Editorial

Tödliche Wunderfaser

(17.04.2018) Dass Asbest Krebs auslöst, ist schon lange bekannt - die Gründe dafür waren bisher noch ein Rätsel. Forscher aus der Schweiz und Kanada haben das Geheimnis nun gelüftet.
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Anthophyllit-Asbest im Rasterelektronenmikroskop

Schon seit Beginn unserer Zeitrechnung wurde die „Wunderfaser“ Asbest genutzt, um Gegenstände mit besonderen Eigenschaften herzustellen. Das faserförmige Mineral besitzt eine enorme Festigkeit, ist hitze- und säurebeständig und kann sogar zu Garnen versponnen werden. Kein Wunder, dass Asbest in viele Lebensbereiche Einzug fand. In der Bauindustrie, zur Wärme­dämmung, zur Herstellung von Autoreifen, für feuerfeste Arbeitsschutz­kleidung und zur Filtration wurde Asbest oft und gerne eingesetzt.

Doch je mehr Asbest abgebaut und verarbeitet wurde, desto deutlicher kamen auch die Schattenseiten zum Vorschein. Die Gesundheitsgefahren ließen sich nicht mehr leugnen. Die WHO stufte die Asbestfaser Anfang der 70er Jahre offiziell als krebserzeugend ein. Das erste Asbestverbot erfolgte schon 1979 in Westdeutschland. Es folgten die Schweiz und Österreich - 2005 wurde ein EU-weites Verbot für die Verarbeitung von Asbest durchgesetzt. Leider existieren immer noch Orte auf der Welt (China, Russland, Brasilien), in denen Asbest abgebaut, verwendet und exportiert wird. Schutz für die Arbeiter – Fehlanzeige.

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Veränderungen im Mesothel

Die Krebsart, die mit Asbestexposition in Verbindung gebracht wird, nennt sich Mesotheliom. Dieser Krebs entsteht, wenn Asbestfasern durch die Lunge in eine Zellschicht gelangen, die alle inneren Organe umgibt – das Mesothel.

Um das Rätsel über die Entstehung des Mesothelioms zu lösen, haben sich Forscher aus Zürich, Genf, Freiburg und Toronto zusammengetan. „Obwohl Asbest vor 30 Jahren in der Schweiz verboten wurde, werden immer noch neue Mesotheliomfälle im Universitätsspital Zürich gemeldet“, berichtet Studienleiterin Emanuela Felley-Bosco, deren Arbeitsgruppe seit elf Jahren rund um Mesotheliom-Krebs arbeitet. „Bisher war der von Asbest verursachte Krebs eine Blackbox“, fügt sie hinzu. Um Licht in diese Blackbox zu bringen, injizierten die Forscher Asbestfasern in die Bauchhöhle von Mäusen – diese enthält auch ein Mesothel.

Der Mausversuch zeigte den Wissenschaftlern, wie Asbestfasern – obwohl sie chemisch harmlos sind - zu Krebs führen können: nämlich, indem sie chronische Entzündungen auslösen. Einmal im Mesothel angekommen, lassen sich die langen und spitzen Fasern nicht mehr so leicht aus der Zellschicht entfernen. Sie verletzen das Gewebe immer wieder. Eine Immunreaktion wird ausgelöst und die Wundheilung aktiviert. Die Signalstoffe der Wundheilung regen die Zellteilung an und fördern so auch die Bildung von Tumoren. Felley-Bosco erklärt: „In normalen Prozessen einer Wunde wird in der ersten Phase das Immunsystem für die Verteidigung aktiviert. Im zweiten Schritt wird eine Regulierung dieses ersten Schrittes für die Reparatur der Wunde in die Wege geleitet. Im Falle einer stetigen Akkumulation von Asbestfasern sind beide Schritte permanent aktiviert, jedoch gewinnt der Prozess der Wundheilung an Oberhand, welcher das Wachstum von mutierten Zellen fördert.“

Gedämpftes Immunsystem

Man könnte auch sagen, das Immunsystem wird gedämpft und die entstehenden Tumorzellen nicht mehr ausreichend bekämpft. Als Ursache für diese Fehlleitung des Immunsystems fand das Team um Felley-Bosco unter anderem veränderte RNA-Moleküle (RNA-Editing). Zudem konnten sie die Aktivierung der Transkriptionsfaktoren YAP und TAZ nachweisen, welche als wichtige Regulatoren von Zellproliferation und Apoptose gelten.

Nun machen sich die Wissenschaftler Gedanken, wie sie ihre Ergebnisse nutzen können, um eine spezifische Therapie gegen Mesotheliom-Krebs zu entwickeln. Ein erster Schritt ist es, die frühen Entzündungssignale möglichst eindeutig zu diagnostizieren. Ein spezifischer Marker für Mesotheliom-Krebs ist Mesothelin aus dem Blut. „Unglücklicher­weise ist dies jedoch nicht sehr sensitiv, was heißt, dass es nicht in allen Mesotheliom­patienten erfolgreich detektiert werden kann“, bedauert Felley-Bosco. „Wir hoffen auf eine Möglichkeit, die Sensitivität einer frühen Diagnose zu erhöhen.“

Gleichgewichtsänderung

Als Therapieansatz wird versucht, die Aktivierung des Immunsystems zu unterdrücken und Umgebungsbedingungen zu verschieben, welche das Wachstum von Tumorzellen fördern. „Ziel ist es, die Balance in Richtung Unterdrückung von mutierten Zellen zu bringen“, erklärt die Studienleiterin. „Laufende klinische Studien, einschließlich Immuntherapien für Mesotheliompatienten, beinhalten die Unterdrückung von Negativ-Regulatoren des Immunsystems und die aktive Stimulierung des Immunsystems mit Mesotheliom-Antigenen.“

Über ihre zukünftigen Pläne verrät uns Felley-Bosco: „Wir werden die Arbeit an diesem Projekt fortsetzen, mit dem Ziel, einige offene Fragen über den Einfluss des RNA-Editings beantworten zu können.“

Eva Glink



Letzte Änderungen: 17.04.2018