Editorial

Jetzt wird gehandelt: Deutschlands Universitäten stellen den Strom ab

(13.12.2005) Bayern schmückt sich gerne mit Begriffen wie "Hochtechnologieland" oder "zukunftsorientiert". Für die Vereinspolitik des FC Bayern mag das zutreffen, eher nicht für die Universitäten des Freistaats. Die bröckeln und zerfallen. Ein Ortstermin.

"Schlimm?" fragt Peter W.* "Es ist noch viel schlimmer." Ohne dass man ihn erst lange bitten müsste, öffnet der agile Mittvierziger einen Dateiordner seines Laborcomputers. Dort hat der Biologe digitale Fotos gespeichert. Diese, einige dutzend an der Zahl, sind neu, manche davon hat er erst vor wenigen Tagen aufgenommen - und die Bilder sind von einer Aussagekraft, die keiner weiteren Worte bedarf.

Die Fotogalerie des Regensburger Wissenschaftlers W. könnte man mit gutem Gewissen als modernes Gruselkabinett bezeichnen: Aufgerissene Wände sind zu sehen, in denen sich verrostete Wasserleitungen dem Betrachter wie verfaulte Eingeweide entgegenstrecken. Auf dem nächsten Foto verwitterter, rissig aufgesprungener Laborboden aus zerbröselndem Linoleum, der aussieht wie vertrockneter Wüstenboden. Dann eine Galerie tropfender, rostig-verkalkter Wasserhähne, dahinter Toiletten ohne Brille und ohne Papier, beschmierte Wände, Dreck, Rost und Risse. Immer wieder weißlich zerbröselnder Beton. Zerbrochene Treppen, aus denen Eisenstäbe ragen, abgesperrt mit weiß-rotem Plastikbband. Und diese schmutzig-grauen Fußböden im ersten Stockwerk - angesichts der fingerbreiten und sich meterweit reichenden Risse würde man sie nur ungern betreten.

Morbide Szenerie mitten in Deutschland

Die morbide wirkenden Fotos des Biologen W. sind nicht hinter den Mauern eines abbruchreifen Ostberliner Plattenbaus entstanden, auch nicht in den Waschräumen einer Obdachlosenunterkunft in Rumänien oder in einer stillgelegten Bahnhofstoilette irgendeiner unbenannten Großstadt. Die Bilder auf dem Rechner von Dr. W. sind aktuelle Fotos seiner Arbeitsstätte, der Universität Regensburg - einer Institution, die bei Hochschulrankings immerhin regelmäßig im vorderen Drittel landet und deren "intensiv vorangetriebenen, infrastrukturellen Ausbau" der bayerische Ministerpräsident auf seiner Website als "Erfolg" bezeichnet.

Mit düsterem Blick klickt Naturwissenschaftler W. das nächste Bild an: Eine Zentrifuge ist darauf zu sehen, die, so W., einmal weit über 100.000 Euro gekostet hat, an der jedoch seit 2003 ein Schild "defekt" hängt. W. bräuchte das Gerät dringend für seine Forschung, aber "es fehlen dreitausend Euro für eine Reparatur. Was will man machen?" Immerhin habe ihm die Universität ja seinen Bürorechner bezahlt, sagt er, man müsse halt improvisieren, und es klingt nicht einmal sarkastisch, wenn er das sagt. Dann blickt er auf die Uhr. Er muß ins Praktikum, eine neue Generation deutscher Biowissenschaftler will ausbildet werden.

Altersschwache Röhrenmonitore, museumsreife Rechner

Ein paar Türen weiter hat es nicht einmal mehr für einen neuen Computer gereicht. Jahrelang wurden dort die Forschungsergebnisse mit privat gekauften CD-Brennern archiviert, auf Rechnern, die von einigen Forschern ebenfalls aus dem eigenen Geldbeutel bezahlt wurden. Auf den Tischen flackern derweilen altersschwache Röhrenbildschirme mit Farbfehlern, einen Tisch weiter knattert die Festplatte eines 14 Jahre alten Macintosh-Rechners, dessen baugleicher Bruder im Münchner Museum "Pinakothek der Moderne" besichtigt werden kann. Das 3 1/2-zöllige Diskettenlaufwerk des Computer-Veteranen ächzt im Dauerbetrieb. Eine Laborkollegin beschwichtigt: Man beklage sich nicht, immerhin habe die DFG ihrer Arbeitsgruppe ja erst vor vier Jahren eine neue Stereolupe finanziert. Sie hat gut publiziert, die promovierte Biologin, doch nun ist ihr Vertrag ausgelaufen, und Dauerstellen für nicht habilitierte Naturwissenschaftler gibt es an Deutschlands Universitäten fast keine mehr.

Angesichts der Regensburger Verhältnisse sorgte ein kürzlich erfolgtes Rundschreiben des Rektors der Universität "an die wissenschaftlichen Mitarbeiter im Hause" nur für lakonisches Achselzucken. Es ging um Heizkosten. In diesem Schreiben stand folgendes:

"Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund der drastisch gestiegenen Strom- und Energiepreise wird die Universität Regensburg zum Jahresende [...] Mehrkosten in Höhe von rund 550.000 Euro aufzubringen haben. Mit zusätzlichen Sondermitteln des Ministeriums ist nicht zu rechnen. Das Defizit muß daher ggf. aus Titelgruppe 73 und 99, also auf Kosten von Mitteln für Lehre und Forschung**, ausgeglichen werden. Die Universität muß daher bemüht sein, den Fehlbetrag soweit wie möglich zu reduzieren. Nach Berechnung der Technischen Zentrale können im Falle der Schließung der Universität zwischen den Tagen pro Tag etwa 10.000 Euro eingespart werden. Bei Schließung der Universität [...] vom 27. bis 31.12.2005 kann damit eine Einsparung von [...] rund 40.000 Euro erreicht werden. Die Hochschulleitung hat daher beschlossen, die Universität [...] vom 27. bis 31.12.2005 zu schließen. Ich darf Sie bitten, während dieser Zeit Urlaub zu nehmen. [...]. Mit freundlichen Grüßen [...]"

Deutschland 2005: Universitäten können Stromrechnung nicht mehr zahlen

Zusammengefasst: Die Universität Regensburg muß im kommenden Jahr ihren Forschungs- und Lehretat (für alle Fakultäten zusammen sind das knapp 8,1 Millionen Euro) um 510.000 Euro kürzen. Eine bereits vor längerem in Kraft getretene 17-prozentige Haushaltssperre reduziert ihn ohnehin um 1,4 Millionen Euro.

Für Forschung und Lehre im Jahr 2005 hat die Universität Regensburg somit 6,2 Millionen Euro zur Verfügung, von denen immerhin der Großteil an die naturwissenschaftlichen Institute geht. Das Land Bayern wird allerdings keinen Cent mehr zuschießen.

Zum Vergleich: Der Forschungsetat des Pharmakonzerns Novartis betrug 2004 etwa 3400 Millionen Euro, der des kleinen Martinsrieder Biotech-Unternehmens Morphosys gut 12 Millionen.

"Mein Ziel ist ein modernes Bayern - technologisch führend, sozial innovativ, kulturell vielfältig. Ich will unsere Spitzenstellung stärken und in allen bayerischen Regionen zukunftsorientierte Arbeitsplätze schaffen."

Das steht bei www.stoiber.de auf der Website des bayerischen Ministerpräsidenten. Mit "Handeln statt reden" ist diese Website überschrieben.

Winfried Köppelle

------------------------------------

*Name von der Red. geändert. **Hervorhebung durch die LJ-Redaktion.



Letzte Änderungen: 20.12.2005