Editorial

Konstanzer Klagelied

(24.8.17) Land unter am Bodensee für die angewandten Biowissenschaften: GATC Biotech verkauft, die Pharmafirma Dr. Kade macht demnächst dicht, selbst die Apfelbauern befürchten Ernte-Einbußen. Doch nicht genug – jetzt will man auch noch homöopathisch Erdbeeren therapieren. Oje.
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Erdbeere krank! Aber ob "homöopathische Notfalltropfen" wirklich helfen...?
© Hedwig Storch

Man möchte nicht Biologe sein in Konstanz in diesen Tagen. Zumindest nicht in der sogenannten „freien Wirtschaft“. Denn diese Wirtschaft ist momentan so frei, ihren arbeitenden Teil der Belegschaft nachhaltig zu verunsichern – mit Firmenübernahmen, Standortschließungen und parawissenschaftlichem Esoterik-Nonsens.

Konstanz – da fällt einem natürlich zuerst einmal GATC Biotech ein, der inhabergeführte und laut Geschäftsführer Peter Pohl „von Anfang an profitable“ DNA-Sequenzierungsbetrieb im Gewerbegebiet Stromeyersdorf. 26 Jahre lang wuchs die vom Konstanzer Molekularbiologieprofessor Fritz Pohl im Jahr 1990 gegründete Firma stetig, stieg nach eigenen Angaben zum „auf dem europäischen Markt führenden“ Unternehmen auf – und wurde in den Medien immer wieder dankbar als Beispiel für nachahmenswerte „Hightech made in Germany“ präsentiert. Aus, vorbei: Nach nur 26 Jahren Firmengeschichte hat sich CEO und Sohnemann Peter Pohl entschlossen, das Lebenswerk seines Papas in klingende Münze zu verwandeln und an den weltweit aktiven Diagnostik-Konzern Eurofins Scientific zu verscherbeln. Vor kurzem (Mitte August) hat die Kartellbehörde dem Deal zugestimmt.

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Wieviel Millionen damit aus Luxemburg aufs Privatkonto der Pohls fliessen, ist nur denen bekannt, die diesen Deal ausknobelten – und das ist durchaus auch so gewollt. Denn Schwaben sprechen nicht über Geld – frei nach Manfred Rommel: „Der Schwabe tut so, als sei er arm, aber er ist beleidigt, wenn andere ihm das glauben.“ (und ehe jetzt jemand einwendet, Konstanz gehöre doch zu Baden, dem sei entgegnet: In der baden-württembergischen Großen Landesausstellung 2016/2017 wird die Große Kreisstadt der Region Hochrhein-Bodensee unmissverständlich als „schwäbische [sic!] Metropole“ bezeichnet).

Die ehemaligen GATC-Mitarbeiter jedenfalls, rund 140 an der Zahl, können froh sein, vorerst ihren Job behalten zu dürfen – und ferner über die Tatsache, dass Eurofins einen vergleichsweise positiven Ruf in punkto Unternehmenskultur genießt und die übernommenen Betriebe meist an der langen Leine weiterwirtschaften lässt. So gesehen hätte es wirklich schlimmer kommen können – auch wenn der neue Eigentümer Eurofins laut GATC-Marketingmann Detlef Janssen „keine Beschäftigungsgarantie“ ausgesprochen habe: „Zunächst bleibt alles, wie es war“, wird Janssen im örtlichen Mitteilungsblatt Südkurier zitiert.

Dr. Kade macht sich vom Acker

Schlimmer hat es jemand anderen getroffen: die Belegschaft von Dr. Kade. Die 178 Mitarbeiter im Konstanzer Werk des mittelständischen Berliner Pharmaunternehmens können sich spätestens zum 1. Mai 2019 einen neuen Job suchen – dann nämlich macht ihr bisheriger Arbeitgeber den Laden dicht. Es werde nach „fairen Lösungen“ für die Mitarbeiter gesucht, ließ die Dr. Kade-Geschäftsführung um Felix König verlauten. Man könne nach Berlin umziehen und werde dann „bei der Besetzung freier Stellen bevorzugt berücksichtigt“, so die Dr. Kade-Pressestelle.

Die Schließung erfolgt, obwohl die Führungsriege beteuert, wie gut die Qualität der in Konstanz geleisteten Arbeit sei. Die zeitgleich geäußerten Durchhalteparolen von einer durch die Werksschließung beabsichtigten „nachhaltigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“ und damit erhofften „Wahrung der Eigenständigkeit als unabhängiges Familienunternehmen“ lassen vermuten, dass es gar nicht gut steht um die finanzielle und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des 1886 gegründeten Berliner Arzneimittelherstellers, der 2015/16 primär im Inland rund 126 Millionen Euro umsetzte und der in Berlin sowie – noch – in Konstanz insgesamt rund 400 Mitarbeiter beschäftigt. Schwerpunkt der Produktion des Pharmaunternehmens sind Mittel zur Hormontherapie, ferner gynäkologische Antimykotika und Therapeutika gegen Hämorrhoidenleiden.

Ein paar Biotech-Start-Ups gibt’s noch…

Ansonsten ist derzeit – man muss es so sagen – eher stille Hose am Lago. GATC Biotech war der mit Abstand größte Arbeitgeber der örtlichen Biotech-Branche, und weitere Biotechfirmen wie das Universitäts-Spin-Off myPOLS Biotec [portraitiert in Laborjournal 10/2015, Seite 56-57] gibt’s leider nicht allzuviele – und wenn, dann beschäftigen sie meist nur eine Handvoll Mitarbeiter. Das myPOLS-Team um Firmengründer Ramon Kranaster etwa – einem ehemaligen Studenten der Uni Konstanz – hat sich auf maßgeschneiderte DNA-Polymerasen spezialisiert, die die wackeren Jungunternehmer weltweit an Forscher an Universitäten und in Pharmaunternehmen verkaufen. Kürzlich machte die Konstanzer Biotechfirma immerhin mit einer neuartigen Gefriertrocknungs-Methode auf sich aufmerksam, die es ihnen ermöglicht, ihre Enzyme ohne Kühlung und die damit verbundenen Probleme zu verschicken.

… und parawissenschaftlicher Unfug

Was bleibt am Bodensee, das sind esoterische Auswüchse – fröhlich angepriesen vom regionalen Biotechverbund namens Biolago und finanziell unterstützt vom Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg. Etwa im Fall der homöopathisch therapierten Erdbeeren.

Wie bitte?

Nun denn – was sich die baden-württembergischen Landespolitiker nun dabei wieder gedacht haben, wäre wirklich interessant zu erfahren (wahrscheinlich gar nichts…). Aber die kennen ja auch sonst keine Schmerzgrenzen – etwa, wenn es darum geht, die Teilnehmer pseudowissenschaftlicher Zusammenkünfte im Namen der Wissenschaft willkommen zu heißen.

Im Falle der erwähnten Erdbeeren soll laut Südkurier ein „feinstoffliches Funktionsmittel zur Steuerung biologischer Vorgänge in homöopathisch-dynamisierter Form“ zum Einsatz kommen. Mit anderen Worten: Es geht um Humbug höchster Güte. Die Konstanzer Firma Bioplant Naturverfahren möchte nämlich ihren „homöopathischen Wirkstoff“ Biplantol „zur Stärkung der Abwehrkräfte“ Schimmelpilz-bedrohter Erdbeeren einsetzen - und eine zweite Konstanzer Firma namens "Bio-Protect Gesellschaft für Phytopathologie mbH" arbeitet dabei mit den Naturverfahrenskünstlern von Bioplant zusammen.

Hm.

Homöopathika wirken ja bekanntermaßen nur in den Köpfen von wohlstandsvernebelten Besserverdienern. Und Pflanzen haben im allgemeinen nicht mal Köpfe, geschweige denn ein Gehirn, das sich Unfug wie eine „homöopathische Heilwirkung“ einbilden könnte. Daher bezweifelt der Laborjournal-Redakteur ernstlich, dass Erdbeeren oder andere Rosengewächse auf Placebos reagieren (vielleicht aber ja die wohlmeinenden Gärtner, wer weiß?).

Doch nur Mut, liebe Erdbeer-Freunde, auch wenn es mit den homöopathisch gestärkten Pflänzchen nicht klappen sollte: Immerhin erhält jeder, der auf der Firmenwebsite der Bioplant Naturverfahren GmbH homöopathisches Wundertonikum bestellt (beispielsweise die "homöopathischen Notfalltropfen für Pflanzen in Notsituationen", 100 ml für 6,50 Euro, oder 10 Liter Bioplantol Plus "Homöopathie für Gülle" für schlanke 130 Euro), den original „BIPLANTOL-Mondkalender“ gratis („solange der Vorrat reicht“).

Die Konstanzer Erdbeer-Therapeuten und ihre ministeriellen Unterstützer sollten vielleicht trotzdem mal überprüfen – nur zur Sicherheit! – ob Hopfen und Malz noch nicht ganz verloren sind am Bodensee und in Stuttgart.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 15.09.2017