Editorial

Macht Männermangel blond?

Siegfried Bär über ein neues Paper mit haarigem Inhalt - in mehrfacher Hinsicht, wie er meint.

(07.03.2006) Es ist Tatsache: Nirgendwo sind Haar- und Augenfarben so vielfältig wie in Europa. Hier gibt es Goldblonde, Rotblonde, Flachsblonde, Rothaarige, Brünette und Schwarze. Selbst die Haarstrukturen variieren von glatt über lockig zu kraus. Dazu gibt es blaue Augen, graue, grüne und braune. Anderswo sind die Haare schwarz und die Augen braun - und wenn nicht, wie in Australien oder Nordamerika, dann liegt dies an Einwanderern aus Europa.

Woher kommt die europäische Buntheit?

Sie kommt von den Genen.

Das Gen für die Haarfarbe, MC1R, hat mindestens sieben Allele, die nur in Europa vorkommen. Die Augenfarbe wird von einem anderen Satz von Allelen bestimmt, der an einem anderen Ort sitzt. Beide Gene werden unabhängig voneinander vererbt. Umso erstaunlicher ist es, dass die Verbreitung bunter Haare mit der Verbreitung bunter Augen in etwa übereinstimmt.

Warum sind gerade die Europäer Träger der Farballele?

Es könnte Zufall sein. Am Ende der letzten Eiszeit, vor 15 000 Jahren, war Europa fast menschenleer. Wenige Clans bejagten riesige Flächen. Falls in diesen Clans durch Zufall Farballele auftraten würde das ihre heutige Häufigkeit erklären, da 80% der heutigen Europäer von diesen Gründerclans abstammen sollen (Gründereffekt). Es ist allerdings nicht gerade wahrscheinlich, dass gleich sieben dieser damals seltenen Farballele auftraten und noch dazu Farballele für die Augen.

Vielleicht liegt es an der vergleichsweise geringen Sonneneinstrahlung in Mittel- und Nordeuropa?

Das würde eine geringere Pigmentierung erklären, nicht aber das massenhafte Auftreten von Farbgenen. Zudem müsste der Effekt dann auch in den nördlichen Breiten von Asien und Nordamerika auftreten. Indianer und eingeborene Sibirier sind aber schwarzhaarig - jedenfalls in der Regel.

Handelt es sich vielleicht um genetische Reste der Neanderthaler?

Europa war dessen Hauptverbreitungsgebiet und möglicherweise hat er sich mit dem vor 35 000 Jahren einwandernden Homo sapiens gekreuzt. Rosalind Harding vom Oxforder Radcliffe Institut glaubt, das Allel für rote Haare dem Neanderthaler zuschreiben zu können. Es sei älter als 50 000 Jahre. Doch niemand kennt die Haarfarbe der Neanderthaler. Zudem gibt es keinen Hinweis auf Kreuzungen zwischen Homo sapiens und Neanderthalern. Und nach mtDNA Sequenzen und Zahncharakteristiken sind Neanderthaler modernen Europäern nicht näher verwandt als beispielsweise Chinesen.

Erich von Däniken würde als weitere Hypothese die Landung von Außerirdischen im eiszeitlichen Europa ins Spiel bringen aber auch von denen kennt man die Haarfarbe nicht und Marsmännchen sind bekanntlich grün und tragen Glatze.

Wir haben also ein Problem mit der Buntheit.

Der Kanadier Peter Frost meint die Lösung gefunden zu haben und hat sie in einem Artikel in Evolution and Human Behaviour (Bd. 27, S. 85-103 publiziert. Der Artikel hat ein weites Presseecho gefunden. Vom Spiegel bis zum Stern wurde die Meldung kritiklos übernommen.

Frost beschäftigt sich seit 1986 mit der Fragen der humanen Pigmentierung. Damals entdeckte er, dass in Europa der Hautfarbe ursprünglich eine sexuelle Rolle zukam und sie erst später ethnische Bedeutung gewann: Frauen sind nach der Pubertät von hellerer Hautfarbe als Männer (daher kommt zum Beispiel der Begriff "fair lady").

Der Buntheit der Europäer liegt nach Frost ein Selektionsprozess zugrunde. Natürliche Selektion käme jedoch nicht in Frage, da rote oder goldblonde Haare ihre Träger für Raubtiere besser sichtbar mache. Es müsse sich folglich um sexuelle Selektion handeln. Diese bevorzuge auffällige Merkmale (Pfauenschwanz, Hirschgeweih). Auch würden seltene Farben sexuell bevorzugt wie Untersuchungen mit Drosophila, Wespen und Motten gezeigt hätten.

Auch beim Menschen sei ein solcher Effekt zu beobachten. Wenn Männern etwa elf Blonde und eine Brünette gezeigt würden, so bevorzugten sie die Brünette; zeigte man elf Brünette und eine Blonde, dann bevorzugten sie die Blonde.

Die Gegenkraft zu diesem Trend zur Buntheit sei das Risiko Raubtieren zum Opfer zu fallen. Bunte Haare sollten sich also in Gegenden entfalten, wo es nur wenige dem Menschen gefährliche Raubtiere gibt. Zudem sollte bei den Bewohnern dieser Gegend Frauenüberschuss herrschen - der Wahlmöglichkeit wegen - und die Einehe.

Diese Gegend will Frost im eiszeitlichen Europa entdeckt haben: Europe was the only region in the world that had large expanses of continental tundra south of 60 degrees N. Europe was the only region that presented hunting peoples with such extremes of "feast or famine." Bioproductivity was very high on Europe's tundra plains, but for humans almost all of the consumable biomass was in the form of highly mobile and gregarious herds of mammals. The European tundra plain could support a relatively high density of humans, but at a cost of high hunter mortality.

Die hohe Bioproduktivität der europäischen Tundra wurde von der weltweit einmaligen Kombination fruchtbarer Lössböden mit hoher Sonneneinstrahlung hervorgebracht. Hier wuchsen massenhaft Moose, Flechten und Gräser, die riesige Herden von Mammuts, Pferden und Rentieren ernährten. Die wiederum lieferten Fleisch für zahlreiche Horden von Jägern. Die Jagd habe den Männern oblegen, die Frauen hätten sich der Kinderaufzucht und dem Sammeln (Vogeleier und Beeren) gewidmet - wobei aber letzteres mangels Masse wenig eingebracht habe.

Entscheidend für das Überleben einer Familie sei der Jagderfolg des Mannes gewesen. Weil der wechselhaft war - das Pferd war als Reittier noch nicht domestiziert - konnte ein Mann nur eine Familie ernähren. Deswegen neigten solche Gesellschaften zur Monogamie. Zudem sei die Sterblichkeit der Männer durch die riskante und anstrengende Jagd - tagelange Verfolgungsmärsche, Übernachtungen im Freien bei minus 30 Grad Celsius, Kampf mit Raubtieren - höher gewesen als die der Frauen, die im Fellzelt saßen, die Kinder hüteten und Fett ins Feuer gossen.

Der Mann habe daher die Wahl zwischen mehreren Frauen gehabt und habe die Auffälligeren gewählt: Die mit den bunten Haaren und Augen. Da Raubtiere in der Tundra fast fehlten, habe diese positive sexuelle Selektion nicht durch eine natürliche negative ausgeglichen werden können.

Soweit Frost. Er stützt seine Hypothese mit vielen Details. Bei Tundrajägern, so bei den Tschuktschen, herrsche oder herrschte Monogamie. Auch sei das Verhältnis der Variabilität von Y und X-Chromosomen in den Tropen niedriger als in Europa, woraus man schließen könne, dass dort mehr Männer zur Variabilität beigetragen hätten. Bei den Inuit kämen nur 57 Männer auf 100 Frauen im Fortpflanzungsalter, und in eiszeitlichen Gräbern dominieren die Frauen, und so weiter und so fort...

Fast hätte er mich damit erschlagen; das heißt, fast hätte ich Frost geglaubt, wäre ich nicht über die folgenden Sätze gestolpert: Rare-color advantage may have caused hair and eye color to diversify in ancestral humans, there being neither of the evolutionary constraints mentioned above, that is, high predation pressure or likelihood of hybridization. Outside Africa, there were only two potential predators: wolves and bears, the latter being uncommon and the former only an occasional threat to recent hunter-gatherers (Hoffecker, 2002, pp. 238, 240).

Wie bitte? Außerhalb Afrikas soll es nur zwei Menschenfresser gegeben haben: Wölfe und Bären? Wo bleiben der sibirische Tiger und der Höhlenlöwe (Panthera leo spelaea)?

Letzterer war die größte Katze, die je existierte. Er wog bis zu 400 kg. Höhlenlöwen lebten in der gleichen Zeit und im gleichen Raum wie die eiszeitlichen europäischen Jäger. Sie haben ihn oft abgebildet und in Elfenbein geschnitzt. Er muss also in ihrem Leben eine große Rolle gespielt haben. Die Höhlenlöwen starben erst vor 10 000 Jahren aus.

Auf Anfrage teilte Peter Frost mit, die Wölfe und Bären stünden bei Hoffecker und Höhlenlöwen wären kein Argument gegen seine These.

Sie sind es doch. Es sei denn, Höhlenlöwen waren farbenblind oder unsere Vorfahren trugen tagsüber schwarze Hüte. Ein Höhlenlöwe, selbst ein nicht farbenblinder, könnte behütete Blondinen und Schwarzhaarige nicht unterscheiden. Auch wären schwarze Kappen angenehm bei Schneesturm und Regen. Haben nicht die europäischen Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein mit Hüten einen Kult getrieben? War nicht Hutmacherin ein verbreitetes Gewerbe in Europa. Keine Frau und kein Mann ging ohne Hut aus dem Haus, eine verheiratete Frau in der Regel mit einem schwarzen. Aus Angst vor Höhlenlöwen? Aber ich muss aufhören mit spintisieren sonst ende ich auch in Evolution and Human Behaviour.

Es wirkt auch paradox, dass Frost seine These mit den Tschuktschen und Eskimos stützt. So versucht er nachzuweisen, dass diese ähnliche Männer-/Frauenverhältnisse aufweisen als europäische eiszeitliche Jäger. Sie sollen auch monogam leben. Raubtiere endlich, gibt es in Nordasien eher weniger als im eiszeitlichen Europa.

Doch wenn Männermangel in Kombination mit Monogamie und der Abwesenheit von Raubtieren die Ursache für die Entwicklung von Haarfarbgenen wäre, warum sind dann beide Ethnien durchgängig schwarzhaarig?

Seltsamerweise zitiert Frost nicht die Jukagiren, wie die Tschuktschen sibirische Tundrabewohner. Die Jukagiren weisen bunte Haarfarben auf: Die meisten sind dunkelbraun, einige blond (Friedrich v Hellwald, Völkerkunde, Nürnberg 1882). Allerdings gälte es nachzuweisen, dass der bunte Einschlag aus der Eiszeit stammt und nicht von charmanten russischen Pelzhändlern. Das wiederum dürfte schwierig sein, denn die Jukagiren haben das 19. Jahrhundert als Ethnie kaum überlebt.

Warum also sind die Tschuktschen schwarzhaarig, obwohl doch bei ihnen ähnliche sexuelle Selektionsprozesse ablaufen wie bei Frosts eiszeitlichen Europäern?

Ich habe Frost gefragt. Die Antwort war, dass Europa damals eine einzigartige Tundrenlandschaft gehabt hätte, die mit der Tundra Nordasiens, dem Heimatland der Tschuktschen, nicht vergleichbar sei.

Dem mag so sein. Aber eine Landschaft macht keine bunten Haare. Phänotypische Änderungen kommen durch natürliche oder sexuelle Selektion zustande. Wenn Frosts These zutrifft und die Selektions-Faktoren bei den Tschuktschen die gleichen sind wie bei eiszeitlichen Europäern, dann sollten bei den Tschuktschen - Landschaft hin oder her - bunte Haare auftreten. Vielleicht keine gelben und roten, sondern blaue oder grüne - die Geschmäcker sind ja verschieden. Ist dem nicht so, dann muss die Ursache für buntes Haar woanders liegen. Übrigens: die Tschuktschen tragen keine Kopfbedeckungen (Friedrich v. Hellwald, Völkerkunde, Nürnberg 1882).

Aber vielleicht sind die Ursachen für bunte Haare gar nicht so wichtig. Jedenfalls gibt es drängendere Fragen. So etwa folgende: Warum hat es dieser Artikel - es steht immerhin eine offensichtliche Unrichtigkeit darin - in ein respektables Journal geschafft?

Ich kann den Verdacht nicht loswerden, dass der Editor das Presseecho ahnte, das der Artikel auslösen würde und nicht so genau hinschaute. Hauptsache auffallen, Hauptsache den Impaktfaktor steigern, Hauptsache bunt.





Letzte Änderungen: 07.03.2006