etwa 200 Basenpaare "verpackt" (Science 184, 868-871).

Damit war man indes immer noch weit davon entfernt, die komplexen Steuervorgänge der eukaryotischen Transkription zu verstehen. Kornberg und sein Team etablierten daher in der Folgezeit ein In vitro-System aus Hefe, in dem sie mit RNA-Polymerase II sowie den fünf allgemeinen Transkriptionsfaktoren TFIIB, E, F, H sowie dem TATA-bindenden Protein (TBP) eine basale Transkription laufen lassen konnten. Allerdings reagierte dieses nicht auf Zugabe Gen-spezifischer Aktivatorproteine -- bis Kornberg und Co. 1990 einen Multiproteinkomplex aus etwa 20 verschiedenen Proteinen identifizierten, den sie Mediator nannten. Dieser vermittelte die Signale Gen-spezifischer und DNA-bindender Transkriptionsfaktoren direkt an die RNA-Polymerase II samt ihrer fünf Kumpane und erwies sich damit exakt als das bislang fehlende Puzzleteil.

Damit kannte man alle Hauptdarsteller. Wie sie allerdings auf molekularer Ebene ihr Stück spielten, blieb weiter hinter dem Vorhang verborgen. Kornberg und sein Team wandten sich daher der Strukturbiologie zu. Der Durchbruch kam schließlich 2001 mit zwei Science-Artikeln. In einem beschrieb Erstautor Patrick Cramer, heute am Genzentrum der Uni München, erstmals die Struktur der Hefe-RNA-Polymerase aus zehn Untereinheiten bei einer Auflösung von 2,8 Angström (Science 292, 1863-1876); im anderen publizierte Kornbergs Team das Strukturmodell eines Elongationskomplexes aus RNA-Polymerase samt Matrizen-DNA und entstehender RNA (Science 292, 1876-1882).

Fast könnte meinen, Kornberg und Co. hätten seitdem gewusst, wie es geht. Jedenfalls publizierten sie seitdem ein knappes Dutzend weiterer Kristallstrukturen der RNA-Polymerase in jeweils unterschiedlichen funktionellen Komplexen mit DNA, RNA Nukleotiden oder anderen Proteinen. Alle zusammen vermitteln heute auf molekularer Ebene erstmals eine Ahnung von der Dynamik der "Transkription in Aktion" -- insbesondere von Teilprozessen wie etwa Promotor-Erkennung, Transkriptions-Initiation, Translokation des DNA-RNA-Hybrids, Trennung des RNA-Strangs von der DNA-Matrize, Auswahl der Ribonukleotide anhand der komplementären DNA, und anderes mehr.

Für einen Chemie-Nobelpreis ist das allemal genug. Dennoch liest sich die offizielle Mitteilung des Komitees am Ende wie die Begründung für einen Medizin-Nobelpreis. Wörtlich heißt es darin: "High resolution X-ray structures of a complete functional transcription machinery will ultimately reveal the molecular mechanisms of transcriptional regulation. This knowledge is important since disturbances in transcriptional regulation contribute directly to cancer, inflammation, heart disease and metabolic diseases. Regulation of transcription also controls the development of stem cells into specific cells with a certain function in different organs. To benefit fully from the potential of stem cell transplantation to cure disease, it is essential to be able to direct this development to form only the wanted type of cells."

Übrigens, die Kornbergs sind das sechste Vater-Sohn-Paar, das jeweils den Nobelpreis gewinnt. Daneben hat Roger noch zwei Brüder: Kenneth arbeitet als Architekt, Thomas ist ebenfalls Biochemie-Professor. Auch er war 1959 mit Papa in Stockholm.

Ralf Neumann





Letzte Änderungen: 05.10.2006