Editorial

Werkzeug für RNA-Schalter

(6.9.17) Das trinationale Forscherkonsortium RiboNets entwickelte eine Werkzeugkiste für die Konstruktion RNA-basierter Schalter. Laborjournal wollte von der Koordinatorin des Projekts Ilka Axmann wissen, welche Werkzeuge sie enthält und wie sie funktionieren.
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© Caltech

Ihr Konsortium hat im Frühjahr das vierjährige multidisziplinäre Projekt RiboNets abgeschlossen, das unter anderem die Herstellung RNA-basierter Schalter (RNA-Devices) zum Ziel hatte. Beschreiben Sie bitte kurz, was RNA-basierte Schalter sind. Was können sie, wie groß sind sie?

Ilka Axmann: Unter einem RNA-basierten Device verstehen wir einen Schalter, der das Ablesen eines Gens an- beziehungsweise abschalten kann. Es handelt sich dabei um kurze, synthetische RNA-Ketten, die aufgrund einer vorhersagbaren Strukturveränderung als An- (ON-Switch) oder Aus-Schalter (OFF-Switch) an einem Rechner entworfen werden können. Für RiboNets haben wir Aus-Schalter konstruiert, die sich aus jeweils zwei RNA-Spezies zusammensetzen: einer transRNA und einer cisRNA. Die transRNA ist circa 100 Nukleotide lang und ist entfernt vom Zielort kodiert. Die etwa 60 Nukleotide lange cisRNA befindet sich in unmittelbarer Nähe des Zielgens in der stromaufwärts gelegenen 5‘-Upstream Region. Durch die Interaktion von trans- und cisRNA wird die Ribsomenbindestelle auf der cisRNA blockiert und dadurch die Translation des dahinter liegenden kodierenden Bereichs verhindert – es handelt sich also um einen post-translationalen Regulationsmechanismus.


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Für einen Biologen im Nass-Labor lesen sich die RiboNets-Publikationen ziemlich abstrakt. Vom vielfältigen Potenzial maßgeschneiderter RNA-Moleküle als zelluläre Regulatoren bin ich dennoch überzeugt. Aber wie kommt man an sein Wunschmolekül, und wie erstellt man mit den RiboNets-Tools die passende Bastelanleitung?

Axmann: Die Vorhersage von RNA-Sekundär-Strukturen ist ein gut verstandenes bioinformatisches Problem. Dank frei zugänglicher Programme, wie RNAblueprint, das von der Arbeitsgruppe um Sven Findeiss entwickelt wurde, ist die Vorhersage von RNA-Strukturen, RNA-Interaktionen sowie resultierenden Strukturänderungen aufgrund bekannter Eigenschaften der RNA am Rechner möglich.


Schafft das ein Standard-PC? Ist die Software gratis verfügbar?


Axmann: Ein Standard-PC kann ausreichend sein. Je nach Länge und Anzahl der RNA-Strukturen verlängert sich die Rechenzeit. An vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen wird die Nutzung von Hochleistungs-Rechenclustern angeboten – hier lassen sich aufwendige Berechnungen in kürzester Zeit realisieren. Die Software, die im Rahmen von RiboNets entwickelt wurde, ist frei zugänglich.


Ihre Arbeit findet hauptsächlich am Computer statt. Wann ist eine virtuell konstruierte RNA reif für den echten Bewährungstest? Übernimmt das ein Teamkollege im Labor oder hat jeder sein eigenes "Revier"? Welche Organismen beziehungsweise Zellen nutzen Sie für die entsprechenden In-vitro- und In-vivo-Experimente?

Axmann: Das RiboNets-Konsortium besteht aus drei EU-Partnern, aus Österreich, Frankreich und Deutschland. Die Arbeitsgruppe von Sven Findeiss an der Universität Leipzig führt die Vorhersagen und Analysen der RNA-Devices am Rechner durch. Das Team von André Estevez-Torres in Paris testet die vorhergesagten Top-Kandidaten auf ihre Funktion in einem Zell-freien Transkriptions-Translations-System (PURE). Hier zeigt ein Fluoreszenz-Reporter an, ob ein RNA-Schalter funktioniert oder nicht. Die biologische Aktivität der synthetischen RNA-Devices überprüft meine Arbeitsgruppe am Institut für Synthetische Mikrobiologie der Heinrich Heine Universität Düsseldorf schließlich in E. coli.


Wo sehen Sie das größte Anwendungspotenzial für die RiboNets-Tools? Welches Wissenschaftsfeld wird am ehesten "aufspringen"?

Axmann: Die synthetische Biologie ist ein schnell wachsendes Forschungsfeld. Hier sind neue, gut vorhersagbare Tools sehr willkommen. Für RNA-basierte An-Schalter wurden 2016 in Cell bereits sehr konkrete Anwendungsmöglichkeiten veröffentlicht. Am Beispiel des Zika-Virus stellen die Autoren einen RNA-basierten Biosensor vor, der schnell und kostengünstig zur Detektion spezifischer Virenstämme eingesetzt werden kann. Weitere Anwendungsmöglichkeiten sehe ich in der Biotechnologie, etwa im Rahmen des Metabolic Engineerings, bei dem synthetische Stoffwechselwege in Mikroorganismen eingebracht werden. RNA-basierte Regulatoren können hier dafür sorgen, dass diese wirtsfremden Stoffwechselwege optimal ablaufen und Produkte, wie zum Beispiel seltene pflanzliche Sekundärmetabolite in Bakterien, in großen Mengen hergestellt werden können. Aktuell diskutieren Forscher Möglichkeiten, RNA-basierte Wirkstoffe als Therapeutika einzusetzen (Nature Biotechnology).


Lässt sich der Effekt einer am Computer konstruierten RNA in einer virtuellen Zelle "durchspielen"? Würde sich die RNA ihrem Ziel nähern, wenn die Zelle alle relevanten Komponenten enthält?

Axmann: Simulationen der RNA-Funktion in einer Zelle sind möglich. Vor allem die Betrachtung der RNA-Faltung in Abhängigkeit von der Zeit bei ablaufenden zellulären Prozessen, etwa der Transkription (Co-Transcriptional Folding), ist ein spannendes Forschungsthema. Das von RiboNets genutzte PURE-System kann wichtige Daten liefern, um zeitabhängige Prozesse besser zu verstehen.


Wer synthetisiert die RNA-Devices, kommerzielle Anbieter? Wo liegen die ungefähren Kosten?

Axmann: Die Firma IDT synthetisiert unsere am Rechner entworfenen DNA-Sequenzen, die Kosten liegen bei circa 10 Cent pro Nukleotid. Die Transkription der synthetischen DNA in RNA erfolgt im Labor mithilfe einer RNA-Polymerase in vitro beziehungsweise in E. coli-Zellen.


Wie geht es jetzt weiter?

Axmann: Es sind mehrere RiboNets-Folgeprojekte geplant, die sich momentan in der Antragsphase befinden (EU, DFG, ERC). An der HHU Düsseldorf entsteht ein neues Forschungsgebäude, das Zentrum für Synthetische Lebenswissenschaften (ZSL), in das wir mit weiteren Arbeitsgruppen im nächsten Jahr einziehen werden.

 

Interview: Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 02.10.2017