Editorial

Korrekte Reaktion auf grobe Fahrlässigkeit

In einem anonymen Brief wird Laborjournal auf einen Fall von Doppelpublikation an der Charité Berlin aufmerksam gemacht, den die Leitung der Charité schnell und empfindlich geahndet hat.

(08.06.2006) Ausgelöst wurden die Recherchen zu dieser Geschichte - wieder einmal - durch ein anonym zugeschicktes Dokument.

Es handelte sich um einen Brief des Dekans der Charité Berlin, Martin Paul, an einen Nachwuchswissenschaftler, denn wir Zuckermann nennen wollen. Darin stellt Paul fest, dass durch Aufmerksamkeit in den eigenen Reihen bei einer von Herrn Zuckermann zu verantwortenden Publikation ein grob fahrlässiges Verhalten festgestellt worden sei. Das Dekanat habe, um einem Wiederholungsfalle vorzubeugen, folgende Maßnahmen beschlossen:

1. Die Einrichtung, an der der betroffene Wissenschaftler tätig ist, wird für zwei Jahre um je 20.000 Euro bei der leistungsabhängigen Mittelvergabe abgesenkt.

2. Von dem verantwortlichen Wissenschaftler wird, beginnend mit der Akzeptanz dieser Maßnahme durch ihn, zwei Jahre kein Antrag auf eine außerplanmäßige Professur beziehungsweise eine Professur entgegengenommen.

3. Der verantwortliche Wissenschaftler wird für zwei Jahre vom Antragsverfahren auf universitäre Forschungsförderung ausgeschlossen und darf in dieser Zeit auch keine Arbeitsgruppe leiten.

4. Diese Maßnahmen werden in angemessener Form (anonymisiert) der Öffentlichkeit mitgeteilt.

Mit dem letzten Punkt scheint der anonyme Einsender besonders unzufrieden gewesen zu sein, denn er hatte ihn dick angestrichen und mit einem Fragezeichen versehen. Zudem hatte er eine Mitteilung mitgeschickt, nach der Zuckermann das Jahr zuvor einen nicht ganz unbedeutenden Preis erhalten habe.

Wir beschlossen, der Sache nachzugehen. Leider stellte sich das schwierig dar, denn wir wussten nicht, was Zuckermann eigentlich angestellt hatte. Aus der Formulierung des Briefes konnte man sogar schließen, dass nicht er selber der Missetäter, sondern nur für die Missetat verantwortlich war. Hatte ihn vielleicht einer seiner Doktoranden hereingelegt?

Eine Suche nach Retractions mit dem Namen Zuckermann blieb ergebnislos. Zuckermann selbst war telefonisch nicht zu erreichen.

Schweren Herzens rief der Laborjournal-Reporter den Dekan Paul an. Schweren Herzens deswegen, weil er recherchieren musste, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging, und weil er davon ausging, vom Dekan mit unverbindlichen Sätzen abgespeist zu werden. Das jedenfalls waren die Reaktionen der Universitätsleitungen in zahllosen früheren Fällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten gewesen. Die kamen sich dabei unheimlich schlau vor und waren dann wütend, wenn der Reporter der Sache trotzdem auf den Grund kam und die Universitätsleitung in seinem Bericht nicht als Heldin dastand. Und die Herren Dekane und Rektoren lernen ja nichts dazu. Zudem würde der Berliner Dekan Paul zweifellos merken, dass der Reporter den Kern der Sache gar nicht kannte, und dann gewarnt sein und erst recht mauern.

Der Reporter wurde angenehm enttäuscht. Paul zeigte sich sofort und ohne Umschweife bereit, die Sache offen zu legen. Er stellte Laborjournal auch Kopien der entsprechenden Dokumente zur Verfügung.

Danach lief die Affäre folgendermaßen ab:

Anfang 2005 fiel Peter Pfeffer, einem Mitarbeiter der Charité, auf, dass Zuckermann zwei Arbeiten doppelt publiziert hatte. Er hatte sie sowohl in einem englischsprachigen Journal als auch, nahezu unverändert, in deutschen Journalen und in deutscher Sprache veröffentlicht. Pfeffer schrieb - unter Angabe seines Namens - an den Editor des englischsprachigen Journals und machte ihn darauf aufmerksam. Zuckermann entschuldigte sich daraufhin beim Editor und bot an, eine entsprechende Erklärung zu publizieren. Der Editor akzeptierte das.

Inzwischen muss Pfeffer die Veröffentlichungen Zuckermanns noch einmal genauer angesehen haben. Dabei fiel ihm auf: Die beiden beiliegenden Originalarbeiten der Arbeitsgruppe von Herrn Zuckermann und Kollegen sind einerseits - ohne entsprechende Deklaration oder Referenz - zu 100 Prozent redundant publiziert und enthalten andererseits auch offensichtlich fabrizierte Daten.

Zuckermann wollte in der englischen Arbeit mit Substanz A, in der deutschen mit Substanz B gearbeitet haben. Die Ergebnisse gab er in beiden Arbeiten jeweils in einem Röntgenbild und einer Tabelle wieder. Sowohl die Röntgenbilder als auch die Tabellen beider Publikationen waren jedoch identisch. Zuckermann hatte aus den Ergebnissen eine klinisch-relevante Schlussfolgerung gezogen. Zudem hatte er in der englischen Arbeit einen anderen Doktoranden als Erstautor eingesetzt als in der deutschen.

Pfeffer vermutete, dass Zuckermann dies getan hatte, um die Tatsache der nicht-deklarierten und nicht-bewilligten redundanten Publikationen zu verschleiern: Es handele sich um klaren wissenschaftlichen Betrug. Pfeffer führte in dieser Sache Mitte April 2005 ein persönliches Gespräch mit Paul. Der bat ihn, die Vorwürfe schriftlich vorzubringen. Das geschah.

Paul schaltete daraufhin den Prodekan für Forschung der Charité, Cornelius Frömmel, ein. Der konfrontierte Zuckermann mit den Vorwürfen und bat ihn, bis Mitte Mai dazu Stellung zu nehmen.

Zuckermann schickte sofort ein Erratum an die deutschsprachige Zeitung, denn er hatte in beiden Fällen Substanz A verwendet. Er erklärte in einem Brief an Frömmel die Vertauschung von A und B glaubhaft als doppelte Verwechslung, denn mit B habe er Vorversuche gemacht. Die Erstautoren hatte er deswegen ausgetauscht, weil er den Übersetzer des Artikels ins Deutsche mit der Erstautorenschaft belohnen wollte.

Ende Mai kam das Dekanat der Charité zu folgender Feststellung:

1. In Verantwortung von Herrn Zuckermann sind Verstöße zur guten wissenschaftlichen Praxis vorgekommen, die so gravierend sind, dass sie über die selbstverständlichen Konsequenzen (Information der wissenschaftlichen Community) die Fakultät zu Maßnahmen zwingt, die deutlich machen, dass sie ein solches Fehlverhalten nicht duldet.

2. Der Prodekan für Forschung ist beauftragt, entsprechende Schritte vorzuschlagen, die sich sowohl auf Einschränkungen in der finanziellen Förderung durch die Fakultät als auch auf die persönliche Karriere von Herrn Zuckermann beziehungsweise seine Stellung im Forschungsprozess beziehen können. Darüber hinaus sollen die Maßnahmen einen Wiederholungsfall möglichst ausschließen.

3. Es werden weitere Prüfungsschritte noch durchgeführt, um sicherzugehen, dass hier ein wissenschaftliches Fehlverhalten ohne Vorsatz vorliegt.

Von diesen Feststellungen wurde auch Informant Pfeffer informiert.

Ende Juni 2005 beschloss das Dekanat dann die eingangs erwähnten Sanktionen gegen Zuckermann, die Laborjournal anonym zugestellt wurden.

Zuckermann hat die verlangten Errata publiziert oder die Publikation angeboten, er hat Mitte Juli 2005 die beschlossenen Maßnahmen akzeptiert und trat unter anderem von der Leitung seiner Arbeitsgruppe zurück.

Das Verfahren wurde daraufhin im Oktober 2005 von Frömmel für abgeschlossen erklärt.

Kommentar

In der Behandlung dieses Falls durch die Leitung der Charité fällt zum ersten die Geschwindigkeit auf: Die Angelegenheit war im Wesentlichen in drei Monaten erledigt. Bei anderen Universitäten können sich ähnliche Verfahren gut und gerne über drei Jahre erstrecken.

Des weiteren fällt auf, dass die Strafe recht empfindlich ausfiel, dafür dass Zuckermann anscheinend nur grob fahrlässig und ohne Vorsatz gehandelt hatte. Aber auch das ist korrekt: Zuckermann hat in Publikationen mit medizinischer Relevanz, also mit eventuellen Auswirkungen auf Patienten, grob fahrlässig gehandelt. Das muss Konsequenzen haben.

Bleibt die Frage, ob die Charité Punkt 4 der Sanktionen - Die Maßnahmen sollten in angemessener Form (anonymisiert) der Öffentlichkeit mitgeteilt werden - nachgekommen ist. Der anonyme Einsender bezweifelt das. Nach Paul seien die Maßnahmen sehr wohl der Öffentlichkeit mitgeteilt worden, der fakultätsinternen Öffentlichkeit eben.

Auch diese Beschränkung kann man verstehen, denn es ist keine Rücksichtnahme auf Zuckermann. Vielmehr hat es in der Vergangenheit in einer anderen Gruppe einen anderen Fall von wissenschaftlichem Fehlverhalten gegeben. Der war von der Charité publik gemacht worden, worauf der Fehlverhalter auf Verleumdung und Schädigung klagte und das Dekanat der Charité juristisch abgestraft wurde. Es ist ja so: Wissenschaftliches Fehlverhalten wird juristisch, zumindest in praxi, nicht verfolgt. Die Aufklärung von wissenschaftlichem Fehlverhalten und dessen Publikation dagegen ist juristisch ein Vabanquespiel. Das mag paradox sein, aber es ist Tatsache. Ich weiß, wovon ich rede. Daher habe ich auch Verständnis dafür, dass das Dekanat der Charité den Fall Zuckermann nicht an die publizistische große Glocke gehängt hat.

Maßgebend ist hier die Meinung desjenigen, der den Fall ins Rollen gebracht hat, des Peter Pfeffer. Er antwortete im April diesen Jahres auf eine Anfrage von Dekan Paul, ob er vielleicht den Brief an das Laborjournal geschrieben habe, mit:

Sehr geehrter Herr Professor Paul

(...) Nachdem Herr Zuckermann letztes Jahr durch die Charité abgemahnt und bestraft wurde, war die Sache für mich erledigt. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich Herrn Zuckermann nicht persönlich kenne und auch keinen Grund habe, ihn öffentlich anzuschwärzen. Es wäre im übrigen von meiner Seite aus nicht besonders klug, zum jetzigen Zeitpunkt einen anonymen Leserbrief zu diesem Fall zu schreiben, zumal die Verantwortung für ein solches Schreiben direkt auf mich selbst zurückfallen würde, wie ja auch geschehen. Der Fall ist für mich erledigt und ich danke Ihnen nochmals dafür, dass Sie meine Vorwürfe damals sehr ernst genommen haben und ein offizielles Verfahren gegen Dr. Zuckermann eingeleitet haben. Ich habe keine negativen Ressentiments zu diesem Fall und insbesondere nicht gegenüber der Charité, die mich damals in der Sache zu 100 % unterstützt hat.


Damit wollen wir die Sache bewenden lassen.

Siegfried Bär



Letzte Änderungen: 09.06.2006